Personalmagazin plus 11/2021

Homeoffice ist ein Kreativitätskiller Remote Work und Homeoffice erleben einen Boom. Doch wer es damit übertreibt, wird einen hohen Preis zahlen. Wie leben Sie in Ihrer Wohnung? Trennen Sie Küche, Toilette, Schlaf- und Wohnzimmer in verschiedenen Räumen voneinander ab? Oder leben Sie in einem Raum, in dem alle Bedürfnisse erfüllt werden müssen? Wohl kaum, denn wer schmiert sich schon sein Butterbrot auf der Toilette? Doch was in unserem Pri- vatleben eine Selbstverständlichkeit ist, soll für das Berufliche anders sein: ein Arbeitsplatz zu Hause, an dem alle kogni- tiven Tätigkeiten gleichermaßen möglich sind. Doch so funktioniert unser Gehirn nicht. Gewiss, das Homeoffice muss Teil eines flexiblen Arbeitsmodells sein, doch man muss auch seine Grenzen kennen – und wissen, was einen guten Arbeitsplatz wirklich ausmacht. Kurz nach demAusbruch der Pandemie wurde das Homeoffice in vielen berufli- chen sozialen Medien als der schon lange nötige Durchbruch für digitales Arbeiten in Deutschland gefeiert. Mittlerweile tru- deln jedoch die ersten wissenschaftlichen Studien zum Nutzen von Homeoffice ein, die ein eher nüchternes Bild zeichnen. So nimmt die Arbeitszeit um etwa 30 Pro- zent zu, weswegen man gerne behauptet, im Homeoffice auch produktiver zu sein. Doch leider trifft das gerade auf kreatives und kollaboratives Arbeiten imTeamnicht zu – Tätigkeiten, bei denen die Leistung um etwa 20 Prozent gesunken ist. Um gut arbeiten zu können, brauchen wir nicht einen Ort, sondern mehrere. Aus der Kognitionspsychologie weiß man schon lange, dass erst Raumwechsel krea- tives Denken fördern – ein Phänomen, Von Henning Beck das als „Türrahmen-Effekt“ bekannt ist: Man geht durch eine Tür hindurch und ändert daraufhin sein Denken, vergisst zum Beispiel, was man wollte, oder kommt auf eine neue Idee. Gute Arbeitswelten müssen deswegen solche räumlichen Wechsel ermöglichen, je nachdem, ob man konzentriert und ungestört arbeiten möchte, ob man kreativ mit anderen im Meeting brainstormen will oder ob man informellere Orte für lockeren Austausch oder Entspannung aufsuchen möchte. Das ist übrigens kein neues Konzept. Schon Häuser im alten Rom oder mittelalterliche Klöster wurden nach diesem Prinzip auf- gebaut: ein Atrium (oder ein Garten) in der Mitte für Entspannung, ein Kreuzgang für den kommunikativen Austausch drumhe­ rum und davon abzweigend Schreibstuben oder Räumlichkeiten, in die man sich un- gestört zurückziehen konnte. In gewisser Weise war manches Kloster vor 600 Jahren moderner aufgestellt als heutige Remote- Work-Konzepte, die unter dem Vorwand der Flexibilität doch nur Büroarbeitsflä- che einsparen wollen, die man mit einem guten Workspace-Design zum Wohle der Arbeitskräfte hätte einsetzen können. Hinzu kommt ein Phänomen, das in der Psychologie als „Encoding-Effekt“ bekannt ist. Man verknüpft im Laufe der Zeit be- stimmte Orte mit bestimmten geistigen Tätigkeiten. Wer immer am selben Ort Vokabeln lernt, kann sie später im Test auch besser wieder erinnern, wenn er ge- nau an diesem Ort ist. Genauso verknüp- fen wir Orte mit Leistung: Wer immer zur Arbeit pendelt, stellt sich schon geistig darauf ein, dass gleich gearbeitet werden muss – was zu besserer Leistung führen kann. Beim Arbeiten zu Hause können Tätigkeiten leicht entgrenzen, wenn man keinen eigenen Raum für die Arbeit nutzt, und schon arbeitet man nach Feierabend oder im Schlafzimmer noch schnell weiter. Das war auch die ursprüngliche Idee, als Google & Co im Silicon Valley anfingen, ihre Arbeitsplätze zu Full-Service-Orten auszubauen: Holt das Privatleben in die Arbeit, macht es so angenehm wie möglich – und seid dadurch produktiver. Was für eine Ironie, dass sich dieser Trend ins ex- akte Gegenteil verkehrt zu haben scheint. Fazit: Das Homeoffice wird sicherlich Teil der flexiblen Arbeitsmodelle bleiben, doch gerade für kreatives Arbeiten bleibt eine abwechslungsreiche Vor-Ort-Arbeits- welt der Goldstandard. DR. HENNING BECK ist Neurowissen- schaftler. In seinen Vorträgen, Kolum- nen und Büchern erklärt er spannende Erkenntnisse aus der Hirnforschung auf unterhaltsame Art und Weise. 58 Arbeitswelten personalmagazin plus: Arbeitswelten

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