Personalmagazin: Die Pandemie hat für einen enormen Beschleunigungseffekt der Digitalisierung gesorgt. Was sind die arbeitsrechtlichen Auswirkungen dieses Strukturwandels? Tobias Pusch: Durch die Pandemie waren Arbeitgeber plötzlich gezwungen, Homeoffice-Modelle einzuführen und praktisch umzusetzen. Cloud Computing hat endgültig Einzug in unsere moderne Arbeitswelt gehalten. In Betrieben mit Betriebsrat hat die zwingende Mitbestimmung über die Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen hierdurch nochmals an Praxisrelevanz gewonnen. Ferner führt die Digitalisierung zu veränderten Arbeitsplatzstrukturen. Neue Arbeitsformen wie Crowdworking werden in einigen Bereichen zum veritablen Geschäftsmodell. Das Gesetz kann oftmals nicht Schritt halten, sodass es derzeit vor allem die Arbeitsgerichte sind, die den rechtlichen Rahmen abstecken. Schließlich schlägt sich die Digitalisierung auch in Mandatsbeziehungen nieder. Die Zugänglichkeit von Legal Tech Tools ermöglicht es Arbeitgebern, bestimmte Arbeitsprodukte ohne besondere Komplexität, etwa Arbeitszeugnisse, selbst anzufertigen. Von ihren Beratern erwarten Unternehmen daher zu Recht, dass sie auch digital auf Augenhöhe arbeiten und hochkarätiges Expertenwissen in komplexen Fragestellungen bieten. Was ist bei der künftigen Ausgestaltung von Homeoffice/mobiler Arbeit besonders zu beachten und wie können es die Unternehmen schaffen, ihre kulturelle Identität zu bewahren? Thomas Wahlig: Nach unserer Wahrnehmung verschärft die Verlagerung der Arbeitsleistung in die häusliche Umgebung die schon bekannte HerausfordePusch: Digitalisierung und Remote Work erfordern auch im Bereich der Firmenkultur ein Umdenken. Während sich manche Mitarbeitende problemlos über digitale Plattformen zu Besprechungen oder einem virtuellen Kaffee verabreden, gibt es andererseits Mitarbeitende, die wenig technikaffin sind oder Vorbehalte, etwa gegen die Nutzung der Kamerafunktion bei Video-Calls, hegen. Meines Erachtens ist die wichtigste Weichenstellung auf Arbeitgeberseite, die Werte der Firmenkultur zu definieren, ihnen im Alltag die erforderliche Aufmerksamkeit einzuräumen und gezielt Raum für digitale oder persönliche Zusammenkünfte der Mitarbeitenden zu schaffen. Nachhaltigkeit ist in aller Munde. Auch die Kanzleien beraten zu ESG-Themen. Spielen ESG-Aspekte auch im HR-Bereich eine Rolle? Wenn ja, wie? Wahlig: Absolut. Was sich hinter ESG verbirgt, ist sehr weitreichend. Insbesondere beschränkt sich der Nachhaltigkeitsgedanke nicht auf Umweltaspekte, sondern ist umfassend zu verstehen. Die Oberbegriffe „ESG“ beziehungsweise „Corporate Sustainability“ (CSR) sind längst nicht mehr nur ein Spiegel des Zeitgeists, sondern bestimmen Investitionsflüsse und die künftige Aufstellung von Unternehmen imMarkt. Der Großteil unserer Mandanten befasst sich bereits aus intrinsischen Motiven mit Nachhaltigkeitsaspekten. Wer dies bislang vernachlässigt hat, wird bald Gelegenheit erhalten, sich hiermit auseinanderzusetzen. Bereits imApril 2021 hat die EU-Kommission einen Richtlinienvorschlag zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen vorgelegt. Hier kommen neue Aufgaben auf die Personalabteilungen in Unternehmen zu, die vom Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst sind. rung der Compliance mit dem Arbeitszeitgesetz und dem Arbeitsschutzrecht insgesamt. Insbesondere bei leistungsorientierten Mitarbeitenden verschwimmen oft die Grenzen zwischen Arbeits-, Pausen- und Ruhezeiten. Gleichzeitig nehmen Bewerbende Remote Work nicht mehr als Zugeständnis, sondern als Selbstverständlichkeit wahr. Dies betrifft insbesondere auch das „Hot Topic“ des mobilen Arbeitens im Ausland. Wer im Verteilungskampf um Fachkräfte obsiegen will, muss kreative und zugleich möglichst rechtssichere Lösungen für die komplexen arbeits-, sozialversicherungs- und steuerrechtlichen Fragestellungen finden. Das herkömmliche Büro muss im Wettbewerb zu Remote Work attraktiv sein und ein Ort der Begegnung und des Austauschs werden. Dies stellt auch neue Herausforderungen an die bauliche Gestaltung. „ Das herkömmliche Büro muss im Wettbewerb zu Remote Work attraktiv sein und ein Ort der Begegnung werden.“ Interview mit Dr. Tobias Pusch und Thomas Wahlig Pusch Wahlig 45
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