Personalmagazin plus 7/2022

Einblick Die grüne Transformation – welche Rolle HR dabei spielen wird Rückblick Die wichtigsten BAG-Urteile in den vergangenen Monaten Ausblick Wie die Arbeitswelt von morgen aussehen wird personalmagazin plus 07.22 Kanzleien im Arbeitsrecht Übersicht, Trends, Profile plus

Premiumpartner

Editorial 3 plus Liebe Leserinnen und Leser, HR hat zwei arbeitsreiche Coronajahre hinter sich, in denen der Fokus der Personalarbeit oft auf der Bewältigung tagesaktueller Notwendigkeiten lag statt auf der Weiterentwicklung strategischer Themen. Mittlerweile rücken auch andere Problemstellungen wieder in den Vordergrund. Der ungeahnte Digitalisierungsschub, den Corona mit sich gebracht hat, verändert unsere Art der Zusammenarbeit, der Kommunikation und des Wissenstransfers. Herausforderungen, denen sich HR stellen muss. Unternehmen sehen sich vonseiten des europäischen, aber auch des deutschen Gesetzgebers zunehmend mit ökologischen und sozialen Standards konfrontiert, deren Einhaltung und Umsetzung auch HR betrifft. „Green HR“ ist der Oberbegriff für eine Vielzahl an Nachhaltigkeitsthemen, zu denen HR passende Strategien und Maßnahmen entwickeln und umsetzen muss. Agile Formen der Zusammenarbeit, New Work, Teamstrukturen, Hierarchieabbau und die immer größer werdende Flexibilisierung von Arbeitszeit und -ort werfen Fragen auf, wie eine moderne Mitarbeiterführung heute gelingen kann. HR sollte Antworten geben können. Die Transformation der Arbeitswelt, in manchen Märkten radikal, in anderen zögerlicher voranschreitend, macht es notwendig, die Mitarbeitenden von heute für die Anforderungen von morgen zu wappnen. Situationsgerechte Lern- und Weiterbildungskonzepte sind gefragt. Auch hier ist HR in der Pflicht. Hinzu kommt ein sich ständig wandelndes Arbeitsrecht, das den rechtlichen Rahmen der Beschäftigungsverhältnisse und des Miteinanders der Betriebsparteien bildet. Die Ampelkoalition hat ein anspruchsvolles Programm aufgelegt, das erahnen lässt, was an Neuregelungen in nächster Zeit zu erwarten ist. Nachweisgesetz, Hinweisgeberschutz, Arbeitnehmerdatenschutz, Mindestlohn, neue Homeoffice-Regelungen, Einführung einer Bildungs(teil)zeit und eine Modernisierung der Betriebsverfassung sind nur einige Vorhaben, die in Planung sind. Spannende Zeiten für HR, in denen sicherlich hier und da eine gute Beratung vonnöten sein wird. Die mittlerweile zwölfte Auflage dieses Kompendiums wird Sie bei der Auswahl eines arbeitsrechtlichen Beraters unterstützen. Viel Spaß beim Lesen! Frank Bollinger Redaktion Personalmagazin Inhalt 04 Arbeitnehmerfreundlicher und EU-konformer Eine ganze Reihe von Gesetzesvorhaben wird die arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland verändern 08 Wenn es zu komplex wird Wann es für Unternehmen Sinn macht, eine Arbeitsrechtskanzlei hinzuzuziehen 12 Kein Arbeitsrecht ohne Gemeinwohl Die Sozialpartner haben soziale Verantwortung. Arbeitskämpfe und Tarifverträge müssen Gemeinwohlaspekte berücksichtigen 14 BAG-Urteile 2021 Eine Übersicht über die wichtigsten Urteile des Bundesarbeitsgerichts im letzten Jahr 18 Die grüne Transformation Das Thema Nachhaltigkeit ist in den Personalabteilungen angekommen. Welchen Beitrag kann HR leisten? 22 Wie werden wir morgen arbeiten? Die Arbeitswelt ist einem dramatischen Wandel unterworfen. Welche Trends den Wandel beschleunigen 26 Kanzleiporträts 28 ACT Legal Germany 30 Advant Beiten 32 Arqis 34 Esche Schümann Commichau 36 Fringspartners Arbeitsrecht 38 Görg 40 Kliemt Arbeitsrecht 42 McDermott Will & Emery 44 Pusch Wahlig 46 Seitz 48 SKW Schwarz 50 Impressum „HR muss Lösungen für die Probleme einer sich ändernden Arbeitswelt anbieten.“ personalmagazin plus: Kanzleien 2022 Titel: Nathalie Lees

personalmagazin plus: Kanzleien 2022 Von Frank Bollinger, Illustration Nathalie Lees Arbeitnehmerfreundlicher und EU-konformer

Reformen im Arbeitsrecht 5 Das Arbeitsrecht wird insgesamt arbeitnehmerfreundlicher werden. Neben einem verbesserten Schutz der Arbeitnehmer sollen die Tarifautonomie und die betriebliche Mitbestimmung gestärkt und ausgebaut werden. Mit diesem Kurs will die Bundesregierung die Gewichtung zwischen sozialer Verantwortung und unternehmerischer Freiheit neu austarieren. Bundesregierung hat viele Themen auf der Agenda Weiterbildung Berufliche Weiterbildung und lebenslanges Lernen haben angesichts der digitalen Transformation der Arbeitswelt eine hohe Priorität. Mit einer „nationalen Weiterbildungsstrategie“ will die Koalition dem gerecht werden. Verbessern will die Regierung die Möglichkeiten für eine berufliche Neuorientierung sowie für Aus- und Weiterbildungen. Diese sollen künftig auch in Teilzeit möglich sein. Das Aufstiegs-BAföG soll ausgebaut werden, eine zweite vollqualifizierte Ausbildung soll förderfähig werden, die Fördersätze und Freibeträge sollen deutlich erhöht werden. Ein „Lebenschancen-BAföG“ soll eingeführt werden. Hier sollen die Bürger künftig auf einem Freiraumkonto ein Bildungsguthaben ansparen können, das für selbstbestimmte Weiterbildung ausgegeben werden kann. Die Einführung einer Bildungsteilzeit soll es möglich machen, dass Beschäftigte ihre Arbeitszeit vorübergehend reduzieren können, um in der so gewonnenen Zeit einen Berufsabschluss nachzuholen oder sich beruflich weiterzuqualifizieren. Voraussetzung hierfür soll eine entsprechende Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Beschäftigtem sein. Unternehmen im Strukturwandel sollen die Chance erhalten, durch ein Qualifizierungsgeld, das ähnlich dem Kurzarbeitergeld ausgestaltet werden soll, die Beschäftigten während des strukturellen Wandels durch Qualifizierung im Betrieb zu halten und benötigte Fachkräfte auszubilden. Arbeitszeit Grundsätzlich wird es beim Achtstundentag im Arbeitszeitgesetz bleiben. Noch für dieses Jahr ist die Schaffung einer befristeten Regelung angekündigt, mit der im Rahmen von Tarifverträgen eine flexiblere Gestaltung der Arbeitszeit erlaubt sein soll. Es sollen begrenzte Möglichkeiten geschaffen werden, hinsichtlich der Tageshöchstarbeitszeit vom Arbeitszeitgesetz abzuweichen. Ziel ist, der Entwicklung der letzten Jahre in den Unternehmen zu folgen und flexiblere Arbeitszeitmodelle mögEnde November haben die drei Regierungsparteien den Koalitionsvertrag für die kommenden vier Jahre vorgelegt, dem die Pläne der Ampelkoalitionäre zu den Themen Weiterbildung, Arbeitszeit, Homeoffice, Befristung und Mindestlohn zu entnehmen sind. Auch die EU zwingt den Gesetzgeber zu Anpassungen. Ein Ausblick, was arbeitsrechtlich auf HR zukommt. lich zu machen. Die europäischen Vorgaben zur Zeiterfassung sollen dabei berücksichtigt werden, bereits bestehende Regelungen zur Vertrauensarbeitszeit sollen explizit beibehalten werden können. Homeoffice Das „Mobile-Arbeit-Gesetz“ kommt wieder. In der Großen Koalition war es zuletzt am Widerstand der CDU gescheitert, nun werden die Inhalte, die bereits in den Referentenentwürfen der letzten Legislaturperiode enthalten waren, fröhlich ihre Auferstehung feiern. Es soll einen Erörterungsanspruch über mobiles Arbeiten geben, dem Wunsch der Beschäftigten soll nur widersprochen werden können, wenn betriebliche Belange entgegenstehen, und eine Ablehnung darf nicht sachfremd oder willkürlich erfolgen. Außerdem will die Regierung die Voraussetzungen dafür schaffen, dass mobiles Arbeiten problemlos europaweit möglich wird. Rechtlich soll das Homeoffice als Möglichkeit der mobilen Arbeit sauber von der Telearbeit und dem Geltungsbereich der Arbeitsstättenverordnung abgegrenzt werden. Die angekündigte gesetzliche Regelung wird auch die Anforderungen an den Arbeitsschutz im Homeoffice festlegen und will sicherstellen, dass die Teilnahme an mobiler Arbeit nicht dazu führt, dass die betrieblichen Arbeitsplätze der Homeoffice-Worker wegfallen. Mindestlohn und Minijobs Der Mindestlohn wird – wie es die SPD und den Grünen schon vor der Wahl versprochen haben – zum 1. Oktober auf zwölf Euro angehoben. Anschließend wird es wieder Aufgabe der Mindestlohnkommission sein, über künftige Anhebungen zu entscheiden. Die Minijobgrenze wird sich künftig an einer Wochenarbeitszeit von zehn Stunden orientieren, was bei zwölf Euro Mindestlohn ab dem 1. Oktober eine neue Minijobgrenze von 520 Euro imMonat ergibt. Die Einhaltung geltenden Arbeitsrechts soll bei den Minijobs in Zukunft stärker kontrolliert werden. Sachgrundlose Befristung Die sachgrundlose Befristung war der SPD und den Grünen vor der Bundestagswahl 2021 ein Dorn im Auge. Mit dieser Position konnten sie sich aber in den Koalitionsverhandlungen nicht durchsetzen, sodass es nicht dazu kommen wird, dass die sachgrundlose Befristung abgeschafft oder deutlich eingedämmt werden wird. Die Ampelkoalitionäre haben lediglich angekün-

personalmagazin plus: Kanzleien 2022 Kanzleien im Arbeitsrecht 6 digt, zur Verhinderung unbegrenzter Kettenbefristungen die Befristung mit Sachgrund beim selben Arbeitgeber auf maximal sechs Jahre zu begrenzen. Ausbau der Mitbestimmung Stärkung der Tarifautonomie Die stark zurückgegangene Tarifbindung in Deutschland soll gestärkt werden. Öffentliche Aufträge soll es nur noch für tarifgebundene Unternehmen geben, Abweichungen vom Arbeitszeitgesetz sollen nur dort möglich sein, wo ein Tarifvertrag das regelt und nicht zuletzt will die Bundesregierung die Flucht aus geltenden Tarifverträgen bremsen, beispielsweise dadurch, dass bei Betriebsausgliederungen die Fortgeltung der bestehenden Tarifverträge festgeschrieben werden soll. Hier darf man auf die Details gespannt sein. Nicht mehr auf der Agenda stehen Steuervergünstigungen für tarifgebundene Arbeitgeber und eine erweiterte Tariferstreckung durch Allgemeinverbindlicherklärungen von Tarifverträgen in Branchen, in denen es bislang keine allgemeinverbindlichen Tarifverträge gab. Mehr Rechte für Gewerkschaften und Betriebsräte Die Betriebsverfassung soll digitaler werden. Digitales Arbeiten der Betriebsräte soll deutlich ausgebaut werden, Betriebsratswahlen sollen nach erfolgreicher Erprobung (dann wohl erstmals bei den Betriebsratswahlen 2026) online stattfinden können. Arbeitgeber, welche die demokratische Mitbestimmung im Betrieb behindern, etwa indem sie innerbetrieblich durch Repressalien die Gründung von Betriebsräten erschweren, werden sich damit künftig strafbar machen. Bei der Unternehmensmitbestimmung soll der missbräuchlichen Umgehung geltenden Rechts ein Riegel vorgeschoben werden. Die Flucht in SE-Gesellschaften soll nicht mehr den Vorteil bieten, so die Mitbestimmung in den Aufsichtsräten vollständig vermeiden zu können. Die Gewerkschaften sollen ein „zeitgemäßes“ Recht auf digitalen Zugang in die Betriebe erhalten. Der digitale Zugang soll die gleiche Reichweite haben wie die bereits bestehenden analogen Zugangsrechte der Gewerkschaften. Europarecht macht neue Gesetze erforderlich Einsatz künstlicher Intelligenz erfordert neue Regeln Bereits im April 2021 hat die EU-Kommission einen Vorschlag für einen Rechtsrahmen zum Einsatz von KI vorgelegt, der unter anderem auch eine Risikoeinstufung für KI-Systeme hinsichtlich von Grundrechten, Sicherheit und Privatsphäre vorsieht. Hier ist in naher Zukunft damit zu rechnen, dass eine EU-Verordnung in Kraft treten wird, welche die Datenschutzanforderungen beim Einsatz KI-gestützter Software konkretisiert. Dem Dschungel existierender Ethik-Richtlinien, KI-Kodexen und sonstigen Leitlinien zum Einsatz von KI kann es nur guttun, wenn aus Anwendersicht klar ist, welche Regeln zur Anwendung kommen. Verschärfung des Lieferkettensorgfaltspflichtgesetzes Schon das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz (LkSG) erlegt den deutschen Unternehmen in den kommenden Jahren eine Reihe von sozialen und ökologischen Pflichten entlang ihrer Lieferketten auf. Deutsche Unternehmen müssen zwar nicht garantieren, dass in den Lieferketten keine Menschenrechte oder umweltbezogenen Pflichten verletzt werden, aber sie müssen nachweisen, dass sie die im Gesetz festgelegten Sorgfaltspflichten eingehalten haben. Die Europäische Kommission hat Ende Februar 2022 einen Vorschlag für eine Richtlinie über die Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen angenommen, die auch darauf abzielt, ein nachhaltiges und verantwortungsvolles unternehmerisches Verhalten in allen globalen Wertschöpfungsketten zu fördern. Diese neue Richtlinie soll Rechtssicherheit und gleiche Wettbewerbsbedingungen schaffen, für Verbraucher und Anleger soll sie mehr Transparenz bringen. Die geplanten europäischen Regelungen gehen deutlich über das hinaus, was Deutschland im LkSG bislang umgesetzt hat. Von daher müssen sich die Unternehmen darauf einrichten, dass der deutsche Gesetzgeber hier noch einmal nachbessern muss und dass die Anforderungen an die Unternehmen mittelfristig steigen werden. Ein neues Nachweisgesetz ist in Vorbereitung Die Bundesregierung setzt derzeit die EU-Richtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union in deutsches Recht um. Ein Gesetzentwurf sieht unter anderem eine Änderung des Nachweisgesetzes und damit der Anforderungen an die Gestaltung von Arbeitsverträgen vor. Das neue Nachweisgesetz legt fest, dass die Entgeltregelung „die Zusammensetzung und die Höhe des Arbeitsentgelts einschließlich der Vergütung von Überstunden, der Zuschläge, der Zulagen, Prämien und Sonderzahlungen sowie anderer Bestandteile des Arbeitsentgelts, die jeweils getrennt anzugeben sind, und deren Fälligkeit sowie die Art der Auszahlung“ enthalten muss. Künftig werden außerdem Angaben zur Arbeitszeit, zu vereinbarten Ruhepausen und Ruhezeiten sowie bei vereinbarter Schichtarbeit das Schichtsystem, der Schichtrhythmus und Voraussetzungen für Schichtänderungen gefordert. Von den Verbänden heftig kritisiert wird die im Referentenentwurf vorgesehene Regelung, dass im Nachweis Angaben über „das bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber einzuhaltende Verfahren, mindestens das Schriftformerfordernis und die Fristen für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses sowie die Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage“ zu machen sind. Das Hinweisgeberschutzgesetz setzt die WhistleblowerRichtlinie der EU um Deutschland hat es bislang versäumt, die EU-WhistleblowerRichtlinie mit einem Hinweisgeberschutzgesetz umzusetzen. Ein erster, im vergangenen Jahr von der alten Bundesregierung unternommener Versuch, das Gesetz noch pünktlich vor Ablauf der Frist zum 17.Dezember 2021 zu verabschieden, war gescheitert. Die EU-Kommission hat daraufhin ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. Nun liegt ein Referentenentwurf der neuen Bundesregierung vor. Wer entgegen der Verpflichtung keine interne Meldestelle einrichtet oder betreibt, riskiert künftig ein Bußgeld von bis zu 20.000 Euro. Repressalien gegen Whistleblower und eine Behinderung von WhistleblowerMeldungen können mit einem Bußgeld von bis zu einer Million Euro geahndet werden. Während die Pflicht zur Einrichtung interner Meldestellen zunächst „nur“ Beschäftigungsgeber und Organisationseinheiten mit mindestens 250 Beschäftigten trifft, gilt diese Pflicht ab dem 17. Dezember 2023 auch für Betriebe mit mindestens 50 Beschäftigten.

HR und Arbeitsrecht 9 Die arbeitsrechtlichen Aufgaben im Unternehmen werden immer komplexer, die Problemstellungen immer schwieriger. Was tun, wenn ein Problem mit vernünftigem Aufwand nicht mehr inhouse zu lösen ist? Wann ist für ein Unternehmen der Zeitpunkt gekommen, eine Arbeitsrechtskanzlei einzuschalten? Von Alexander R. Zumkeller Wenn es zu komplex wird Alle Unternehmen stehen unter erheblichem Kostendruck. Gerade in HR ist das seit Jahren spürbar. Modelle wie Shared Services und HR Business Partner sollen helfen, diesem Druck Stand zu halten. Gleichzeitig erlässt der Gesetzgeber immer mehr komplexe, schwer umsetzbare Gesetze; aus der neueren Geschichte seien neben dem Infektionsschutzgesetz etwa das Entgeltgleichheitsgesetz oder das „zweite Führungspositionengesetz“ genannt und, ante portas, demnächst die Novelle des Nachweisgesetzes. Die Umsetzung dieser Gesetze ist hakelig und mit extrem hohem Aufwand verbunden. Soweit im Unternehmen Arbeitsrechtler beschäftigt sind, werden sie damit bereits vollauf ausgelastet sein. Für andere Themen wie Kündigungen, Betriebsvereinbarungen, Due Diligence und dergleichen besteht angesichts des hyperaktiven Gesetzgebers kaum Zeit. Personaler, Unternehmensarbeitsrechtler, externer Arbeitsrechtler oder Legal Tech? Also gilt es, andere Wege zu beschreiten, wenn nicht sogar zusätzliche Ressourcen an Bord zu holen. Die „guten alten Personaler“, wobei sich „alt“ nicht auf das Lebensalter bezieht, sondern auf das, was man in den 1980ern und 1990ern als Personalleiter oder Personalleiterin bezeichnete, sind in den 2000ern den „HR Business Partnern“ gewichen, die andere Aufgaben erfüllen müssen und ohne Arbeitsrechtler an ihrer Seite häufig Schwierigkeiten haben, im komplexen Umfeld „Arbeitsrecht“ zurechtzukommen. Diejenigen, die einst das arbeitsrechtliche „Brot- und Butter-Geschäft“ erledigten, gibt es nicht mehr. Eine Alternative wäre der Weg zu einer Kanzlei, was hinsichtlich des Themas „Kostendruck“ aber gut überlegt sein will. Bei nur wenigen Fällen im Jahr kann sich das lohnen, ansonsten ist der Arbeitgeberverband eine Alternative. Meist sind arbeitsrechtliche Dienstleistungen im Jahresbeitrag (rund ein Promille der Bruttoentgeltsumme) enthalten, eine solide Beratung und

personalmagazin plus: Kanzleien 2022 Kanzleien im Arbeitsrecht 10 Prozessvertretung wird auch geboten (soweit es nicht um Spezialgebiete wie Altersversorgung oder Arbeitnehmererfindungsrecht geht), allerdings gibt es regelmäßig einen Tarifvertrag als „Zugabe“ obendrauf (Nicht dass ich mich hier falsch ausdrücke: Ich finde das ausdrücklich gut und richtig, aber nicht für jedes Unternehmen ist ein dickes Tarifsammelwerk das „Richtige“). Oder ist neuerdings Legal Tech oder künstliche Intelligenz die Lösung? Was kann ein Unternehmen selbst stemmen? Wobei braucht es Unterstützung? Fangen wir mal mit Legal Tech an. Neu ist das nicht. Ich selbst habe bereits in den 1990er Jahren eine elektronische Entscheidungshilfe für Kündigungen wegen Arbeitsunfähigkeit programmiert. Ich weiß nicht mehr, wie das Programm hieß, mit dem ich gearbeitet habe, aber man konnte Entscheidungsbäume und Entscheidungsweichen programmieren und in der Tat kamen ganz ordentliche Ergebnisse dabei heraus: Sogar bei der Eingabe „Alkohol ist im Spiel“ hat das Programm empfohlen, erst einmal eine Entziehungskur anzubieten. Heute sind die Programme ausgefeilter, die Entscheidungsbäume komplexer programmiert, aber es bleiben simple Algorithmen, weitab von künstlicher Intelligenz. Dass je Geschlecht oder je Job-Title ein Zeugnisgenerator andere Begrifflichkeiten auswählt, ist nicht wirklich intelligent, sondern die Suche in Wortwolken. Dass ein solches Programm bestimmte Vorlieben des Nutzers erkennt und dann vermehrt dieses Vokabular einsetzt, bleibt ein einfacher Algorithmus, der – übrigens insbesondere im Recruiting – auch gefährlich (weil diskriminierend) sein kann. Aber es sind Algorithmen, die tun, was sie sollen: Zeugnisse erstellen (nicht phantasiereich, aber rechtssicher), Aufhebungsverträge und sogar Kündigungen schreiben, Berechnungen zu Abfindungen und Altersteilzeit erstellen. Und sogar die Abgrenzung von Arbeitsvertrag und Scheinselbstständigkeit gelingt. Will heißen, Legal Tech ist für einen Gutteil von Standard- oder Massenthemen brauchbar. Nun zum HR Business Partner: Für die „Basics“ des HR-Alltags wird man erwarten dürfen, nein müssen, dass diese Kolleginnen und Kollegen geschult und erfahren sind. Wie sollten sie sonst dem Business Partner auf Augenhöhe, so das hehre Ziel, begegnen. Aus meiner Erfahrung ist das Fachwissen zum täglichen Geschäft, wie zum Beispiel Versetzungen, Direktionsrechtsausübung, die tägliche Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat etwa wegen Versetzung oder Mehrarbeit, Abmahnung, Arbeitszeitrecht, Grundzüge im Kündigungsrecht, um das Business beraten zu können, vorhanden. Das ist natürlich nur ein Teil der Tagesaufgaben, beschreibt aber sicher ganz gut, was ich, bezogen auf rechtliche Fragen, meine. Und klar ist: Legal Tech ist bei Weitem noch nicht so weit, den Personalverantwortlichen diese Aufgaben abnehmen zu können! Kommen wir zum Arbeitgeberverband. Hier erwartet uns eine fundierte Beratung im Individual- und Kollektivarbeitsrecht. Kündigungsrechtsstreite zu begleiten (und sie auch vorzubereiten) oder Betriebsvereinbarungen rechtssicher zu gestalten, ist „Pflicht“, die „Kür“ sind komplexere (haus-)tarifvertragliche Regelungen. Die Juristen dort kennen die Gepflogenheiten der lokalen Gerichte und Richter, was ungemein wichtig ist, denn 99 Prozent der Prozesse werden eben nicht aufgrund klarer Rechtslage oder Beweissituation gewonnen oder verloren, sondern unterliegen der Beurteilung, der Wertung durch das Gericht und je mehr Fälle ein Prozessvertreter vor demselben Gericht vertritt, desto besser wird seine Prognose oder Empfehlung, beispielsweise einen Vergleich abzuschließen. Der Vorteil der Juristen der Arbeitgeberverbände ist ihre intensive Arbeit vor eben diesen lokalen Gerichten. Man kennt sich dort aus und weiß über die Wertungsmaßstäbe der Richter bestens Bescheid. Letzteres gilt freilich auch für eine lokale Anwaltskanzlei mit erheblicher Arbeitsrechtserfahrung. Der „Fachanwalt“ ist dazu gar nicht unbedingt erforderlich; vielen Anwaltsjuristen im lokalen Bereich wird lediglich häufig die Erfahrung im Kollektivrecht, also in den Verhandlungen mit den Betriebsräten fehlen, weil viele ihrer oft mittelständischen Kunden schlicht keinen Betriebsrat haben. Hier führt der Weg der Unternehmen gegebenenfalls zur einer überörtlichen Anwaltskanzlei. In einer solchen (Groß-)Kanzlei finden wir das Arbeitsrecht mitunter „angeflanscht“ an eine Kanzlei, die beispielsweise Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht macht, aber auch als reine „Boutique“. Für „Spezialfälle“ ist sicher beides die richtige Wahl. Wobei sich der „Spezialfall“ einmal aus der Materie ergeben kann – etwa Recht der betrieblichen Altersversorgung, Arbeitnehmererfindungsrecht – oder aber aus der Situation heraus, etwa wenn ein besonders bedeutsamer Fall vor Gericht geht (oder vielleicht auch besser nicht). Auch in supranationalen Der Vorteil der Juristen der Arbeitgeberverbände ist ihre intensive Arbeit an den lokalen Gerichten. Sie kennen sich dort aus und wissen über die dortigen Wertungsmaßstäbe Bescheid.

HR und Arbeitsrecht 11 Fragen, besonders aufwendigen Verfahren, die schnell erledigt werden müssen oder bei aufwendigen Due-Diligence-Prüfungen ist man hier bestens aufgehoben, weil zumeist mehrere Fachkollegen gleichzeitig an der Materie arbeiten können. Zusammenfassend also: Wofür eine Kanzlei? Wenn Legal Tech nicht ausreicht. Wenn es über das „Tagesgeschäft“ eines HR Business Partners hinausreicht. Wenn das Unternehmen entweder nicht im Arbeitgeberverband ist oder aber aus bestimmten Gründen die Nutzung des Verbands nicht opportun erscheint (ja, auch diese Fälle gibt es). Nicht immer ist der Gang zur Anwaltskanzlei erforderlich. Dafür sorgen übrigens teilweise die Kanzleien selbst, indem sie Legal Tech entwickeln und zur Verfügung stellen und Personalern Seminare und Schulungen anbieten. Das bedeutet für die Kanzleien keinesfalls einen Geschäftsrückgang, sondern sorgt dafür, dass sie sich auf das Wesentliche konzentrieren können, den Boden bereiten für eine ordentliche Vorarbeit durch die „Personaler“ – und damit für Kundenbindung. Die Arbeitgeberverbände machen das seit jeher, die Kanzleien seit vielleicht 15 Jahren. Der Einstieg der Kanzleien in Legal Tech hat sich in den letzten zwei, drei Jahren verstärkt. Also wann sollte der Weg zu einer Kanzlei führen? „Das“ Patentrezept gibt es nicht. Man wird immer abwägen müssen, welches Instrumentarium zur jeweiligen Problemstellung passt und welche Kosten man für eine Lösung zu tragen bereit ist. Zu guter Letzt: Sie wollen sorgenfrei sein? Stellen Sie einen versierten Arbeitsrechtler ein! Sie sind auf dem Markt derzeit knapp, aber sie gewährleisten auf das Unternehmen zugeschnittene Lösungen zu klar kalkulierbaren Kosten! Kosten, da wären wir wieder bei dem wichtigen Stichwort vom Anfang. Auch hierzu ein paar Überlegungen: Nehmen wir an, der eigene Arbeitsrechtler kostet 150.000 Euro im Jahr. Dafür erhalten Sie rund 1.800 Stunden – das ergibt einen Stundensatz von rund 85 Euro (zuzüglich Sachaufwand wie Miete und PC, aber Sie werden wohl unter 100 Euro die Stunde bleiben). Natürlich variieren hier die Gehälter. Ein externer Anwalt auf Stundenbasis wird etwa für 150 bis 450 Euro tätig. Sie bekommen also 333 bis 1.000 Stunden für das gleiche Geld. Einen Gerichtsprozess in einer Instanz würde ich mit rund 20 Stunden veranschlagen (Das ist eher hoch gegriffen. Ein Externer braucht eher länger, weil Transaktionsaufwände wie Sachverhaltsaufklärung, interne Regularien und dergleichen abgeklärt werden müssen, der Interne benötigt eher weniger). Rechnen Sie also selbst. Zum Vergleich der Arbeitgeberverband: Bei 500 Beschäftigten kommen Sie auf einen Beitrag in der Größenordnung von 30.000 bis 50.000 Euro. Externen Rat können Sie sich dafür für rund 80 bis 300 Stunden einkaufen, also maximal 15 Fälle im Jahr. Und beachten Sie: Beim eigenen Arbeitsrechtler, beim Arbeitgeberverband sind all die alltäglichen 20-Minuten-Fragen der Führungskräfte inkludiert. Bei Anwaltskanzleien kommen zusätzliche Kosten obendrauf. Also bitte nicht verrechnen! ALEXANDER R. ZUMKELLER ist Vorstand und Arbeitsdirektor bei ABB und Präsident des Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen. Instrumentarium Überbegriff Beispiele Merkmale Kosten Legal Tech Standardisierte Massenaufgaben Arbeitsvertrag, Zeugnis, Kündigungsschreiben Praktisch kein Ermessensspielraum Sehr kostengünstig Personaler Tagesgeschäft Abmahnung, Versetzung oder Mehrarbeit mit Betriebsrat Beurteilung im Einzelfall ist erforderlich, Ermessensspielraum Kostengünstig Arbeitgeberverband StandardArbeitsrechtsangelegenheiten Alle Standardprozesse, Verhandlungen mit dem Betriebsrat, Einigungsstellen, Haustarifverträge Erhebliche Beurteilungsspielräume; vertiefte Kenntnis in der Anwendung des Arbeitsrechts auch über das einzelne Gesetz hinaus Kostengünstig Lokale arbeitsrechtlich versierte Anwaltskanzlei Alle Standardprozesse Meist tragbare Kosten Überregionale große Anwaltskanzlei Spezialfälle Besondere Rechtsmaterien wie Altersversorgung, Arbeitnehmererfindungsrecht; besonders „heikle“ Fälle; supranationale Fallgestaltungen Besondere Kenntnisse in besonderen Rechtsgebieten; hervorragender überregionaler (globaler) Leumund Teils erhebliche Kosten Übersicht: Welche Lösung für welches Problem zu welchen Kosten

Corporate Social Responsibility ist in aller Munde. Die Richtlinie und ihre Umsetzung haben die Diskussion neu belebt, sie ist Motor der rechtlichen und letztlich auch ein Stück gesellschaftlicher Veränderung. Doch soziale Verantwortung haben nicht nur Unternehmen und ihre Stakeholder, sondern auch deren Zusammenschlüsse. Auch Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften müssen sich in all ihrem Tun ihrer Gestaltungsverantwortung stellen. Nun ist der Tarifvertrag – die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat es mehrfach betont – das ureigene Instrument des Handelns der Sozialpartner, er steht im Zentrum der Tarifautonomie. Umso mehr muss sich ein Tarifvertrag am Anspruch sozialer Verantwortung seiner Urheber messen lassen, und das gilt erst recht für den Weg dorthin: den Arbeitskampf. Wünschenswert, aber unmöglich? Diese Forderung kann ganz konkret werden, wie ein aktuelles Beispiel zeigt: Lehrer ist einer der anstrengendsten Berufe, die ich kenne. Und große Klassen machen vieles noch anstrengender – eben nicht nur für die Kinder. Die Forderung der Lehrergewerkschaft GEW: Kleinere Klassen! Richtig so, das ist dringend nötig. Nach den Forderungen der Gewerkschaft soll bei Grundschulen die Klassengröße auf 19 Kinder begrenzt werden, wohingegen bislang 26 Kinder pro Klasse möglich sind. Obwohl dieses Ziel so überaus wünschenswert ist, stellt sich die Frage, ob deswegen gestreikt werden kann. Berlins Regierende Bürgermeisterin sah den Warnstreik, zu dem die Gewerkschaft an Berliner Schulen aufgerufen hatte, kritisch. Franziska Giffey wies auf die ukrainischen Flüchtlinge hin, von denen 40 bis 50 Prozent Kinder und Jugendliche seien. Es brauche aktuell mehr Kapazitäten – und es sei eine Zeit des Lehrermangels. Also wie soll man dieses Ziel realisieren? Streiks nur in den Grenzen des Gemeinwohls Klar ist: Klassengrößen bestimmen die Arbeitsbedingungen von Lehrerinnen und Lehrern, und Arbeitsbedingungen können in Tarifverträgen geregelt werden. Deshalb können sie grundsätzlich auch erstreikt werden. Aber das StreikVon Gregor Thüsing Kein Arbeitsrecht ohne Gemeinwohl Die Sozialpartner tragen soziale Verantwortung. Die Tarifvertragsparteien müssen beim Ausfechten von Arbeitskämpfen und beim Abschluss von Tarifverträgen das Gemeinwohl beachten. Foto: Thekla Ehling Kanzleien im Arbeitsrecht 12 personalmagazin plus: Kanzleien 2022

dessen Betrieb die Gemeinschaft ein besonderes Interesse hat. Was die Allgemeinheit gegenüber dem einzelnen Arbeitgeber noch hinnehmen mag, wird umso problematischer, wo es nicht alleine um eine Schule geht, sondern um die Schuldienste in Berlin generell. Kleinere Klassen können nur dann gefordert werden, wenn sie denn realistisch kurzfristig umsetzbar sind. Das Unmögliche kann nicht zur Verpflichtung gemacht werden – das wusste schon das römische Recht. Möglich wäre es also, dass die GEW etwa Belastungszulagen für Lehrer fordert, die größere Klassen unterrichten müssen. Das hätte den Vorteil, dass große Klassen kein „Sparmodell“ zulasten der Klassengemeinschaft und Lehrerschaft wären, sondern es veritable Anreize gäbe, möglichst viele Lehrer möglichst schnell einzustellen. Lernwillige abweisen zu müssen, weil Klassengrenzen überschritten wären und zusätzliche Lehrkräfte am Markt nicht verfügbar sind – das kann kein Tarifvertrag wirksam regeln. Element des Gemeinwohls ist zumindest alles, was das Bundesverfassungsgericht als Teil des Sozialstaatsprinzips anerkannt hat, und dazu gehören die schulische Bildung und die Wahrung gleicher Bildungschancen allemal. Die Existenz eines – gegebenenfalls aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abzuleitenden – individuellen „Rechts auf Bildung“ ist zwar umstritten – als Zielgröße staatlicher Regelung und Topos verfassungsrechtlicher Rechtfertigung ist die Bildung jedoch unbestritten. Tarifautonomie und Gemeinwohl sind eng verbunden Das Fazit ist kurz. Die Grundrechtsbindung der Tarifverträge ist in ihren Verästelungen nur schwach ausgeleuchtet. All das muss – weil es ein Arbeitskampfrecht nicht gibt – die Rechtsprechung allein aus den dürren Worten des Grundgesetzes herleiten. Andere Fälle – wie etwa die aktuell geforderten Pflegequoten in Krankenhäusern, für die Pflegerinnen und Pfleger vielleicht amMarkt gar nicht vorhanden sind – sind ähnlich strukturiert. Auch hier stellen sich die aufgeworfenen Fragen im gleichen Maß. Weil Gemeinwohl ein vielschichtiger und deutungsvariabler Begriff ist, muss sich die Rechtsprechung auf das zurückziehen, was konsensfähig ist, und kann vielleicht nur die Fälle offensichtlicher Unvereinbarkeit in den Blick nehmen. Wer diese schwere Aufgabe nicht allein auf die Schultern der Richter legen will, wird ein Tätigwerden des Gesetzgebers erhoffen, der einen dieser Konflikte selbst lösen mag. Auch wenn sich der Gesetzgeber wohl zurückhalten wird, bleibt es Aufgabe der Rechtswissenschaft, das Bewusstsein zu verankern, dass Tarifautonomie und Gemeinwohl in einer engen Verbindung stehen, dass sie oftmals gleichgerichtet sind, aber in einigen Fällen doch in verschiedene Richtungen deuten. Das Ziel ist klar, jeder Schritt auf demWeg dahin ist verdienstvoll. recht besteht nicht grenzenlos. Streik und Tarifvertrag sind Optionen in den Grenzen des Gemeinwohls. Das ist keine bloße regulative Idee, sondern konkrete Anforderung an das Handeln der Akteure. Die soziale Verantwortung der Koalitionen gegenüber der Allgemeinheit manifestiert sich, betrachtet man allein die arbeitsrechtliche Rechtsprechung, am deutlichsten im Arbeitskampf. Sie gebietet, Arbeitskämpfe so weit wie möglich zu vermeiden. Streik und Aussperrung sind erst zulässig, wenn sie das letzte Mittel zur Erzielung eines Kompromisses sein können. „Arbeitskämpfe müssen … unter dem obersten Gebot der Verhältnismäßigkeit stehen. Dabei sind die wirtschaftlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen, das Gemeinwohl darf nicht offensichtlich verletzt werden“, stellte das Bundesarbeitsgericht schon vor über 50 Jahren fest. Und was für den Weg zum Tarifvertrag gilt, das gilt erst recht für den Tarifvertrag selbst. Es darf sicherlich keine Tarifzensur dahingehend geben, dass die Gerichte die Tarifverträge und Streikforderungen danach beurteilen, was sie für sinnvoll und was sie nicht für sinnvoll halten. Aber auch für Deutschland gilt, was Archibald Cox, einst Nestor des kollektiven Arbeitsrechts der USA, vor mehr als 70 Jahren festgestellt hat: „It would not be wise policy to pursue industrial peace at the expense of every other social or economic ideal.“ („Es wäre keine kluge Politik, den Arbeitsfrieden auf Kosten jedes anderen sozialen oder wirtschaftlichen Ideals anzustreben.“) Ebenso wie nun die Allgemeinheit ein Interesse daran hat, dass durch einen Arbeitsstreik eine Schule nicht kurzfristig ausfällt, hat sie erst recht kein Interesse daran, den langfristigen Bestand zu gefährden. Dieser kann durch Tarifverträge, die Schülerzahlen beschränken, beeinträchtigt werden. Wer kleinere Klassen vorgibt und die Lehrer dafür nicht findet, der lässt Schülerinnen und Schüler außen vor oder zwingt sie gegebenenfalls zumindest zu längeren Schulwegen. Forderungen müssen innerhalb vernünftiger Fristen umsetzbar sein Die Gemeinwohlwidrigkeit des Tarifvertrags kann schlechterdings in der Überforderung eines Arbeitgebers liegen, an Es bleibt Aufgabe der Rechtswissenschaft, das Bewusstsein zu verankern, dass Tarifautonomie und Gemeinwohl in enger Verbindung stehen. PROFESSOR DR. GREGOR THÜSING ist Inhaber und Direktor des Lehrstuhls für Arbeitsrecht am Institut für Arbeitsrecht der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Soziale Verantwortung 13

personalmagazin plus: Kanzleien 2022 Kanzleien im Arbeitsrecht 14 Von Frank Bollinger 1.599 Fälle erledigt und wichtige Grundsatzfragen geklärt

Rechtsprechungsrückblick 15 Im Jahr 2021 hat das Bundesarbeitsgericht seinem Jahresbericht zufolge 1.599 Fälle erledigt, darunter waren etliche Entscheidungen, die für die tägliche Praxis von hoher Bedeutung sind. Der Urlaubsanspruch bei Kurzarbeit, das Betriebsrisiko bei Corona, die Verpflichtung zur Ausstattung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit den notwendigen Arbeitsmitteln oder der Beweiswert einer Krankmeldung nach bereits erfolgter Kündigung waren unter anderem Themen des BAG im letzten Jahr. Wer trägt das Betriebsrisiko im Lockdown? Was ist mit den Minijobbern, die keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld haben? Antwort des BAG: Wird von staatlicher Seite ein allgemeiner Lockdown zur Bekämpfung der Corona-Pandemie verfügt und ein Betrieb muss vorübergehend schließen, so trägt der Arbeitgeber nicht das Risiko des Arbeitsausfalls. Er ist daher nicht verpflichtet, den Minijobbern, die keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld haben, ihr Entgelt unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs weiterzuzahlen. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13. Oktober 2021, Az. 5 AZR 211/21 Müssen Fahrradkuriere ihr eigenes Smartphone und ihr eigenes Fahrrad nutzen? Antwort des BAG: Fahrradlieferanten, die Speisen und Getränke ausliefern und ihre Aufträge über eine Smartphone-App erhalten, haben Anspruch darauf, von ihrem Arbeitgeber die für die Ausübung ihrer Tätigkeit essenziellen Arbeitsmittel zur Verfügung gestellt zu bekommen. Zu stellen sind insbesondere ein verkehrstüchtiges Fahrrad und ein Mobiltelefon. Zwar kann der Arbeitgeber von diesem Grundsatz abweichende vertragliche Regelungen treffen, aber diese sind nur dann wirksam, wenn dem Arbeitnehmer für die Nutzung des eigenen Fahrrads und des eigenen Mobiltelefons eine angemessene finanzielle Kompensation gewährt wird. Über den konkret entschiedenen Fall hinaus stellt dieses Urteil klar, dass es immer Sache des Arbeitgebers ist, seinen Arbeitnehmern die notwendigen Betriebsmittel zur Verfügung zu stellen, damit sie ihre Arbeit verrichten können. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10. November 2021, Az. 5 AZR 334/21 Ist eine Gewerkschaft, die in bestimmten Branchen nur sehr wenige Mitglieder hat, tariffähig? Antwort des BAG: Fehlt es einer Gewerkschaft an der erforderlichen Durchsetzungskraft in den von ihr beanspruchten Zuständigkeitsbereichen, dann ist sie keine tariffähige Arbeitnehmervereinigung. Deswegen ist die Berufsgewerkschaft DHV nicht tariffähig. Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 22. Juni 2021, Az. 1 ABR 28/20

personalmagazin plus: Kanzleien 2022 Kanzleien im Arbeitsrecht 16 Darf eine Ausschlussklausel alle Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag, die nicht innerhalb von drei Monaten geltend gemacht werden, für erloschen erklären? Antwort des BAG: Eine Ausschlussklausel darf nicht übergreifend für alle Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag vereinbart werden. Ansprüche aus unerlaubter Handlung und Ansprüche aus vorsätzlicher Vertragspflichtverletzung müssen stets ausgenommen sein, sonst ist eine Ausschlussklausel insgesamt unwirksam. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 9. März 2021, Az. 9 AZR 323/20 Wer muss die Detektivkosten bezahlen, wenn das Unternehmen wegen des Verdachts einer Straftat Ermittlungen in die Wege leitet? Antwort des BAG: Ein Unternehmen hatte anonyme Hinweise zu unsauberen Geschäftspraktiken einer Führungskraft bekommen. Um die Sache aufzuklären, wurde eine Anwaltskanzlei engagiert, die den Mitarbeiter (Jahreseinkommen 450.000 Euro) überwachen ließ. Dem Mann konnten erhebliche Verfehlungen nachgewiesen werden, die Überwachung kostete 210.000 Euro. Zusammen mit dem Ausspruch der Kündigung verlangte das Unternehmen den Ersatz der Ermittlungskosten. Das BAG lehnte den Ersatz für die Kosten der Überwachungsmaßnahmen ab. Kostenerstattung ist nur möglich, wenn der konkrete Verdacht einer erheblichen Verfehlung besteht, dieser Verdacht sich später bestätigt und die aufgewendeten Kosten für die Ermittlungsmaßnahmen erforderlich waren. Letzteres konnte das Unternehmen nicht darlegen. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29. April 2021, Az. 8 AZR 276/20 Haben ausländische Pflegekräfte Anspruch auf den Mindestlohn? Antwort des BAG: Werden ausländische Pflegekräfte nach Deutschland in einen Privathaushalt entsandt, um dort rund um die Uhr pflegebedürftige Senioren zu betreuen, dann haben sie nicht nur für die tatsächlich geleistete Vollarbeit Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn, sondern auch für die Zeiten, in denen sie sich im Bereitschaftsdienst in dem Haushalt aufhalten. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24. Juni 2021, Az. 5 AZR 505/20 Gibt es einen Urlaubsanspruch bei Kurzarbeit Null? Antwort des BAG: Fallen aufgrund von Kurzarbeit einzelne Arbeitstage vollständig aus, ist dies bei der Berechnung des Jahresurlaubs mindernd zu berücksichtigen, so das BAG. Von der Kürzungsmöglichkeit werden sowohl der gesetzliche Mindesturlaub als auch der vertragliche Mehrurlaub erfasst, wenn die Arbeitsvertragsparteien für die Berechnung des Urlaubsanspruchs keine von § 3 Abs. 1 BUrlG abweichende Vereinbarung getroffen haben. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 30. November 2021, Az. 9 AZR 225/21 Wie steht es um den Beweiswert einer Krankschreibung direkt nach der Kündigung? Antwort des BAG: Kündigt ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis und wird anschließend noch am Tag der Kündigung arbeitsunfähig krankgeschrieben, und zwar genau bis zum Ende der Kündigungsfrist, kann dies den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern. In einem solchen Fall darf der Arbeitgeber berechtigte Zweifel haben und es ist Sache des Arbeitnehmers, das tatsächliche Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit nachzuweisen. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 8. September 2021, Az. 5 AZR 149/21

Rechtsprechungsrückblick 17 Begründet die niedrigere Bezahlung einer Frau die Vermutung einer Diskriminierung? Antwort des BAG: Klagt eine Frau auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit, begründet ein niedrigeres Monatsentgelt als das vom Arbeitgeber nach §§ 10 ff. Entgelttransparenzgesetz mitgeteilte Vergleichsentgelt der männlichen Vergleichsperson regelmäßig die Vermutung, dass eine Benachteiligung beim Entgelt wegen des Geschlechts erfolgt. Es ist Sache des Arbeitgebers, diese Vermutung zu entkräften. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21. Januar 2021, Az. 8 AZR 488/19 Kann ein Arbeitnehmer pauschal verlangen, dass ihm aufgrund von Art. 15 Abs. 3 DSGVO eine Kopie sämtlicher über ihn vorhandener Daten ausgehändigt wird? Antwort des BAG: Ein Arbeitnehmer hatte verlangt, dass ihm die vollständige E-Mail-Korrespondenz des Unternehmens vorgelegt wird, in der irgendwo sein Name auftaucht. Dies fand das BAG zu pauschal und wies die Klage wegen eines zu unbestimmten Klageantrags ab. Das höchste deutsche Arbeitsgericht hat dabei ausdrücklich festgestellt, dass sich der Auskunftsanspruch eines Arbeitnehmers nicht auf eine unbestimmte Anzahl von E-Mails beziehen kann. Damit ein Anspruch auf Vorlage bestimmter Unterlagen überhaupt in Betracht kommen kann, muss der Arbeitnehmer sein Auskunftsbegehren auf bestimmte Dokumente oder E-Mails konkretisieren. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27. April 2021, Az. 2 AZR 342/20 WEITERHIN OFFENE PRAXISFRAGEN Immer öfter spielt das Europarecht für Entscheidungen des BAG eine Rolle. So kam es auch 2021 wieder zu etlichen Vorlagebeschlüssen an den EuGH, der nun zu den vorgelegten Fragen Stellung nehmen muss, bevor sie vom BAG endgültig entschieden werden können. Darf ein medizinischer Dienst einer Krankenkasse als Arbeitgeber sensible Gesundheitsdaten seiner eigenen Beschäftigten verarbeiten? Beschluss vom 26. August 2021 - 8 AZR 253/20 (A) Stehen die Anforderungen des Bundesdatenschutzgesetzes an die Abberufung eines betrieblichen Datenschutzbeauftragten im Einklang mit der europäischen Datenschutzgrundverordnung? Beschluss vom 27. April 2021 - 9 AZR 383/19 (A) Stellt eine tarifvertragliche Regelung, nach der die Zahlung von Überstundenzuschlägen nur für Arbeitsstunden vorgesehen ist, die über die regelmäßige Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers hinaus gearbeitet werden, nach europäischem Recht eine unzulässige Ungleichbehandlung von Vollzeitbeschäftigten und Teilzeitbeschäftigten dar? Beschluss vom 28. Oktober 2021 - 8 AZR 370/20 (A) Dürfen Tarifverträge regelmäßige Nachtarbeit schlechter vergüten als unregelmäßige? Entscheidungen hierzu können ausgesetzt werden, solange die dazu anhängigen Vorabentscheidungsersuchen noch offen sind. Beschluss vom 28. Juli 2021 - 10 AZR 397/20 (A) Ist es zulässig, § 7 Abs. 3 des Bundesurlaubsgesetzes so auszulegen, dass der bisher nicht erfüllte Urlaubsanspruch eines im Verlauf des Urlaubsjahrs arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers, der den Urlaub vor Beginn seiner Erkrankung im Urlaubsjahr noch hätte nehmen können, bei ununterbrochen fortbestehender Arbeitsunfähigkeit 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahrs auch dann erlischt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht aufgefordert hat, seinen Urlaub zu nehmen? Entscheidungen hierzu können ausgesetzt werden, solange das dazu anhängige Vorabentscheidungsersuchen noch offen ist. Beschluss vom 7. September 2021 - 9 AZR 3/21 (A) Ist es zulässig, § 7 Abs. 3 BurlG so auszulegen, dass der in der Arbeitsphase eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses erworbene, bisher nicht erfüllte Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub in der Freistellungsphase mit Ablauf des Urlaubsjahres erlischt? Beschluss vom 12. Oktober 2021 - 9 AZR 577/20 (A)

personalmagazin plus: Kanzleien 2022 Kanzleien im Arbeitsrecht 18 Das Thema Nachhaltigkeit haben nahezu alle Unternehmen bereits für sich entdeckt. Auch in den Personalabteilungen ist es angekommen. Wie Studien zeigen, stehen die meisten Unternehmen noch ganz am Anfang der nachhaltigen Transformation. Neue Regularien könnten Unternehmen bald zum Handeln zwingen. Eine Rolle wird dabei auch HR spielen. Von Meike Jenrich Die grüne Transformation Die Zeichen stehen überall auf Nachhaltigkeit. Das gesellschaftliche Bewusstsein dafür, dass Wirtschaften nicht auf Kosten der Umwelt und kommender Generationen gehen darf, scheint endgültig in der Arbeitswelt angekommen zu sein. Viele Unternehmen berichten bereits über ihre Nachhaltigkeitsaktivitäten, wobei der Fokus oft auf einer angestrebten Klimaneutralität liegt. Doch es geht beim Thema Nachhaltigkeit nicht allein darum, den Dekarbonisierungsprozess zu beschleunigen. Nachhaltiges Wirtschaften kann nur ganzheitlich gelingen. Das setzt voraus, dass neben den ökologischen zugleich auch soziale und ökonomische Nachhaltigkeitsbelange im Unternehmen berücksichtigt werden – oftmals als ESG-Kriterien (Environment, Social, Government) oder als CSR (Corporate Social Responsibility) bezeichnet. Wollen Betriebe nachhaltig agieren, kommt es daher nicht allein auf den CO2-Fußabdruck oder einen sparsamen Ressourcenverbrauch an, auch Aspekte wie die Diversität der Belegschaft oder die Anzahl von Frauen in Führungspositionen gewinnen immer stärker an Bedeutung. Hier kommt HR ins Spiel. Ein bisschen grün ist vorbei: Nur nachhaltige Unternehmen werden künftig erfolgreich sein Obwohl sich zahlreiche Unternehmen bereits ihrer Verantwortung gegenüber Gesellschaft und Umwelt bewusst sind: Die nachhaltige Transformation steht noch ganz am Anfang. Nur 0,1 Prozent aller Unternehmen in Deutschland sind wirklich nachhaltig. Mehr als 3.000.000 Unternehmen fristen im Hinblick auf ihre Nachhaltigkeitsorientierung noch ein Schattendasein, heißt es in einer neuen Studie des Rats für nachhaltige Entwicklung unter Leitung von Professor Remmer Sassen von der Technischen Universität Dresden. Oft fehlt es imUnternehmen noch an einem klaren Fahrplan für die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele. Oder es mangelt den wohlgemeinten Nachhaltigkeitsaktivitäten an Substanz – sei es, weil das nötige Know-how fehlt oder aber die richtige Haltung – Stichwort Greenwashing. Doch es gibt Zeichen, dass hier etwas in Bewegung kommt. Wer sich nach außen zur Nachhaltigkeit bekennt und keine messbaren Erfolge aufweisen kann, riskiert heutzutage schnell einen gravierenden Imageschaden. Die Erkenntnis, dass eine nachhaltige Ausrichtung notwendig ist, um in Zukunft wettbewerbsfähig zu sein, setzt sich in Unternehmen immer stärker durch. Das kann Dr. Hilke Posor, geschäftsführende Gesellschafterin der Heldenrat GmbH, einem Beratungsunternehmen mit Schwerpunkt auf nachhaltigemWirtschaften, bestätigen. „Der Druck wird größer und er kommt von vielen Seiten“, erklärt sie. Zum einen sind es die Kunden, die zunehmend Transparenz hinsichtlich der Lieferketten und einer nachhaltigen Produktion fordern. Zum anderen messen auch Mitarbeitende und Bewerber die Attraktivität eines Arbeitgebers verstärkt an dessen nachhaltigem Engagement. Wie wichtig das Thema Nachhaltigkeit bei der Jobsuche bereits ist, hat erst kürzlich eine Umfrage von Stepstone

und dem Handelsblatt Research Institute gezeigt. Drei von vier Befragten gaben an, dass die Bemühungen um Nachhaltigkeit eines zukünftigen Arbeitgebers für sie einen hohen Stellenwert hat. Doch Arbeitgeber geraten nicht nur deswegen in Zugzwang, ökologische und soziale Aspekte in der Unternehmensstrategie zu berücksichtigen. Ein weiterer Aspekt sind Investoren. Auch sie erwarten zunehmend, dass Unternehmen beim Klimaschutz und anderen Nachhaltigkeitsthemen handeln. Kurz gesagt, sie werden künftig nur in Unternehmen investieren, die den ESGKriterien entsprechen, sagt Hilke Posor. Wer nicht nachhaltig ist, wird damit Schwierigkeiten haben, die benötigten Finanzmittel zu erhalten. Neue CSR-Berichterstattungspflichten: Was kommt auf Unternehmen zu? Für Beschleunigung beim Thema Nachhaltigkeit sorgen darüber hinaus gerade wachsende rechtliche Vorgaben für Unternehmen. Dazu gehört einerseits das Lieferkettengesetz, das Unternehmen verpflichtet, Arbeits- und Menschenrechte in der gesamten Lieferkette einzuhalten, aber auch die gesetzlichen Regelungen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. Im Hinblick auf die neuen, sich deutlich verschärfenden CSR-Pflichten wird auch das Personalwesen einen Beitrag leisten müssen. HR-Verantwortliche sollten dabei insbesondere auch das Arbeitsrecht im Blick haben. Die Pflicht zur sogenannten nichtfinanziellen Berichterstattung betrifft bislang nur größere börsenorientierte Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden. Diese müssen seit 2017 aufgrund des CSR-Richtlinien-Umsetzungsgesetzes (CSR-RUG) einen Nachhaltigkeitsbericht vorlegen. Darin haben die betroffenen Unternehmen ausführliche Informationen zu allen ESG-Faktoren offenzulegen. Neben Angaben zu Umwelt- und Klimaschutz (Environment) sowie zu einer verantwortungsvollen Unternehmensführung (Governance) sind auch solche zu den Sozial- und Arbeitsbelangen (Social) im Unternehmen darzulegen. Das „S“ in ESG gewinnt dadurch immer mehr an Bedeutung. Es umfasst neben der Einhaltung der Menschenrechte in der Lieferkette auch zahlreiche HR-spezifische Themen: Die Einhaltung der Arbeitsrechte, angemessene Bedingungen am Arbeitsplatz, faire Vergütung, Aus und Weiterbildungschancen, hohe Standards beim Gesundheitsschutz und der Arbeitssicherheit, Mitarbeiterbeteiligung, Gleichberechtigung und Diversität im Betrieb sind nur einige der zu nennenden Aspekte. Künftig deutlich mehr Transparenz durch Ausweitung der Nachhaltigkeitsberichterstattung Zurzeit wird die bisherige CSR-Richtlinie überarbeitet. Noch 2022 soll die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) in Kraft treten und voraussichtlich bereits ab 2024 für das Ge-

personalmagazin plus: Kanzleien 2022 Kanzleien im Arbeitsrecht 20 schäftsjahr 2023 gelten. Deutschland muss die veränderten Anforderungen der Richtlinie in nationales Gesetz umsetzen und das CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz (CSR-RUG) entsprechend anpassen. Damit verbunden sind umfassende Änderungen bei der Berichterstattung, die Auswirkungen auf eine Vielzahl an Unternehmen haben werden. Auch für kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) werden die CSR-Pflichten in den nächsten Jahren an Bedeutung zunehmen. „Zu wenig Unternehmen wurden bisher erfasst“, sagt Markus Duscha, Gründer des Fair Finance Instituts. In Kooperation mit dem Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) und der Arqum GmbH hat er im Auftrag des Umweltbundesamts (UBA) die bisherige CSR-Berichterstattung evaluiert. Künftig soll sich die Anzahl der von einer Berichtspflicht umfassten Unternehmen erhöhen. Die CSR-Pflicht gilt dann nicht mehr nur für kapitalmarktorientierte Unternehmen, sondern auch für Unternehmen, • die im Schnitt eines Geschäftsjahrs mehr als 250 Mitarbeiter haben, • deren Umsatzerlöse mehr als 40 Millionen Euro betragen • oder deren Bilanzsumme bei mehr als 20 Millionen Euro liegt. Dabei reicht es aus, wenn zwei der drei Kriterien erfüllt sind, um als Unternehmen unter die Berichtspflicht zu fallen. „Statt derzeit 500 werden es sicher über 10.000 Unternehmen in Deutschland sein, die über ihre Nachhaltigkeitsaktivitäten zu berichten haben“, schätzt Markus Duscha. Ein weiteres Manko soll mit der überarbeiteten CSR-Berichtslinie behoben werden: die fehlende Vergleichbarkeit. Zurzeit sind die Informationen, die Unternehmen veröffentlichen, noch kaum miteinander vergleichbar. Denn Unternehmen müssen bisher nicht nach verbindlichen Standards berichten – auch eine externe Prüfung der Inhalte ist nicht vorgesehen. Das soll sich künftig ändern. Damit Berichte konkreter, transparenter und vergleichbarer werden, arbeitet die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) zurzeit im Auftrag der EU-Kommission an verbindlichen EU-Standards für die Berichterstattung. Klare Indikatoren sollen die einzelnen Nachhaltigkeitsthemen – auch im Bereich Soziales – dann für Investoren, Kunden und andere Stakeholder messbar und vergleichbar machen. Diese werden sich aller Voraussicht nach zu einem Teil an den internationalen Standards der Global Reporting Initiative (GRI) orientieren. Viele Unternehmen in Deutschland richten ihre derzeitige Berichterstattung bereits nach GRI-Standards oder denen des Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) aus. Die Leistungsindikatoren der Global Reporting Initiative im Bereich Aus- und Weiterbildung sehen beispielsweise vor, dass Unternehmen aufgeschlüsselt nach Geschlecht die durchschnittliche Stundenzahl benennen müssen, die Beschäftigte während des Berichtszeitraums für die Aus- und Weiterbildung aufgewendet haben. In Bezug auf die Vielfalt im Unternehmen sind konkrete Prozentsätze für die Diversitätskategorien Geschlecht, Alter oder Minderheiten/ schutzbedürftige Gruppen zu benennen. Noch befinden sich die neuen EU-Standards in der Abstimmung, sodass abzuwarten bleibt, was im Einzelnen gefordert ist. Es steht jedoch bereits fest, dass der Nachhaltigkeitsbericht künftig nicht mehr separat möglich sein wird. Geplant ist stattdessen, dass er ein Teil des Finanzberichts wird. In Zukunft wird es auch eine externe, qualifizierte Kontrollinstanz geben, die eine inhaltliche Überprüfung der Berichte vornimmt. Damit können Nachhaltigkeitsleistungen von Unternehmen in absehbarer Zeit genauso überprüft werden wie die Finanzbilanzen. Pflicht und Chance: HR muss und darf gelebte Nachhaltigkeit im Unternehmen mitgestalten Die Nachhaltigkeitsberichterstattung wird also deutlich verschärft. Unternehmen müssen sich darauf vorbereiten. Welche Herausforderungen sind damit verbunden? Und welche Rolle spielen Personalabteilungen? HR kann bei der Vermittlung von auf Nachhaltigkeit bezogenen Unternehmenswerten eine Rolle spielen – aber nicht nur das. Personalabteilungen werden auch gefragt sein, die entsprechenden Inhalte und Kennzahlen für den Nachhaltigkeitsbericht im Bereich Soziales und Arbeitnehmerbelange zu liefern. Unternehmen, die die Berichtspflichten nicht erfüllen, drohen Haftungsrisiken. Bei den Themen faire Bezahlung, flexible Arbeitszeiten, Gleichstellung und Inklusion, Aus- und Weiterbildung, Beteiligung der Mitarbeitervertretungen, Antidiskriminierung, Geschlechtergerechtigkeit, Inklusion oder Gesundheitsschutz gibt es einen großen Handlungsspielraum. Die arbeitsrechtlichen Vorgaben in diesem Bereich zu kennen und richtig umzusetzen, versteht sich von selbst. Das Personalwesen kann und sollte aber auch gestaltend tätig werden. Aufgrund der neuen Berichtspflichten wird die Nachhaltigkeit imUnternehmen durch die konkreten Indikatoren zunehmend transparenter und messbarer werden. Unternehmen, die es schaffen, sich glaubwürdig zum Thema Nachhaltigkeit zu positionieren, haben eine Unternehmen, die es schaffen, sich glaubwürdig zum Thema Nachhaltigkeit zu positionieren, haben die Chance, sich klare Wettbewerbsvorteile zu sichern.

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