Personalmagazin Plus 6/2021

Legal Tech 17 „Legal-Tech-Anbieter brauchen grundsätzlich einen verläss­ lichen Rechtsrahmen“, fordert angesichts dessen Alisha Andert vom Legal-Tech-Verband, „denn sie bedienen ein gesellschaft­ liches Bedürfnis nach niedrigschwelligen und kostengünstigen Angeboten, die den Zugang zum Recht erleichtern.“ Nötig sei daher ein neuer Erlaubnistatbestand „außergerichtliche Rechts­ beratung“ im Rechtsdienstleistungsgesetz, der Rechtsdienst­ leistungen in sämtlichen Gebieten regelt, soweit diese nicht Anwälten vorbehalten sind. Legal Tech hat viele Gesichter Ein Faktor, welcher die Schaffung eines geeigneten Regulie­ rungsrahmens für die Legal-Tech-Szene erschwert, ist ihre Viel­ gestaltigkeit. Ein breites Spektrum an Angeboten wird unter dem Begriff Legal Tech subsumiert. Darunter fallen natürlich zunächst die inzwischen teilweise recht bekannten Plattfor­ men zur Durchsetzung von Verbraucherrechten, welche auf die standardisierte und damit kostengünstige Abwicklung von rechtlichen Auseinandersetzungen setzen, wie etwa Flightright (Probleme bei Flugreisen), Myright (unter anderem Hilfe für Be­ troffene des VW-Abgasskandals), Aboalarm (Vertragskündigun­ gen) oder eben wenigermiete.de (Mieteranliegen). Mittlerweile bestehen Dutzende derartige Angebote für unterschiedlichste verbraucherrechtliche Konfliktfelder, die sich teilweise schon jahrelang am Markt bewährt haben. Daneben sind Unterstützungsangebote für Kanzleien und Rechtsabteilungen in Unternehmen ein Hauptbereich des Legal-Tech-Markts. Eine aktuelle Marktübersicht des Portals legal-tech.de listet gut 150 unterschiedlichste Systeme und Dienstleistungen auf von der Dokumentenerstellung und Do­ kumentenanalyse über die Mandantenkommunikation und Kanzleiadministration, über diverse digitale Marktplätze, Plattformen für „Legal Outsourcing“ und Unterstützung beim Recruiting von Mitarbeitenden bis hin zu juristischen Daten­ banken. Die Stoßrichtung ist dabei im Allgemeinen die gleiche: Kanzleien und Rechtsabteilungen sollen damit ihre Arbeit effi­ zienter erledigen können. Auch auf Kundenseite hat der Aspekt der Effizienzsteigerung höchste Bedeutung. Laut einer Umfrage des FFI-Verlags in Zu­ sammenarbeit mit dem Verlag Dr. Otto Schmidt, Sack-Fachme­ dien und dem Anwalt-Suchservice vom Vorjahr, an welcher sich rund 300 Juristen aus Kanzleien und Rechtsabteilungen beteiligt haben, ist der Wunsch, effizienter und kostengünstiger zu arbei­ ten, die Hauptmotivation, sich überhaupt mit Legal Tech zu befassen. Weitere wichtige Motive, die damit offensichtlich eng zusammenhängen, sind die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit und die Verbesserung der Arbeitsqualität. Auch das generelle Interesse an Innovationen ist ein wichtiger Grund für Juristen, sich Legal-Tech-Entwicklungen zuzuwenden. Auch in Rechtsabteilungen von Unternehmen halten Legal- Tech-Anwendungen vermehrt Einzug. „Mittlerweile nutzen immer mehr Unternehmen Legal Tech, um die eigentliche Dienstleistung der Rechtsabteilung zu strukturieren und zu beschleunigen“, er­ läutert dazu Andreas Bong, Partner und Co-Head Legal Process & Technology bei der Rechtsanwaltsgesellschaft KPMG Law. „Die Digitalisierung wird heute zielgerichteter genutzt als noch vor einigen Jahren. Interne Mandanten finden Unterstützung durch juristische Self-Service-Module und IT-basierte Prozesse, Juristen verwenden heute schon weniger Zeit auf sich wiederholende und eher risikoarme Aufgaben“, so Bong weiter. Auf der anderen Seite gibt es offenbar durchaus noch Luft nach oben, speziell was Anwendungen auf dem Gebiet des Arbeits­ rechts in Unternehmen betrifft. „Speziell für das Arbeitsrecht sind noch sehr wenige Legal-Tech-Lösungen zu finden, wenn wir nicht nur über Workflow- und Dokumentenmanagement und so weiter sprechen“, sagt Silvio Fricke, Geschäftsführer beim Bundesverband für Arbeitsrechtler in Unternehmen. „Einerseits gibt es schon lange automatisierte Zeugnis-Generatoren, mit teils fragwürdigen Ergebnissen, andererseits praktisch keine Tools, die zuverlässig Schriftsätze nach Typologie selbstständig erstellen oder den Ausgang von drohenden Rechtsstreitigkeiten einigermaßen zuverlässig vorhersehen“, so Fricke. Letztlich sieht Fricke die Fortschritte durch Legal Tech hauptsächlich im orga­ nisatorischen Bereich und nicht inhaltlich. Allerdings arbeiten nicht wenige Legal-Tech-Entwickler daran, durch den Einsatz von Big-Data-Methoden und künstlicher Intelligenz Juristen auch inhaltlich besser unter die Arme zu greifen. Anforderungen an Juristen ändern sich Je mehr Legal-Tech-Lösungen in der Rechtsbranche Einzug halten, desto wichtiger wird es für Juristen, dass sie die da­ mit verbundenen technischen, computerbasierten Methoden nachvollziehen und sinnvoll in ihre Arbeit integrieren können. Die Coronapandemie hat die Digitalisierung zusätzlich voran ­ getrieben. Das kommt insbesondere in der vermehrten Nutzung der sogenannten Videoverhandlung zum Ausdruck, welche die Zivilprozessordnung vorsieht – die aber bislang ein ziemliches Schattendasein führte. Weil sie allerdings direkte persönliche Kontakte reduzieren und damit bei der Pandemiebekämpfung helfen kann, treiben etliche Gerichte diese Verhandlungsform voran. Auch dies erfordert von den Beteiligten, Berührungs­ ängste mit der Technik zu überwinden. Dass es diese Berührungsängste gibt, würden nicht viele bestrei­ ten. „Juristen und Technik haben traditionell eine schwierige Beziehung“, bestätigt etwa Michael Beurskens, Leiter des neuen Legal-Tech-Bachelor-Studiengangs an der Uni Passau. Zunehmend würden, so Beurskens weiter, die Universitäten jedoch einen ver­ änderten Bedarf feststellen und deswegen vermehrt Ergänzungsan­ gebote oder Masterstudiengänge anbieten, die Juristen technisches Know-how näherbringen sollen. Die Uni Passau wolle nun aber noch weitergehen. „Unsere Legal-Tech-Studierenden sitzen von Anfang an mit Studierenden der Wirtschaftsinformatik, aber auch mit Staatsexamensstudierenden in einemHörsaal.“ Außer Schuld-, Sachen-, Straf-, Verwaltungs- und Europarecht lernen sie auch den Umgang mit Daten und Datenbanken inklusive Big-Data-Methoden, Software-Entwicklung sowie grundlegende betriebswirtschaftliche HOLGER SCHINDLER ist freier Journalist, lebt in Freiburg und hat die Legal-Tech- Szene und ihre Entwicklung im Blick.

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