Personalmagazin Plus 6/2021

personalmagazin plus: Kanzleien 2021 Kanzleien im Arbeitsrecht 18 Kenntnisse, etwa Rechnungslegung, Organisation und Kosten­ rechnung. Auf dem Arbeitsmarkt sei die neuartige Kombination gefragt: „Derzeit suchen insbesondere große Kanzleien und Start- ups dringend Leute, die sowohl Rechtskenntnisse haben als auch die Fähigkeit, technische Lösungen zu konzipieren und zu evaluieren. Die Zahl der Stellenangebote im Bereich Legal Tech wächst jährlich in erheblichem Umfang. Dennoch gibt es bislang nur wenige potenzielle Bewerber“, sagt Beurskens. In der Tat bauen größere Kanzleien klar erkennbar systematisch Legal-Tech-Expertise in ihren eigenen Reihen auf. So hat sich beispielsweise erst vor wenigen Wochen die Kanzlei KPMG Law mit gleich zwei Legal-Tech-Experten verstärkt. Künftig bringen Sven von Alemann, Anwalt und Mitgründer des Münchner Start- up-Unternehmens RFRNZ, das auf automatische Vertragsanalyse spezialisiert ist, und Conrad Bauer, früher Syndikus bei der Daim­ ler-Gruppe und Fachmann für juristisches Projektmanagement, dort ihr Wissen ein. Andere Mitgründer und weitere Mitarbeitende von RFRNZ waren zuvor schon zur Großkanzlei Freshfields-Bruck­ haus-Deringer gewechselt, wo sie den Bereich Global Technology & Innovation verstärken. Ihr Spezialgebiet: maschinelles Lernen. Praxisbeispiel: Chevalier Schnelle und effiziente Prozesse sind ein Kernelement des Ge­ schäftsmodells von Chevalier, einem vor gut zwei Jahren ge­ starteten Legal-Tech-Kanzlei in Berlin. In der Hauptstadt sitzt Chevalier im „House of Legal Tech“ im Stadtteil Friedrichshain – unter einem Dach mit Flightright und anderen Legal-Tech-Un­ ternehmen. Die Chevalier-Gruppe besteht zum einen aus einer Rechtsanwaltsgesellschaft unter Leitung von Markus Hartung, Gründer und langjähriger Direktor des Bucerius Center on the Le­ gal Profession, Hamburg, sowie renommierter Legal-Tech-Vorden­ ker, und zum anderen aus einer separaten Service-Gesellschaft. Letztere entwickelt die nötige Software für das Projekt und stellt den Anwälten die gesamte Infrastruktur zur Verfügung. Chevalier ist ausschließlich auf Arbeitsrecht spezialisiert und vertritt dabei ausschließlich Arbeitnehmerinteressen. Das Gros der Fälle dreht sich um die rechtliche Beratung nach einer Kündi­ gung oder um die Unterbreitung eines Aufhebungsvertrags. „Eines unserer Ziele ist dabei, sofern der Mandant dies wünscht, eine schnelle Beilegung des Konflikts auf dem Weg einer Abfindung durch den Arbeitgeber, idealerweise ohne vor Gericht zu gehen, weil dies unweigerlich zu höheren Kosten führt“, erläutert Hartung die Herangehensweise von Chevalier. Um dies zu bewerkstelligen, müsse man schnell sein – und dies gehe über maximal effiziente Prozesse. „Wir arbeiten wei­ testgehend papierlos“, sagt Hartung. Im Regelfall steht am An­ fang eines Mandats eine telefonische Kontaktaufnahme. „Wir haben uns dagegen entschieden, hier eine Erfassung der not­ wendigen Angaben über ein Bildschirmformular durch die Be­ troffenen selbst zu erwarten, denn oftmals befinden die Ge­ kündigten sich in einer emotionalen Ausnahmesituation – das funktioniert mit einemmenschlichen Ansprechpartner besser“, so Hartung. Bei diesem Gespräch werden dann alle relevanten Informationen digital erfasst. Erst im nächsten Schritt kommen die Chevalier-Anwälte ins Spiel, die sich einzig mit dem Sach­ verhalt und den Wünschen der Mandanten befassen und eine entsprechende weitere Vorgehensweise vorschlagen. Je nach Wunsch der Mandanten könne es dann auch vor Gericht gehen, doch die Mehrzahl der Menschen bevorzuge erfahrungsgemäß eine Trennung vom bisherigen Arbeitgeber und eine schnelle außergerichtliche Einigung. Ein Dutzend Anwälte wickeln tausende Fälle ab Die nötigen Dokumente werden im Anschluss automatisch auf Basis der erhobenen Angaben und Textbausteine aus einer Da­ tenbank erstellt und versandt, beispielsweise das Anschreiben an den Arbeitgeber, der Entwurf einer Ausscheidevereinbarung oder eines Zeugnisses sowie gegebenenfalls ein Forderungsschreiben mit Blick auf etwaig ausstehende Gehaltszahlungen. Ein weiterer Baustein des Chevalier-Konzepts: die Prozess­ finanzierung. „Falls Mandanten keine entsprechende Recht­ schutzversicherung haben, bieten wir in bestimmten Fällen auch an, die Prozesskosten zu finanzieren“, sagt Hartung. Das bedeutet: Der Mandant hat kein finanzielles Risiko, sondern Che­ valier erhält am Ende einen Anteil der vereinbarten Abfindung – maximal ein Drittel. „Dies wickelt unsere Service-Gesellschaft ab, denn als Anwälte dürfen wir das nicht“, erläutert Hartung. Allein im vergangenen Jahr habe man mehrere tausend Fälle erledigt, so der Chevalier-Geschäftsführer. Die Kanzlei beschäf­ tigt rund ein Dutzend Anwälte, die Service-Gesellschaft weitere 30 Mitarbeitende. „Das Modell klingt eigentlich nicht komplex, aber es softwaretechnisch und organisatorisch umzusetzen, ist alles andere als trivial“, sagt Hartung. Mittelfristig arbeite man daran, aus den Daten schon erledigter Fälle mittels Big-Data-Me­ thoden genauere Vorhersagen zu realistischen möglichen Ab­ findungen und zu anderen Faktoren zu gewinnen. Größere Kanzleien bauen klar erkennbar systematisch Legal-Tech- Expertise in ihren eigenen Reihen auf.

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