Digitale Rentenübersicht Welche Pflichten auf Arbeitgeber jetzt zukommen Sozialpartnermodelle Warum die Tarifparteien jetzt umdenken „Grüne bAV“ Wie nachhaltig die aktuellen Produktangebote wirklich sind personalmagazin plus 12.22 plus Betriebliche Altersversorgung Die Vorzeichen ändern sich
Editorial 3 plus personalmagazin plus: bAV Titelbild: Daniel Stolle; Foto: Peter Granser Liebe Leserinnen und Leser, die Zeitenwende für die bAV haben wir zum Schwerpunkt unserer diesjährigen Ausgabe des Personalmagazin plus gewählt. Wir fokussieren uns dabei auf die Veränderungen, die die Inflation und Zinswende, aber auch das steigende Interesse an Nachhaltigkeit bei Kapitalanlagen für die bAV bringen. Parallel zu diesen krisenbedingten Bewegungen scheinen auch neue Zeiten für ein Modell anzubrechen, das von Skeptikern gerne auch mal als „totes Pferd“ oder „Ladenhüter“ bezeichnet wurde. Die Rede ist vom Sozialpartnermodell, hinter dem die Idee einer zwischen den Tarifpartnern vereinbarten Altersversorgung ohne Garantiehaftung des Arbeitgebers steht. Eingeführt mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz zum 1.1.2018 sollte diese Konstruktion helfen, die betriebliche Altersversorgung in die Fläche zu bringen und vor allem auch Personen zu erreichen, die sich eine ausreichende Altersvorsorge vorher nicht leisten konnten. Lange schien es, als würde die gute Idee in der Praxis scheitern – der Widerstand der Gewerkschaftsseite gegen die sogenannte Zockerrente war groß. Befürchtete man doch, ein Verzicht auf die arbeitgeberseitige Einstandspflicht könne dazu führen, dass mit den Beiträgen der Arbeitnehmer an der Börse spekuliert werde und letztlich die Betriebsrente ganz wegfallen könne. Doch der Stillstand scheint überwunden: Die Chemie-Tarifparteien gaben Anfang September in Berlin bekannt, das bundesweit erste auf einem Flächentarifvertrag basierende Sozialpartnermodell einführen zu wollen. Die Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde BaFin steht zum Zeitpunkt dieser Zeilen noch aus, wird aber noch in diesem Jahr erwartet. Die Beteiligten sehen in ihrer Vereinbarung Modellcharakter. Ob sie tatsächlich den erhofften Schub für die bAV bringt und hilft, dem von Staatssekretär Rolf Schmachtenberg jüngst erklärten Ziel einer bAV-Durchdringung von 80 Prozent näher zu kommen, wird sich zeigen. Es bleibt spannend – und wir bleiben dran. Katharina Schmitt Redaktion Personalmagzin „Ob der Tarifvertrag der Chemiebranche tatsächlich den erhofften Schub bringt, muss sich erst noch zeigen.“ Inhalt 04 Inflation und Zinswende Die Auswirkungen auf die betriebliche Altersversorgung 12 „Sprengstoff Rentenerhöhung“ Interview mit Friedemann Lucius zur Zeitenwende in der bAV 14 Nachhaltig überzeugen Angebote zur „grünen bAV“ auf dem Prüfstand 18 Zurück zur Schrift Das Nachweisgesetz und die Entgeltumwandlung 22 Mehr Überblick Auskunftspflichten für die digitale Rentenübersicht 28 Sozialpartnermodelle am Start Erste Tarifabschlüsse zur Zielrente ohne Garantie 34 Jung, mobil, abgesichert Die Europarente erleichtert die Mitnahme der Privatvorsorge 38 Portabilität Ein Wegweiser zur Übernahme der bAV beim Stellenwechsel 42 „Schwachpunkte der Beratung“ Thomas Dommermuth zum bAV-Kompetenz-Rating 44 Harmonisierung im Fokus Restrukturierung der bAV beim Technologieanbieter Advantest 48 Der kleine Unterschied Leistungsvergleich aktueller Versorgungsangebote
personalmagazin plus: bAV
Schwerpunkt 5 Zeitenwende in der bAV Von Kay Schelauske, Illustrationen Daniel Stolle Steigende Zinsen und erhöhte Inflationsraten ändern die Vorzeichen beim Aufbau von Pensionsvermögen. Direktzusagen erfordern Anpassungen der Arbeitgeber. Lebensversicherer konsolidieren. FirmenPensionskassen machen einen Schritt nach vorn, aber der Weg bleibt steinig.
Betriebliche Altersversorgung 6 personalmagazin plus: bAV Auf satte zehn Prozent kletterte die Inflationsrate im September 2022 im Vergleich zum Vorjahresmonat. Maßgebliche Preistreiber waren der horrende Anstieg der Energiepreise seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs und die massiv erhöhten Nahrungsmittelpreise, informierte das Statistische Bundesamt. Neben dem Auslaufen des staatlich subventionierten Neun-Euro-Tickets und Tankrabatts sorgten steigende Erzeugerpreise sowie anhaltende Lieferkettenstörungen infolge der Coronapandemie für weiteren Preisauftrieb. Wirtschaft und Gesellschaft stecken mitten in der Energiekrise. Denn die erhöhte Inflation ist gekommen, um zu bleiben. In den ersten Monaten des kommenden Jahres dürfte die Preissteigerungsrate weiter zweistellig ausfallen, erwartet die Bundesbank. Für 2023 prognostizierten die vier führenden Wirtschaftsforschungsinstitute eine erhöhte Inflationsrate von 8,8 Prozent sowie einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,4 Prozent. Dabei gehen die Ökonomen davon aus, dass es im nahenden Winter bei normalen Witterungsbedingungen zu keiner Gasmangellage kommen wird. Alles dies sorgt für massiven Handlungsdruck bei Notenbankern und Politikern: Während die Bundesregierung Unternehmen und Bevölkerung durch Hilfspakete in dreistelliger Milliardenhöhe entlasten will, beendet die Europäische Zentralbank (EZB) die seit über zehn Jahren bestehende Niedrigzinsphase. In nur zwei Schritten erhöhte die EZB den Leitzins kräftig auf 1,25 Prozent, gut drei Monate nachdem die US-Notenbank die Zinswende eingeleitet hatte. Wohin die „Zins-Reise“ gehen wird, wollen die europäischen Notenbankerinnen und Notenbanker von Sitzung zu Sitzung entscheiden. Viele Ökonomen sind jedoch der Auffassung, dass die Reise nicht so schnell enden wird. Die EZB-Chefin Christine Lagarde ließ jedenfalls einmal mehr keinen Zweifel daran, dass der Leitzins weiter steigen könnte und zwar auf ein Niveau, das die Wirtschaft bremst. In der Wirtschaft mehren sich die Hiobsbotschaften von Produktionsverlagerungen, Stilllegungen von Fertigungsanlagen und Betriebsschließungen. Der Mittelstand berichtet von Liquiditätsengpässen. Erste Insolvenzmeldungen sorgen für Schlagzeilen. Wie steht es in diesen Krisenzeiten um die betriebliche Altersversorgung (bAV)? Sorgen Direktzusagen für zusätzliche Belastungen bei Arbeitgebern? Wie wirkt sich die Zeitenwende an den Kapitalmärkten auf die externen Versorgungsträger aus, allen voran Lebensversicherer und Pensionskassen? Anstieg des Rechnungszinses bringt massive Entlastung bei vielen Direktzusagen Eine gute Nachricht gibt es für Unternehmen, die nach internationalen Rechnungslegungsstandards bilanzieren: Laut Willis Towers Watson (WTW) können sich die Arbeitgeber nach der ersten Hälfte dieses Jahres über einen starken Rückgang ihrer Pensionsverpflichtungen für ihre Direktzusagen im Umfang von 20 bis 30 Prozent freuen. „Denn in dieser Zeit stieg der Rechnungszins bereits um etwa 220 Basispunkte, eine beispiellose Änderungsrate seit Bestehen der Bewertungsstandards“, begründet dies Hanne Borst, die Anfang Oktober die Leitung des Geschäftsbereichs Retirement Deutschland bei der Beratungsgesellschaft übernommen hat. Der Rechnungszins wird marktaktuell auf Basis von langlaufenden Unternehmensanleihen mit AA-Rating gebildet. Steigt dieser Zins, führt dies im Zuge der Abzinsung zu dem Ergebnis, dass heute weniger Kapital aufgewendet werden muss, um eine bestimmte Rentenzahlung in 20 oder mehr Jahren zu leisten. „Je nachdem, wie langfristig die Pensionsverpflichtungen ausgestaltet sind, kann der Rückgang bei manchen Unternehmen sogar die Hälfte des Verpflichtungsumfangs ausmachen“, ergänzt Rainer Bannör, Senior Manager und Aktuar (DAV/IVS) bei Lurse Pension & Benefits Consulting. Dieser Effekt ist aber zumeist bilanzieller Natur, also nicht liquiditätswirksam, erläutert Bannör. Anders sei dies, wenn Vermögenswerte nur für die Pensionsverpflichtungen reserviert wurden, wie es üblicherweise bei Contractual Trust Arrangements, kurz CTA, der Fall ist. Ergibt sich dann eine Überdeckung, weil die Pensionsvermögen die Verpflichtungen übersteigen, könnte sich die Frage stellen, ob die Überschüsse für andere Zwecke verwendet werden sollen. „Dies ist aber an Voraussetzungen geknüpft, und es bleibt die Frage, ob der Zinsanstieg wirklich von Dauer sein wird“, gibt Bannör zu bedenken. Aber: Sofern die Notenbanken ihre restriktive Geldpolitik tatsächlich beibehalten, dürfte sich dieser Trend sogar noch verstärken, meint Borst. „Ich gehe mit großer Wahrscheinlichkeit davon aus, dass der internationale Rechnungszins auch Ende 2022 deutlich über dem Vorjahresniveau liegen wird“, resümiert die WTW-Expertin. Rentenerhöhungen führen zu hohen Belastungen Unternehmen mit Direktzusagen, die nach HGB bilanzieren, lässt die Lage bei der Bewertung ihrer Pensionsverpflichtungen kaum frohlocken. Maßgeblich ist hier ein von der Bundesbank ermittelter zehnjähriger Durchschnittszinssatz. „Daher schlägt der aktuell erhöhte Rechnungszins nicht so stark durch KAY SCHELAUSKE ist Finanz- und Wirtschaftsjournalist. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich Kapitalanlage und Altersvorsorge.
Schwerpunkt 7 geführten Studie zeige sich, dass ein Anstieg der Inflation um 0,5 Prozent bei den Dax-Pensionsplänen zu einer Erhöhung der Pensionsverpflichtungen um etwa 2,5 Prozent führt. „Die Folgen der Energiekrise offenbaren, wie wichtig es für Unternehmen sein kann, ihre bAV zu managen“, sagt Borst und verweist auf den Aufbau von Planvermögen: Als Teil der Pensionsverpflichtung ist dieses speziell für die Begleichung der Pensionsverpflichtungen reserviert und kann beispielsweise für die nun erhöhten Rentenzahlungen verwendet werden. Lediglich der verbleibende Teil der Pensionsverpflichtung wird als Pensionsrückstellung in der Bilanz ausgewiesen. Friedemann Lucius, Vorstandssprecher von Heubeck, weist jedoch darauf hin, dass die Anpassungen der Pensionsverpflichtungen zusammen mit den zuvor beschriebenen Rentenerhöhungen den Pensionsaufwand für Arbeitgeber um den Faktor drei oder vier erhöhen könnten, ganz zu schweigen beim Einsatz von Planvermögen. „Da steckt Sprengstoff drin, gerade für HGB-Bilanzierer“, betont Lucius (lesen Sie dazu auch das Interview auf Seite 12 f.). Nicht zuletzt mit Blick auf die Bilanz setzen viele Unternehmen auf externe Versorgungsträger. Das kann die gesamte bAV betreffen, einzelne Bereiche wie die Entgeltumwandlung oder ausgelagerte Anwartschaften. Letzteres geschieht häufig über Pensionsfonds. Sofern sie nicht versicherungsförmig ausgestaltet sind, sehen sie sich aktuell mit sehr volatilen Kapitalmärkten und Kurseinbrüchen in manchen Anlageklassen konfrontiert, je nachdem, wie sie ihre größeren Freiräume bei und führt kaum zu bilanziellen Entlastungen aufseiten der Unternehmen“, sagt die Leiterin Retirement Deutschland bei WTW. „Der langjährige Abwärtstrend ist gestoppt und damit die ansteigenden Belastungen für Unternehmen, weil die Pensionsverpflichtungen tendenziell stetig aufgestockt werden mussten“, ergänzt der Senior Manager von Lurse und fügt hinzu: „Aber bis es zu einem spürbaren Zinsanstieg und somit zu einer spürbaren Entlastung kommt, kann es noch dauern.“ Gravierend ist die Lage bei den inflationsbedingten Anpassungen von Anwartschaften und Renten. Viele Unternehmen haben sich dafür entschieden, ihre laufenden Rentenzahlungen alle drei Jahre im Rahmen der gesetzlich geforderten Anpassungsprüfungspflicht an den Verbraucherpreisindex Deutschland anzupassen. Nach Erfahrungen der bAV-Expertin von WTW geschieht dies üblicherweise gebündelt im Januar oder im Juli eines Jahres. „Anfang oder Mitte 2023 kommt daher auf die betreffenden Unternehmen ein erhöhter Cash-Abfluss zu, weil die Rentenzahlungen angesichts der erhöhten Inflation dann um über zehn Prozent erhöht werden müssen“, sagt Borst. „Bei der bilanziellen Anpassung von Pensionsverpflichtungen an die Preissteigerungen können wir hingegen Entwarnung geben“, ergänzt die Leiterin Retirement Deutschland. Denn hier wird eine langfristige Annahme gewählt, die sich an dem mittelfristigen Inflationsziel der EZB orientiert. Ergo wählen Unternehmen derzeit eine Inflationsannahme von zwei bis 2,5 Prozent. Gemäß einer jährlich von WTW durch-
Betriebliche Altersversorgung 8 personalmagazin plus: bAV der Kapitalanlage nutzen. „Sie müssen ihre Kapitalanlage zu Marktwerten und ihre Verpflichtungen hinreichend sicher bewerten, die Anlagerisiken trägt letztlich der Arbeitgeber in Form von Nachschusspflichten“, sagt der Heubeck-Vorstandssprecher. Deutlich engeren Anlagegrenzen unterliegen Lebensversicherer und Pensionskassen. Ihnen eröffnet daher der Zinsanstieg neue Anlagemöglichkeiten und Renditechancen im Anleihesegment, wie es sie seit vielen Jahren nicht mehr gegeben hat. Keine steigenden Überschüsse in Sicht „Steigende Zinsen führen mittelfristig wieder zu höheren laufenden Kapitalerträgen und somit zur weiteren Sicherung der Finanzierung der eingegangenen Garantien und Verpflichtungen“, bestätigt Norbert Pieper, zuständiger Pressesprecher bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin), die positiven Auswirkungen jüngster Entwicklungen für Lebensversicherer und für Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge (EbAV). Während der Zinsanstieg beim Kauf von neuen Anleihen höhere Erträge eröffnet, verursacht er im Anleihebestand stille Lasten, weil die Kurse der gehaltenen Anleihen sinken. Insofern führt der Zinsanstieg nicht nur zum Abschmelzen von stillen Reserven, sondern zu einem verstärkten Aufbau stiller Lasten. Sofern Lebensversicherer ebenso wie EbAV die Wertpapiere im Anlagevermögen führen und bis zur Endfälligkeit halten, ist dies jedoch auch aus Sicht der Finanzaufsicht unproblematisch. Zudem weist der zuständige Sprecher darauf hin, dass die Solvenzquoten der Gesellschaften gestiegen sind, sodass Unterdeckungen vermieden würden und immer weniger Unternehmen auf Solvency-II-Übergangsmaßnahmen angewiesen seien. Nachfragen bei einigen Lebensversicherern verdeutlichen, wie sich die Zeitenwende auf die Kapitalanlage und Ertragslage der Produktanbieter auswirkt. „Grundsätzlich sind die aktuell steigenden Zinsen eine gute Nachricht für die Kunden der Allianz Lebensversicherung, da wir in der Neuanlage von täglich rund 200 Millionen Euro von den höheren Zinsen profitieren“, bestätigt Volker Priebe, Vorstand Privatkunden und Produkte bei dem Versicherer. Aufgrund der breiten Diversifikation der Kapitalanlage von über 320 Milliarden Euro sei man aber nur mittelbar von den Zinsentscheidungen der EZB beeinflusst. Priebe verweist zudem auf verstärkte Investments in Substanzwerte, die Inflationsschutz bieten und einen Portfolioanteil von 28 Prozent ausmachen. Gemeint sind Aktien, Immobilien, Infrastrukturanlagen und generell alternative Anlagen, die nicht an der Börse gehandelt werden. Eine verstärkte Zuwendung in Richtung alternative Anlagen charakterisiere seit einigen Jahren auch die Anlagepolitik des Volkswohl-Bundes. Hinzu kommt die Steuerung passivseitiger Risiken über ein Durations-Portfolio innerhalb des Anleihesegments. Auf diese Weise lasse sich ein Matching erreichen, das dafür sorge, dass die auf der Passivseite der Bilanz abgebildeten garantierten Verpflichtungen aus den verkauften Versicherungsverträgen mit den Laufzeiten der Papiere im Beim Kauf von Anleihen eröffnet der Zinsanstieg höhere Erträge. Doch im Anleihe- bestand verursacht er stille Lasten, weil die Kurse der gehaltenen Anleihen sinken.
Schwerpunkt 9 Durations-Portfolio abgedeckt werden könnten. „An dieser grundsätzlichen Doppelstrategie halten wir fest, da sie zum risikotechnischen Gleichklang der Aktiv- und Passivseite in allen Zinspfaden und zur Stärkung der Portfoliorendite führt“, sagt Klaus Keßner, Leiter der Abteilung Kapitalanlagen-Portfoliomanagement bei dem Versicherer, und fügt hinzu: „Dies ist unsere grundsätzliche Strategie, die wir auch im beschriebenen Inflations- und Zinsanstiegsszenario nicht anpassen müssen.“ Außerdem führe der bisherige Zinsanstieg beim Volkswohl- Bund Solvency-II-seitig sogar zu Erleichterungen und mehr Freiräumen für weitere Investitionen in Substanzwerte. Inflationsschutz durch Substanzwerte Bei der Alten Leipziger Lebensversicherung setzt man den Aufbau von Investitionen in alternative Anlageklassen wie Immobilien und Infrastruktur ebenfalls fort. „Immobilieninvestments bieten dabei teilweise einen Inflationsschutz, und neue Anlagen in Sektoren wie Logistik, Fachmarktzentren oder Senior Living erhöhen die Diversifikation“, sagt Vorstandsmitglied Dr. Jürgen Bierbaum. Und wie fällt der Ausblick bei den Überschussbeteiligungen aus? „Die steigenden Zinsen und damit verbunden höheren Renditen in der Neuanlage werden sich erst langsam im laufenden Ertrag zeigen“, sagt Bierbaum. Das Vorstandsmitglied erläutert, dass keine Gewinnrealisierungen aus Rentenreserven zur Finanzierung der Zinszusatzreserve (ZZR) mehr notwendig sind. Die Lebensversicherer müssen die ZZR seit Jahren zur Sicherstellung künftiger Garantiezinsverpflichtungen bilden. Maßgeblich ist ein Referenzzins, der laut Bafin aber noch nicht so stark gestiegen ist, dass dies zur Auflösung der ZZR führe. Dies sei vielmehr dann der Fall, wenn alte Verträge, für die eine Zinszusatzreserve gebildet werden musste, ausgelaufen sind und neue Verträge aufgrund der minimalen Garantieverzinsung in Höhe von 0,25 Prozent keine diesbezüglichen Deckungsmittel erfordern. Bierbaum erläutert weiter, dass die Auflösung der ZZR nicht in die Nettoverzinsung einfließt, sodass diese in Zukunft niedriger ausfallen wird. „Die höheren Zinsen tragen also kurzfristig im Wesentlichen zu einer Stabilisierung der Erträge bei, aber nicht zu deren unmittelbarer Erhöhung“, resümiert der Vorstand. Der Anlageexperte des Volkswohl-Bundes betont mit Blick auf die hauseigene Situation: „Die stillen Reserven und die Zinszusatzreserve sind gemeinsam als Risikopuffer zu sehen und bewegen sich mit dem Zins; im Idealfall gut aufeinander abgestimmt.“ Da dies der Fall sei, habe die Verringerung der stillen Reserven bei gleichzeitigem Rückgang der Dotierungsanforderung zur ZZR keine nennenswerten Auswirkungen auf die Überschussbeteiligungspolitik des Versicherers. Keßner bestätigt daher: „Eine höhere Neuanlagerendite kommt in der Tat erst zeitversetzt und bei noch höheren Zinsniveaus zum Tragen.“ Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Neuanlage des Versicherers durch einen hohen Anteil alternativer Anlagen gekennzeichnet sei, der im vergangenen Jahr eine Rendite von 3,6 Prozent erbracht habe.
Betriebliche Altersversorgung 10 personalmagazin plus: bAV „Der Trend rückläufiger Überschussbeteiligungen dürfte zu Ende gehen, aber sich erst mit größerer Zeitverzögerung umkehren“, erwartet auch Bannör. Die Lebensversicherer kommen aufgrund der jahrelangen Niedrigzinsphase aus einer sehr großen Belastungssituation, begründet der Lurse-Experte, und würden sich daher zunächst konsolidieren, bevor sie steigende Überschussbeteiligungen gewähren. Stille Lasten stellen Pensionskassen weiter vor große Herausforderungen Wie ist die Lage bei den regulierten Pensionskassen, von denen einige zuletzt für negative Schlagzeilen sorgten? Der Zinsanstieg infolge der erhöhten Inflation hat nach Einschätzung des Verbands der Firmenpensionskassen (VFPK) zunächst keine Auswirkung auf die Bilanzierung weder der Verpflichtungen noch der Kapitalanlage. „In der Regel werden insbesondere die Zinstitel der Kapitalanlage bis zur Fälligkeit gehalten, sodass sich auch bei steigenden Zinsen keine Kursverluste realisieren“, sagt Dr. Helmut Aden. Der Vorstandsvorsitzende des Verbands betont vielmehr, dass sich mit steigenden Zinsen in der Wiederanlage wieder Möglichkeiten ergeben, die langfristigen Verpflichtungen in der betrieblichen Altersversorgung kontinuierlich und adäquat zu bedienen. Dies gelte, betont Aden, auch für Altverträge. „Von steigenden Zinsen entlang der gesamten Fälligkeitsstruktur profitieren sowohl neu zugehende als auch bestehende Verträge“, betont Aden. Auf den Aufbau stiller Lasten, der sich bei den Firmenpensionskassen durch das Halten der Zinspapiere ebenso wie bei den Lebensversicherern ergibt, geht der VFPK-Vorstandsvorsitzende dabei nicht ein. „Gerade für die Pensionskassen, die jüngst Probleme hatten, kann der Zinsanstieg eine große Chance sein, weil sie jetzt mit festverzinslichen Wertpapieren Erträge erwirtschaften können“, sagt Lurse-Experte Bannör. Er verweist auf die zurückliegenden Jahre, in denen die regulierten Firmenpensionskassen teils noch Verträge mit einer Verzinsung von drei Prozent und mehr bedienen mussten, obwohl sich ein Zins in diesen Höhen sicherheitsorientiert nicht erzielen ließ. „Besonders für Arbeitgeber, die in der jüngsten Vergangenheit von ihrer Pensionskasse aufgefordert wurden, Kapital nachzuschießen, kann das Nachschussrisiko jetzt spürbar sinken“, sagt der Senior Manager und Aktuar. Gleichwohl sieht die Finanzaufsicht die Pensionskassen – mehr noch als die Lebensversicherer – vor erhebliche Herausforderungen gestellt. Der Grund: Die Vorsorgeeinrichtungen sind vom Niedrigzinsumfeld besonders stark betroffen, da sie fast ausschließlich lebenslang laufende Rentenversicherungen anbieten. „Bei einigen Kassen haben wir die Sorge“, sagt der zuständige Bafin-Sprecher, „dass die bereits ergriffenen Maßnahmen – ohne die Bereitstellung zusätzlicher externer Mittel – möglicherweise nicht ausreichen, um die garantierten Leistungen dauerhaft erbringen zu können.“ Kurz gesagt: Weitere Leistungskürzungen sind nicht auszuschließen. Vor dem Hintergrund einer weiter erhöhten Inflation richtet die Finanzaufsicht den Blick auch auf das Neugeschäft und hier vor allem auf ein mögliches Stornoverhalten. „Durch steigende Zinsen werden alternative Anlageformen wieder attraktiver“, sagt Pieper. Außerdem könnte der zunehmende Druck bei den Lebenshaltungskosten dazu führen, dass sich Verbraucher und Beschäftigte aus ihrer Altersvorsorge zumindest temporär zurückziehen. Diese Sorge treibt auch die anderen Expertinnen und Experten auf dem Gebiet der betrieblichen Altersversorgung um. Borst sieht Risiken für das Bestandsgeschäft und Neuabschlüsse. Lucius verweist auf Entgeltumwandlungen, die sich einfach aussetzen lassen. Für den Moment kann dies Beschäftigten in der Tat die gewünschte Entlastung bringen. Der Preis dafür ist jedoch spätestens im Rentenalter zu zahlen – und er dürfte spürbar hoch sein. Zukünftig könnten sich die Beschäftigten aus der Altersvorsorge zurückziehen. Grund sind durch steigende Zinsen attraktivere Anlageformen und der Druck bei den Lebenshaltungskosten.
Personalmagazin: Eine deutlich erhöhte Inflation beendet die jahrelange Niedrigzinsphase. Wie wirkt sich diese Zeitenwende auf die bAV aus? Friedemann Lucius: Ehemalige Beschäftigte, die ihre Rentenleistungen direkt vom Arbeitgeber gezahlt bekommen, können sich in der Regel freuen, da die unmittelbaren Rentenzahlungen überwiegend an die Entwicklung des Verbraucherpreisindexes für Deutschland (VPI) gekoppelt sind. Entscheiden sich Arbeitgeber für diesen Weg – und das sind rund 70 Prozent der Unternehmen, die eine bAV anbieten – entfällt die für alle drei Jahre im Betriebsrentengesetz verankerte Anpassungsprüfungspflicht. Insofern haben die meisten Betriebsrentner einen gesetzlich verankerten Inflationsausgleich. Bei neueren Zusagen, die ab 1999 erteilt wurden, ist es alternativ möglich, die laufenden Renten jährlich um ein Prozent anzuheben. Worauf müssen Unternehmen achten, die sich für die VPI-Anpassung entschieden haben ? Wer dieses Jahr die VPI-Anpassung der Rentenzahlungen für die letzten drei Jahre durchführt, muss die betreffenden Pensionsrückstellungen um elf bis zwölf Prozent anheben. Vergangenes Jahr wäre der Anpassungsaufwand nicht einmal halb so groß gewesen. Für die meisten Mittelständler, die nach HGB bilanzieren müssen, ist dieser Aufwand ergebnisbelastend, da er unmittelbar in die Gewinn- und-Verlust-Rechnung einfließt. Bei der internationalen Rechnungslegung sind die Folgen nicht ganz so gravierend, weil die Belastungen direkt mit dem Eigenkapital verrechnet werden können, ohne das Ergebnis zu mindern. Inwieweit müssen Arbeitgeber ihre Pensionsrückstellungen für die Anwartschaften anpassen? Arbeitgeber müssen eine Annahme darüber treffen, in welchem Ausmaß sie die Renten in der Zukunft erhöhen werden. Das geschieht durch die Schätzung eines Rententrends. Im vergangenen Jahr lag dieser Trend analog zur bisherigen Inflationsrate bei unter zwei Prozent pro Jahr, teils sogar bei 1,5 Prozent. Das ist jetzt nicht mehr haltbar. „ Rentenerhöhungen sorgen für Sprengstoff“ Interview Kay Schelauske Bei Arbeitgebern mit Direktzusagen treibt die spürbar erhöhte Inflation den Pensionsaufwand in die Höhe. Hiervon profitieren vor allem die Betriebsrentner, während die Beschäftigten Kaufkraftverluste hinnehmen müssen. Friedemann Lucius sieht hier einen Generationenkonflikt auf uns zu kommen. Dr. Friedemann Lucius ist Vorstandssprecher der Heubeck AG. Betriebliche Altersversorgung 12 personalmagazin plus: bAV
Warum genau befürchten Sie einen Generationenkonflikt? Den Anwartschaftsberechtigten drohen aktuell Kaufkraftverluste, weil die Gehaltssteigerungen zumeist nicht die deutlich erhöhte Inflation ausgleichen. Da aber insbesondere die horrend gestiegenen Energiepreise die finanziellen Handlungsräume im Alltag spürbar einengen, sehen wir die Gefahr, dass die Menschen auf der Suche nach Entlastungen verstärkt Entgeltumwandlungen aussetzen. Das vergrößert die Versorgungslücke in der Zukunft. Externe Versorgungseinrichtungen in versicherungsförmigen Durchführungswegen dürften durch die steigenden Zinsen Erträge erwirtschaften. Ist das nicht eine positive Entwicklung? Auf den ersten Blick ja, aber das ist vor allem ein mittel- bis langfristiger Effekt. Pensionskassen und Lebensversicherungen haben infolge der Niedrigzinsen in großem Umfang stille Bewertungsreserven bei ihren Anleihebeständen aufgebaut. Diese Reserven müssen nicht bilanziell ausgewiesen werden, bleiben also als Risikopuffer erhalten. Insbesondere Pensionskassen haben diesen Risikopuffer genutzt, um stärker sachwertorientiert zum Beispiel in Aktien, Infrastruktur oder Immobilien zu investieren. Die Zinswende führt aber nun dazu, dass dieser Risikopuffer durch die steigenden Zinsen abschmilzt. Dieser Effekt ist teils so stark, dass stille Lasten entstehen, weil der Marktwert der Papiere erheblich unter den Buchwert gesunken ist. Angesichts der konjunkturellen Entwicklungen und der unmittelbar bevorstehenden Rezession sind die Arbeitgeber als Trägerunternehmen heute zunehmend weniger in der Lage, den Pensionskassen Kapital zur Verbesserung ihrer Eigenkapitalausstattung nachzuschießen. Deshalb können sich die Handlungsspielräume für manche Pensionskassen infolge der Zinswende zunächst erstmal weiter einengen. Warumprofitieren die Anwartschaftsberechtigten noch nicht von den erhöhten Zinserträgen, die sich jetzt mit demKauf von verzinstenWertpapieren erzielen lassen? Wirtschaftsprüfer haben angedeutet, dass sie einen Wert um die zwei Prozent pro Jahr akzeptieren, da er dem langfristigen Inflationsziel der Europäischen Zentralbank entspricht. Zusammen mit den zuvor beschriebenen Rentenanpassungen kann der Pensionsaufwand dadurch für Arbeitgeber um den Faktor drei oder vier steigen. Da steckt Sprengstoff drin, gerade für HGB-Bilanzierer. Was gilt für Betriebe, die Pensionsverpflichtungenmit Vermögen hinterlegt und insoweit ausfinanziert haben? Diese Unternehmen könnten sogar noch heftiger getroffen werden. Denn dieses Vermögen wird als Deckungs- oder Planvermögen zu Zeitwerten bilanziert, und die gehen aufgrund der aktuellen Marktturbulenzen und der heftig gestiegenen Zinsen im Moment in den Keller. Diese Wertminderungen sind im handelsrechtlichen Jahresabschluss voll aufwandswirksam und mindern den Gewinn. Da sprechen wir unter Umständen nicht über Faktor drei bis vier, sondern Faktor sechs. Schwenkenwir den Blick von den Rentenanpassungen auf den Inflationsschutz der Anwartschaften. Wie bewerten Sie diesen? Abgesehen von Restbeständen an endgehaltsabhängigen Altzusagen gibt es bei den heute üblichen beitragsorientierten Leistungszusagen nur einen sehr eingeschränkten Inflationsschutz. Hier werden zwar die Beiträge üblicherweise ans Gehalt gekoppelt, das mit der Inflation mehr oder weniger steigt. Die Anwartschaften auf Versorgungsleistungen, die mit diesen Beiträgen erworben werden, wachsen damit aber nur in der Zukunft; die in der Vergangenheit erworbenen Anwartschaften bleiben unverändert. Bei der Beitragszusage mit Mindestleistung ist die Lage diesbezüglich ähnlich. Folglich führt die Inflation bei den Anwärtern zu einer Entwertung ihrer bereits erdienten Ansprüche. Durch diese im Vergleich zu den Rentnern nachteilige Situation vergrößert sich die Versorgungslücke. Hinzu kommt, dass die massiv gestiegene Inflation die Anwärter verstärkt aus der bAV treiben könnte. Da tut sich zunehmend ein Generationenkonflikt auf. Die Pensionskassen können erst einmal nur fällig werdende Papiere und echte Nettozuflüsse zu höheren Zinsen anlegen. Bis sich die Zinserträge positiv bemerkbar machen, wird Zeit ins Land gehen. Außerdem müssen die Kassen zusätzliche Erträge weiterhin vorrangig dafür einsetzen, die Sicherheiten in der Bewertung ihrer Verpflichtungen zu erhöhen sowie ihre Risikotragfähigkeit und Eigenkapitalausstattung zu verbessern. Die Erhöhung der Leistungen aus Überschüssen hat nachgeordnete Priorität. In zurückliegenden Jahren haben viele Pensionskassen aufgrund der niedrigen Zinsen die Überschussbeteiligungen bei ihren Altbeständen deutlich, teils auf null, heruntergefahren. Daher sind wir heute relativ weit davon entfernt, dass sich Versorgungsberechtigte infolge der Zinswende auf höhere Leistungen freuen können. Wie ist die Lage bei Lebensversicherungen? Dort ist die Situation im Prinzip ähnlich. Hier kommt es aufgrund der steigenden Zinsen zusätzlich sukzessive zu einem Abbau der sogenannten Zinszusatzreserve. Diese Deckungsrückstellungen mussten Lebensversicherer in Zeiten der Niedrigzinsen für ihre künftigen Garantiezinsverpflichtungen vor allem aus hochverzinsten Alttarifen aufbauen. Aber auch diese frei werdenden Mittel dürften erst einmal dazu verwendet werden, die Sicherheiten zu erhöhen, um die nach wie vor hohen Garantien dauerhaft erfüllen zu können. Insofern ist auch bei Lebensversicherungen kurzfristig nicht von einer Erhöhung der Überschussbeteiligungen auszugehen und damit sind auch keine diesbezüglichen Rentenerhöhungen zu erwarten. Da hilft auch die Anpassungsprüfungsverpflichtung der Arbeitgeber nicht weiter. Denn für Lebensversicherer, Pensionskassen und Pensionsfonds gibt es eine Ausnahmeregelung: Wenn sie sämtliche auf die Rentner entfallenen Überschussanteile zur Leistungserhöhung verwenden, ist der Arbeitgeber nicht zu weiteren Anpassungen, insbesondere nicht zur VPIAufstockung, verpflichtet, selbst dann nicht, wenn die Überschussanteile auf null absinken. 13 Schwerpunkt
Betriebliche Altersversorgung 14 personalmagazin plus: bAV Foto: Paul Langrock/laif Unternehmen müssen alle Kräfte bündeln, um die Folgen der Energiekrise zu managen. Da rückt das Thema Nachhaltigkeit in den Hintergrund. Vorerst. Denn die Anforderungen der Stakeholder nehmen hier weiter zu, sei es vonseiten des Gesetzgebers, der Kunden und Lieferanten oder eigener und künftiger Mitarbeitender. Die Aktionsfelder reichen von der Unternehmensführung über den betrieblichen CO2-Fußabdruck und Energieverbrauch bis hin zum Angebot von Sozialleistungen, besonders zur Gesundheitsförderung und der bAV. Wie in der Wirtschaft gibt es auch im Finanzsektor Nachhaltigkeitspioniere, Mitläufer und Nachzügler. Derart ordnete jüngst Michael Franke, geschäftsführender Gesellschafter von Franke und Bornberg, die Lage in der Branche ein. Das Analysehaus hat einen „ESG-Report“ veröffentlicht, an dem 26 Versicherungsgesellschaften teilgenommen haben, die für 50 Prozent der gebuchten Bruttobeiträge stehen. Betrachtet wurden der Ressourcenverbrauch im eigenen Betrieb, die Mitarbeiterorientierung und Kapitalanlagestrategien. Überall ergab sich ein differenziertes Bild. Die Konsequenz für die bAV: Je nachdem, wie grün die Lösung sein soll, müssen Berater und Arbeitgeber tief in die Materie eintauchen, um einen passenden Anbieter samt Produktlösung zu finden. „Bei allen Versicherern fehlt noch eine ausreichende Transparenz“, sagt Volkmar Haegele, der seit vielen Jahren über „gruenvorsorgen.de“ Nachhaltig überzeugen Von Kay Schelauske Eine grüne bAV bietet Unternehmen Vorteile. Das Produktangebot wächst. Viele Lösungen sind aber nicht so nachhaltig, wie es scheint. Die meisten Lebensversicherer brauchen noch Zeit für die Transformation ihrer Kapitalanlagen. Entscheidend ist daher, was Arbeitgeber von einer nachhaltigen Vorsorgelösung erwarten.
Schwerpunkt 15 wichtig, da Lebensversicherer vor allem über Direktversicherungen das größte Angebot an „grünen“ bAV-Lösungen stellen, teils ergänzend über Unterstützungs- und Pensionskassen aus dem Konzernverbund. Charakteristisch für die bAV ist nach wie vor eine Kapitalgarantie, die infolge der jahrelangen Niedrigzinsphase gewöhnlich bei maximal 80 Prozent der eingezahlten Beiträge liegt. Um diese Kapitalgarantien sicherzustellen, sind Versicherer gezwungen, einen Teil der eingezahlten Beiträge in ihrem vornehmlich konservativ ausgerichteten Sicherungsvermögen anzulegen. „Abzüglich der Kosten steht damit in der Regel maximal die Hälfte der Beiträge für ein Investment in Nachhaltigkeitsfonds innerhalb des Vertrags zur Verfügung“, sagt Gottfried Baer, der bereits 2010 die Mehrwert GmbH gründete, einen grünen Anbieter von Finanz- und Versicherungsdienstleistungen. Sein Fazit: „Deshalb kann die bAV nur dann richtig grün sein, wenn auch das Kapital im Sicherungsvermögen nachweislich nachhaltig angelegt ist.“ Alternativen zu konventionellen Produkten anbietet. „Die Angaben der Versicherer bewegen sich oft zwischen Marketing und tatsächlichen Nachhaltigkeitsanforderungen. Da tun sich Versicherer durchweg schwer“, ergänzt der Versicherungsmakler und zertifizierte Nachhaltigkeitsberater. Auch bei vielen Vorsorgesparern schlagen diese Defizite negativ zu Buche, wie eine repräsentative Studie zeigt (siehe Grafik Seite 18). Die gesetzlich seit August dieses Jahres verpflichtende Abfrage von Nachhaltigkeitspräferenzen greift bei staatlich geförderten Produkten, also der Basis- und Riester-Rente sowie der bAV, nicht. . Sicherungsvermögen im Blick – doch der ist getrübt Ab 2023 könnte sich, so Haegele, die Situation verbessern: Die Umsetzung des neuen „European Sustainability Reporting Standard“, kurz ESRS-Richtlinie, fordert von den Unternehmen eine gründlichere Nachhaltigkeitsberichterstattung. Das wäre
Betriebliche Altersversorgung 16 personalmagazin plus: bAV Das Problem: Die meisten Lebensversicherer stecken mitten in der grünen Transformation ihrer Kapitalanlagen, da dies nur schrittweise möglich ist. Nachfragen bei einigen Lebensversicherern, die hier verstärkt unterwegs und teils bei den Nachhaltigkeitsexperten auf dem Schirm sind, offenbaren Unterschiede auch in Sachen Transparenz. So verweist man bei der LV 1871 lediglich darauf, dass ökologische, soziale sowie Kriterien der guten Unternehmensführung (ESG-Kriterien) neben der reinen Wirtschaftlichkeitsanalyse im Rahmen der Anlageentscheidungen und des Portfoliomanagements berücksichtigt werden. Der Lebensversicherer bietet seit einigen Monaten eine „Klimarente“ auch als Direktversicherung an, die in fünf Investmentfonds des grünen Fondsanbieters Ökoworld investiert. Mit U-Kasse, Pensionszusage und Direktversicherung offeriert die Stuttgarter ein umfassendes nachhaltiges bAV-Angebot. Ihre Direktrente gibt es in vier Ausprägungen mit unterschiedlichen Sicherheits-Risiko-Profilen. Über den Anteil nachhaltiger Investments im Sicherungsvermögen hält man sich bedeckt, beziffert immerhin das Volumen auf 391 Millionen Euro, Stand Anfang 2022. „Die Bedeutung der ESG-Kriterien wächst in der Anlagepolitik deutlich an“, heißt es beim Volkswohl Bund, der zwei fondsgebundene und eine klassische Variante unter seiner grünen Marke „Next“ auch innerhalb der bAV offeriert. Frederick Krummet, Leiter Corporate Employee Benefits bei der Axa, sagt: „Der Abdeckungsgrad der ESG-Bewertungen innerhalb der Sicherungsvermögen liegt bei etwa 80 Prozent, berechnet nach dem gewichteten durchschnittlichen Vermögens- allokationsmix“, und verweist auf die „Relax-bAV-Rente“. Die Wahl grüner Investmentoptionen vorausgesetzt, sei das Produkt von den Analysehäusern Zielke Research und Morgen & Morgen „als nachhaltig gestaltbares Versicherungsprodukt“ ausgezeichnet worden. „Für das Sicherungsvermögen werden derzeit bei über 80 Prozent ökologische und soziale Merkmale berücksichtigt“, sagt Jürgen Bierbaum, Vorstand der Alte Leipziger Lebensversicherung, und meint damit verpflichtende Kriterien vornehmlich für Aktien und Anleihen, die in der Nachhaltigkeitsstrategie für die Kapitalanlage festgelegt sind. Anfang August hat der Versicherer ein nachhaltiges Fondsrentenkonzept lanciert, das laut Bierbaum auch in der bAV verfügbar ist. Und der Marktführer? „Unsere Stärke ist unsere Größe und damit unser Einfluss als Investor, den wir für eine wirkliche Veränderung in der Realwirtschaft einsetzen und nicht nur, um ein Portfolio zu transformieren“, heißt es vonseiten der Allianz Lebensversicherung. Unter Zugriff auf eine Reihe nachhaltiger Fonds wird seit Juli 2021 die Police InvestFlex Green auch innerhalb der bAV bereitgestellt. Nachhaltigkeitsleitlinien bringen Transparenz Drei Versicherer haben sich hingegen für einen anderen Weg entschieden: So verfügt die Concordia Oeco LebensversicheWas Vorsorgesparer über eine nachhaltige Altersvorsorge denken Quelle: Repräsentative Studie „Sparen für eine bessere Zukunft - Nachhaltigkeit in der Altersvorsorge“, Vantik 2020 Was sind Ihrer Meinung nach die größten Hindernisse für soziale und ökologische Nachhaltigkeit bei der Altersvorsorge? Welche dieser Aspekte der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit sind Ihnen wichtig, wenn es um die Finanzquelle Ihrer Altersvorsorge geht? 44,2 Geringe Überprüfbarkeit 41,4 Geringe Transparenz 60 47,7 47,3 46,2 Wahrung von Menschenrechten Umweltschutz Keine Kinderarbeit Klimaschutz N = 2005; Mehrfachnennungen möglich; Angaben in Prozent 41,1 Fehlendes Angebot 26,8 Schlechtere Rendite
Schwerpunkt 17 rungs-AG, Tochtergesellschaft der ebenfalls in Hannover ansässigen Concordia Versicherungen, über ein separates komplett nachhaltig gemanagtes Sicherungsvermögen, das nach transparenten Nachhaltigkeitsleitlinien angelegt und durch einen externen Nachhaltigkeitsbeirat überwacht wird. Die Signal Iduna Lebensversicherung AG ist Anfang dieses Jahres als neu gegründete Nachhaltigkeitstochter der gleichnamigen Versicherungsgruppe an den Start gegangen. Die Bayerische wiederum verfügt bereits über ein nach Artikel 8 der EU-Offenlegungsverordnung zertifiziertes Sicherungsvermögen, auf das die Direktversicherung und die Unterstützungskasse der Nachhaltigkeitstochter Pangaea Life zugreifen. Beide bAVProdukte von Pangaea Life eröffnen mit zwei thematisch fokussierten Sachwertefonds einen anderen Investmentzugang: Die Fonds investieren direkt in Erneuerbare-Energien-Projekte beziehungsweise in nachhaltige Immobilien. Beide Nachhaltigkeitsexperten begeistert der damit verbundene Impact besonders beim „Blue Energy“-Fonds: „Als Betreiber erzielt Pangaea Life eine messbare Verringerung von CO2-Emissionen“, sagt Haegele. „Der Arbeitnehmer wird hier mit seiner bAV quasi zum Ökostromproduzenten“, betont Baer. Concordia folgt hingegen beim Fondsangebot dem grünen Mainstream und setzt auf eine konzentrierte Palette von acht nachhaltigen Investmentfonds verschiedener Anbieter. Bei jungen Leuten punkten Beinhalten grüne Policen per se einen Renditenachteil? „Im Gegenteil“, betont der Versicherungsmakler und verweist auf wesentlich höhere Nachhaltigkeitskosten in der Zukunft. „Wenn Fonds in Unternehmen investieren würden, die über keine Nachhaltigkeitsstrategie verfügen oder entsprechende Maßnahmen umsetzen, werden sie zum Risiko im Fondsportfolio“, erläutert Haegele und begründet dies vor allem mit Kosten durch gesetzliche Auflagen, Wettbewerbsnachteilen und geringerem Anlegerinteresse. Auch im Hinblick auf Vertragskosten und Flexibilitäten während der Anspar- und Rentenphase stünden grüne bAV-Lösungen ihren klassischen Pendants in nichts nach. „Der einzige Bereich, in dem es signifikante Unterschiede geben kann, ist die Finanz- und Ertragskraft der Versicherer“, sagt Baer. Hier hilft ein Blick in die Unternehmens-Ratings von Assekuranz-Analysehäusern. Entscheidend für Arbeitgeber ist am Ende, dass sie eine grüne bAV-Lösung finden, die ihren Anforderungen entspricht. Bei der Produktvielfalt ist zwar noch Luft nach oben, aber die Auswahl nimmt zu. Ist dann die passende Lösung gefunden, stehen Arbeitgebern erweiterte Möglichkeiten offen, ihre grüne bAV personalpolitisch zu nutzen. „Gerade junge Leute achten darauf, wie nachhaltig ihr Arbeitgeber agiert“, betont Baer aus eigenen Erfahrungen. Oliver Bergner, Geschäftsführer von Barth-Haas, einem mittel- ständischen Produzenten von Hopfenprodukten mit rund 420 Beschäftigten, bestätigt das. Zusätzlich zum bestehenden bAVAngebot aus Direktversicherung, Pensions- und U-Kasse entschied er sich, eine grüne bAV-Lösung und erstmals auch Tarife mit verschiedenen Garantieniveaus anzubieten. „Mehr als jeder zweite Beschäftigte, der sich für eine Direktversicherung entschieden hat, hat einen grünen Tarif gewählt“, sagt Baer und fügt hinzu, dass Nachhaltigkeit vor allem bei jungen Leuten ein Thema sei: „Das merke ich auch bei Bewerbungsgesprächen, da reicht es nicht, nur einen Nachhaltigkeitsbericht vorzulegen, denn immer öfter werben wir als Arbeitgeber um den Bewerber.“ „Viele Arbeitgeber sind überrascht, dass sich eine grüne bAV einfach neben einer bestehenden installieren lässt“, sagt der Mehrwert-Geschäftsführer. Das Neugeschäft läuft dann komplett nachhaltig oder der Arbeitgeber lässt der Belegschaft weiterhin die Wahl. So oder so wird das Unternehmensimage gestärkt. Laut Baer gilt das besonders, wenn die grüne bAV in die betriebliche Nachhaltigkeitsstrategie integriert werden kann, zum Beispiel im Hinblick auf eine Senkung des CO2-Fußabdrucks. Besonders überzeugend wirke es, wenn Arbeitgeber ihren bAV-Zuschuss deutlich auf beispielsweise 50 Prozent heraufsetzen. „Wir rechnen Unternehmen dann vor, dass ihr tatsächlicher Aufwand, also die Differenz zwischen Zuschüssen und Sozialabgabenersparnis, im Verhältnis zur gesamten Lohnsumme vergleichsweise gering ausfällt“, berichtet der Nachhaltigkeitsexperte und fügt hinzu: „Gleichzeitig brauchen dann die Arbeitnehmer deutlich weniger als die Hälfte ihrer betrieblichen Vorsorgebeiträge aus ihrem Nettogehalt zu bestreiten – und das überzeugt nachhaltig.“ „ Die bAV kann nur grün sein, wenn auch das Kapital im Sicherungsvermögen nachweisbar nachhaltig angelegt ist.“ Gottfried Baer, Geschäftsführer Mehrwert GmbH
Betriebliche Altersversorgung 18 personalmagazin plus: bAV Illustration: Joni Majer Zurück Von Kay Schelauske zur Schrift
Nachweisgesetz 19 Arbeitgeber kennen Informationspflichten nur zu gut. Auch im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung (bAV) sind sie nichts Neues. Mit dem Inkrafttreten des Nachweisgesetzes am 1. August 2022 wurden diese Pflichten jedoch erweitert und die Fristen verkürzt. Und nicht nur das. Erstmals können Verstöße mit einem Bußgeld geahndet werden. Inhaltlich geht es um die Unterrichtung von Beschäftigten über wesentliche Aspekte des Arbeitsverhältnisses, und dazu gehört eben auch die Altersversorgung vom Arbeitgeber. Die diesbezügliche Nachweispflicht reicht von den Kontaktdaten des Versorgungsträgers über die Fälligkeit der Versorgung bis hin zur Versorgungsleistung (siehe Übersicht Seite 22). „Diese Angaben müssen dem Arbeitnehmer am ersten Tag der Arbeitsleistung ausgehändigt werden“, erklärt Klaus Stiefermann, Geschäftsführer der aba Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung e.V., und fügt hinzu: „Bei Arbeitsverhältnissen, die vor dem 1. August dieses Jahres geschlossen wurden, besteht sieben Tage Zeit, um Beschäftigte über mitteilungspflichtige Änderungen zu informieren.“ Doch es gibt Erleichterungen. So sieht das Nachweisgesetz in § 2 Abs. 1, Nr. 13 ausdrücklich vor, dass Kontaktdaten eines Versorgungsträgers nicht mitgeteilt werden müssen, wenn dieser selbst dazu verpflichtet ist. Nach Angaben des Pensionsberaters Longial ist dies bei Lebensversicherungen, Pensionskassen und -fonds der Fall. Da bei Direktzusagen das Unternehmen selbst Versorgungsträger ist, ist diese Gesetzesvorgabe nach Auffassung von Longial nur bei Unterstützungskassen relevant. „Wenn die bAV in Tarifverträgen, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen geregelt ist, können die erweiterten Informationspflichten nach § 2 Abs. 4 des neuen Nachweisgesetzes allerdings durch einen Hinweis auf diese Regelungen ersetzt werden“, sagt Michael Hoppstädter, der zum Oktober 2022 von der Geschäftsführung Longial zur Heubeck AG als Seniorberater gewechselt ist. Wird eine Versorgungsordnung jedoch in Form einer Gesamtzusage vereinbart, könnte deren bloße Veröffentlichung nicht genügen, sodass eine schriftliche Mitteilung an alle Beschäftigten erforderlich wäre, relativiert Hoppstädter. Und wie ist die Situation bei arbeitnehmerfinanzierten Versorgungen? Das BMAS sieht keine Nachweispflicht bei Entgeltumwandlungen – doch das ist strittig Charakteristisch für solche arbeitnehmerfinanzierten Versorgungen ist, dass Höhe und Zeitpunkt der Entgeltumwandlungen stets von Mitarbeitenden individuell bestimmt werden. Laut Stiefermann können sie daher nicht durch einen Verweis auf kollektivrechtliche Regelungen abbedungen, also vertraglich außer Kraft gesetzt werden. Zudem kommt es hier im Alltag häufig zu Änderungen, etwa weil sich Wohnort, Einkommen oder Familienstand von Mitarbeitenden verändert haben. Dennoch ist der Gesetzgeber in Wortlaut und der Begründung des Nachweisgesetzes nicht den Anregungen gefolgt, um zumindest diese Sachverhalte von der Nachweispflicht auszuschließen. Allerdings hat sich das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) in einem Schreiben an den Geschäftsführer der Aba schriftlich dazu geäußert und die Entgeltumwandlung von der Nachweispflicht ausgenommen (siehe Kasten unten). Auf Nachfrage ordnet das Arbeitsministerium dazu ein: „Schon bisher regelte das Nachweisgesetz, dass der Arbeitgeber die wesentlichen Vertragsbedingungen des Arbeitsverhältnisses, wozu auch die ,Zusammensetzung und die Höhe des Arbeitsentgelts‘ beziehungsweise ,andere Bestandteile des Arbeitsentgelts‘ gehören, nachzuweisen hat. Insoweit wurde im Nachweisgesetz nichts geändert, da auch die umzusetzende Richtlinie (EU) 2019/1152 (Arbeitsbedingungenrichtlinie) diesbezüglich keine Änderungen vorgesehen hat.“ Mit Blick auf das Schreiben ergänzt das Ministerium: „Wie Wer seine Prozesse digitalisiert hat, sieht sich durch die Neuregelungen des Nachweisgesetzes plötzlich wieder mit händischen Abläufen konfrontiert. Ob das auch für Entgeltumwandlungen gilt, ist strittig. Das Arbeitsministerium folgt der strengen Linie des Gesetzgebers nicht, doch für Unternehmen ist diese Auffassung riskant. „Das Nachweisgesetz verpflichtet den Arbeitgeber, seine Beschäftigten schriftlich über die vereinbarten wesentlichen Vertragsbedingungen zu informieren, dazu zählt auch ,die Zusammensetzung und die Höhe des Arbeitsentgelts‘. Der Arbeitgeber muss demnach über das Arbeitsentgelt informieren, nicht aber darüber, wofür das Arbeitsentgelt von den Beschäftigten im nächsten Schritt verwendet wird. Das Nachweisgesetz ist daher nach Auffassung des BMAS auf Betriebsrenten in der speziellen Form der Entgeltumwandlung nicht anwendbar.“ (BMAS vom 7. Juli 2022)
Betriebliche Altersversorgung 20 personalmagazin plus: bAV dargelegt, fällt unseres Erachtens betriebliche Altersversorgung in der Form der Entgeltumwandlung nicht unter den Begriff des Arbeitsentgelts im Sinne des Nachweisgesetzes. Es obliegt dem einzelnen Arbeitgeber, ob er dieser Rechtsauffassung folgen will. Die verbindliche Auslegung von Rechtsvorschriften ist den Gerichten vorbehalten.“ Rechtssicherheit erst durch die Gerichte „Trotz der Klarstellung des BMAS raten wir aber auch bei der Entgeltumwandlung dazu, die Vorgaben und Fristen des Nachweisgesetzes einzuhalten, denn ein Schreiben des BMAS hat ja leider keine Gesetzeskraft“, betont Hoppstädter und gibt auf Nachfrage zu bedenken, dass auch die Verwendung des Arbeitsentgelts einen mehr oder weniger wesentlichen Bestandteil des Entgelts darstellt. Er fährt fort: „Die Entgeltumwandlung ist aus meiner Sicht wesentlicher Bestandteil des Arbeitsvertrags.“ Denn auch hier sei der Arbeitgeber derjenige, führt der bAV-Experte weiter aus, der die Zusage erteilt, den Arbeitgeberzuschuss leistet und die Subsidiärhaftung aus der bAV-Zusage trägt, also etwaige Differenzen zwischen zugesagter und tatsächlicher Rentenleistung ausgleichen muss. Rechtssichere Regelungen werden sich, wie das Arbeitsministerium in seiner Stellungnahme betont, erst durch die Rechtsprechung ergeben. „Bis aber höchstrichterliche Entscheidungen vorliegen, bleibt es eine Risikoentscheidung des Arbeitgebers, wie er das Nachweisgesetz in Sachen Entgeltumwandlung umsetzt“, sagt Stiefermann. Der aba-Geschäftsführer nennt vier Optionen, die theoretisch möglich sind und zwischen denen Arbeitgeber sich entscheiden müssen. · Die Entgeltumwandlung wird nicht schriftlich nachgewiesen. · E s werden nur der Entgeltumwandlungsrahmen und etwaige Arbeitgeberzuschüsse nachgewiesen. · Jede Veränderung bei der Entgeltumwandlung wird mit Höhe und Zeitpunkt und Arbeitgeberzuschüssen nachgewiesen. · A lles wird digital und dann noch schriftlich nachgewiesen. Digitalisierung vom Gesetzgeber unerwünscht Apropos digital. Die Änderungen des Nachweisgesetzes basieren auf dem „Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1152 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union“, das ausdrücklich erlaubt, die Informationen auch auf elektronischem Weg bereitzustellen. Doch das Nachweisgesetz verlangt Schriftform und schließt eine digitale Information ausdrücklich aus. „Wir bedauern es sehr, dass der Gesetzgeber nicht die Zeichen der Zeit erkannt hat und die Digitalisierung an diesem Punkt vorangetrieben hat. Auch bei den Unternehmen ist der Unmut groß. Die Glaubwürdigkeit des Gesetzgebers, die Digitalisierung zu fördern, hat arg gelitten“, sagt Stiefermann. Tatsächlich wären Erleichterungen wie die qualifizierte elektronische Unterschrift möglich gewesen. Stattdessen muss, wer bereits zur digitalen Personalakte übergegangen ist, nun schriftliche Unterlagen erstellen und dokumentieren. „Das ist nicht nur ein echter Rückschritt und aus der Zeit, sondern verursacht bei Unternehmen unnötige Kosten und läuft den Nachhaltigkeitszielen der Bundesregierung zuwider“, ärgert sich Stiefermann. Gehe man davon aus, dass durchschnittlich für jeden zweiten der 33,3 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten alle zwei Jahre eine Vertragsänderung durchzuführen ist, müssten auf Basis von Daten des Statistischen Bundesamts jedes Jahr 8,3 Millionen Vertragsnachträge bearbeitet werden. Bei einer Bearbeitungsdauer von 15 Minuten und Kosten von 36,70 Euro je Arbeitsstunde entstünde nach Berechnungen der aba ein jährlicher Erfüllungsaufwand in Höhe von 76 Millionen Euro Das sollte in der bAV schriftlich vorliegen (NachwG § 2, Abs. 1, S. 2, Nr. 7 und 13) 1. Name und Anschrift des Versorgungsträgers bei Unterstützungskassen, Pensionskassen, Pensionsfonds und Direktversicherungen 2. Die Höhe der Beiträge zur bAV und deren Zusammensetzung, getrennt nach Arbeitgeberfinanzierung, Arbeitgeberzuschüssen zur Entgeltumwandlung und Entgeltumwandlungsanteil des Arbeitnehmers 3. Die Fälligkeit der Versorgung, einschließlich der Voraussetzungen für den Eintritt des Versorgungsfalls 4. Die Art der Auszahlung (Rente, Kapital, Kapitaloption) 5. Höhe der Versorgungsleistung 6. (gegebenenfalls) Angabe des Durchführungswegs 7. Angabe zu den abgesicherten Risiken (Tod, Invalidität, Alter) 8. Zusageform
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