dessen Betrieb die Gemeinschaft ein besonderes Interesse hat. Was die Allgemeinheit gegenüber dem einzelnen Arbeitgeber noch hinnehmen mag, wird umso problematischer, wo es nicht alleine um eine Schule geht, sondern um die Schuldienste in Berlin generell. Kleinere Klassen können nur dann gefordert werden, wenn sie denn realistisch kurzfristig umsetzbar sind. Das Unmögliche kann nicht zur Verpflichtung gemacht werden – das wusste schon das römische Recht. Möglich wäre es also, dass die GEW etwa Belastungszulagen für Lehrer fordert, die größere Klassen unterrichten müssen. Das hätte den Vorteil, dass große Klassen kein „Sparmodell“ zulasten der Klassengemeinschaft und Lehrerschaft wären, sondern es veritable Anreize gäbe, möglichst viele Lehrer möglichst schnell einzustellen. Lernwillige abweisen zu müssen, weil Klassengrenzen überschritten wären und zusätzliche Lehrkräfte am Markt nicht verfügbar sind – das kann kein Tarifvertrag wirksam regeln. Element des Gemeinwohls ist zumindest alles, was das Bundesverfassungsgericht als Teil des Sozialstaatsprinzips anerkannt hat, und dazu gehören die schulische Bildung und die Wahrung gleicher Bildungschancen allemal. Die Existenz eines – gegebenenfalls aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abzuleitenden – individuellen „Rechts auf Bildung“ ist zwar umstritten – als Zielgröße staatlicher Regelung und Topos verfassungsrechtlicher Rechtfertigung ist die Bildung jedoch unbestritten. Tarifautonomie und Gemeinwohl sind eng verbunden Das Fazit ist kurz. Die Grundrechtsbindung der Tarifverträge ist in ihren Verästelungen nur schwach ausgeleuchtet. All das muss – weil es ein Arbeitskampfrecht nicht gibt – die Rechtsprechung allein aus den dürren Worten des Grundgesetzes herleiten. Andere Fälle – wie etwa die aktuell geforderten Pflegequoten in Krankenhäusern, für die Pflegerinnen und Pfleger vielleicht amMarkt gar nicht vorhanden sind – sind ähnlich strukturiert. Auch hier stellen sich die aufgeworfenen Fragen im gleichen Maß. Weil Gemeinwohl ein vielschichtiger und deutungsvariabler Begriff ist, muss sich die Rechtsprechung auf das zurückziehen, was konsensfähig ist, und kann vielleicht nur die Fälle offensichtlicher Unvereinbarkeit in den Blick nehmen. Wer diese schwere Aufgabe nicht allein auf die Schultern der Richter legen will, wird ein Tätigwerden des Gesetzgebers erhoffen, der einen dieser Konflikte selbst lösen mag. Auch wenn sich der Gesetzgeber wohl zurückhalten wird, bleibt es Aufgabe der Rechtswissenschaft, das Bewusstsein zu verankern, dass Tarifautonomie und Gemeinwohl in einer engen Verbindung stehen, dass sie oftmals gleichgerichtet sind, aber in einigen Fällen doch in verschiedene Richtungen deuten. Das Ziel ist klar, jeder Schritt auf demWeg dahin ist verdienstvoll. recht besteht nicht grenzenlos. Streik und Tarifvertrag sind Optionen in den Grenzen des Gemeinwohls. Das ist keine bloße regulative Idee, sondern konkrete Anforderung an das Handeln der Akteure. Die soziale Verantwortung der Koalitionen gegenüber der Allgemeinheit manifestiert sich, betrachtet man allein die arbeitsrechtliche Rechtsprechung, am deutlichsten im Arbeitskampf. Sie gebietet, Arbeitskämpfe so weit wie möglich zu vermeiden. Streik und Aussperrung sind erst zulässig, wenn sie das letzte Mittel zur Erzielung eines Kompromisses sein können. „Arbeitskämpfe müssen … unter dem obersten Gebot der Verhältnismäßigkeit stehen. Dabei sind die wirtschaftlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen, das Gemeinwohl darf nicht offensichtlich verletzt werden“, stellte das Bundesarbeitsgericht schon vor über 50 Jahren fest. Und was für den Weg zum Tarifvertrag gilt, das gilt erst recht für den Tarifvertrag selbst. Es darf sicherlich keine Tarifzensur dahingehend geben, dass die Gerichte die Tarifverträge und Streikforderungen danach beurteilen, was sie für sinnvoll und was sie nicht für sinnvoll halten. Aber auch für Deutschland gilt, was Archibald Cox, einst Nestor des kollektiven Arbeitsrechts der USA, vor mehr als 70 Jahren festgestellt hat: „It would not be wise policy to pursue industrial peace at the expense of every other social or economic ideal.“ („Es wäre keine kluge Politik, den Arbeitsfrieden auf Kosten jedes anderen sozialen oder wirtschaftlichen Ideals anzustreben.“) Ebenso wie nun die Allgemeinheit ein Interesse daran hat, dass durch einen Arbeitsstreik eine Schule nicht kurzfristig ausfällt, hat sie erst recht kein Interesse daran, den langfristigen Bestand zu gefährden. Dieser kann durch Tarifverträge, die Schülerzahlen beschränken, beeinträchtigt werden. Wer kleinere Klassen vorgibt und die Lehrer dafür nicht findet, der lässt Schülerinnen und Schüler außen vor oder zwingt sie gegebenenfalls zumindest zu längeren Schulwegen. Forderungen müssen innerhalb vernünftiger Fristen umsetzbar sein Die Gemeinwohlwidrigkeit des Tarifvertrags kann schlechterdings in der Überforderung eines Arbeitgebers liegen, an Es bleibt Aufgabe der Rechtswissenschaft, das Bewusstsein zu verankern, dass Tarifautonomie und Gemeinwohl in enger Verbindung stehen. PROFESSOR DR. GREGOR THÜSING ist Inhaber und Direktor des Lehrstuhls für Arbeitsrecht am Institut für Arbeitsrecht der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Soziale Verantwortung 13
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