Personalmagazin plus 11/2021
Ausblick 57 Wird eine zukunftsfähige Stadtentwicklung den Radius von Leben und Arbeiten verkleinern? Wer neben Kir- chen wohnt und arbeitet, hört die Zeit, und weiß genau, was in 15 Minuten möglich ist und was nicht. In der Viertelstundenstadt erreicht man, zu Fuß oder mit dem Fahrrad, innerhalb von 15 Minuten ab seinem Wohnort alles, was man zum Leben und Arbeiten beziehungs- weise zum Lifework (englisch für Lebenswerk) braucht. Klingt nach Grätzl und Kiez, gibt’s schon immer, Arbei- ten kommt jetzt neu dazu. Satelliten- oder Club-Offices in Wechselwirkung mit Homeoffices, Walk‘n Talk Mee- tings, Community statt Commuting mit Zeit für Nach- barschaft, Zufallsgespräche und Abhängen in den Safe Spaces der persönlichen Viertelstunde, wo Freizeit und Werk verschmelzen. Kommunen und Städte arbeiten bereits aktiv an neuen Konzepten. Durch die Erfahrun- gen der vergangenen 1,5 Jahre reduzieren viele Unter- nehmen ihre Flächen und entwickeln hybride Modelle der Zusammenarbeit zwischen Homeoffice und physi- schen Begegnungen. Lösungen, die Unternehmen und Kommunen gemeinsam tragen, sind die Zukunft. Gelin- gen wird’s, wenn man fluid denkt, in einem Einmaleins von Viertelstunden beziehungsweise je nach Lebens- moment oder -phasen den Radius rauf- oder runter- rechnet. Manchmal braucht’s eine Fünf-Minuten-Stadt: im Winter oder im Sturm, mit einem Neugeborenen, in Phasen, in denen man konzentriert arbeiten will, und im Alter: ein Hoch auf Parkbank-Mentoring! Zwei Minuten – so lange dauerte in den letzten bei- den Jahren für viele Menschen der durchschnittliche Arbeitsweg. Exakt die Zeit von der Küche bis ins Arbeitszimmer. Das ist auch der Grund, warum die Menschen lange Pendelzeiten immer stärker hinter- fragen. Und auch in Zukunft wird unsere Arbeit zu- nehmend remote stattfinden. Ich halte die Idee einer 15-Minuten Stadt allerdings für illusorisch. Denn sie verkennt, dass Unternehmenskultur und -werte, ein tolles Team und Freude am Job mehr wiegen als kurze Wege. Und genau das motiviert Mitarbeitende, auch weitere Fahrtzeiten in Kauf zu nehmen, um persön- lichen Austausch und Zusammenarbeit zu erleben. Als Arbeitnehmerin kann ich nicht davon ausgehen, dass der Job, der perfekt zu mir passt, in kürzester Zeit erreichbar ist. Als Personalerin wünsche ich mir, dass Menschen den Mut haben, sich den erfüllenden Job in einem passenden Arbeitsumfeld zu suchen, selbst wenn er weiter weg liegt. Sirka Laudon, Personalvorständin von Axa Deutschland Städte befinden sich im Attraktivitätswettbewerb um Unternehmen und Fachkräfte. Hierfür lassen mehr und mehr Städte ihre industriellen Strukturen und Räume hin- ter sich und wenden sich der wissensbasierten Stadt zu. In einer wissensbasierten Ge- sellschaft verändern sich nicht nur die sozialen und wirtschaft- lichen Prinzipien, sondern auch die räumlichen Strukturen von Städten. Wo früher Autostraßen Verbindungen schafften, sind es zukünftig Mobilitätsräume in lebenswerten multifunk tionalen Nachbarschaften. Unabhängig davon, ob es die 15-Meter-Stadt in Skandina- vien oder die 15-Minuten-Stadt Paris ist, Nahräumlichkeit und kurze Wege bestimmen die zu- künftigen Prinzipien, in die sich auch die zukünftigen Arbeits- und Bürowelten integrieren werden. Braucht es noch die eigene Kantine, wenn das Stadtquartier vielfältige und ab- wechslungsreiche Angebote zur Verfügung stellt? Braucht es den ineffizienten Parkplatz, wenn das Pendeln zukünftig mit dem Fahrrad und nicht mit dem Auto erledigt wird? Kreative und zukunftsfähige Firmen werden sich in Zu- kunft von diesen Stadträumen inspirieren lassen. Alle an- deren werden in den monofunktionalen Gewerbegebieten der Vergangenheit angesiedelt sein. Dr. Stefan Carsten, Zukunftsforscher und Stadtgeograf Christiane Bertolini, DNA-Club-Fondatrice, Unterneh merin, im Ping-Pong mit Anna Krumholz, Architektin
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