Personalmagazin plus 11/2021
Trends 35 Um die gesundheitlichen Vorteile einer aktiven Lebensfüh- rung wissen wir schon lange. Schon der berühmteste Arzt des Altertums, Hippokrates (460–370 v. Chr.), hat den Zusammen- hang von Bewegung, Aktivität und Gesundheit erkannt. „Alle Teile des Körpers, die zu einer Funktion bestimmt sind, bleiben gesund, wachsen und haben ein gutes Alter, wenn sie mit Maß gebraucht werden und in den Arbeiten, an die jeder Teil gewohnt ist, geübt werden. Wenn man sie aber nicht braucht, neigen sie eher zu Krankheiten, nehmen nicht zu und altern vorzeitig.“ „Alles Leben ist Bewegung, Bewegung ist Leben“, postulierte auch Leonardo da Vinci. Sein biologisches Grundkonzept gilt für jede Zelle. Leben ist Bewegung, Stillstand ist der Tod. Bewegende Arbeitsprozesse: Noch nie so wichtig wie heute Büroarbeit wird zunehmend komplexer, flexibler und teamorien- tierter. In unserer heutigen Wissensgesellschaft sind unflexible Strukturen, rigide Top-Down-Strukturen und klassische Nine- to-Five-Jobs in den meisten Büros überholte Konzepte. Allen voran steht der Wunsch nach einer flexiblen und sinnstiftenden Arbeitskultur. Ein wesentliches Merkmal dieses „Neuen Arbei- tens“ ist, dass Beschäftigte nicht permanent an das Firmenbüro gebunden sind und die starren Grenzen zwischen Arbeitszeit und Freizeit zunehmend verschwinden. Selbstorganisiertes, sinnstiftendes und kollaboratives Arbeiten bei partizipativer Führung sowie eine die individuelle Entfaltung der Mitarbei- tenden fördernde Arbeitskultur prägen die neue Arbeitswelt. Die temporäre Arbeit aus dem Homeoffice (mobiles Arbeiten) für im Schnitt zwei Tage pro Woche ist nach den Erfahrungen in der Pandemie eine bei vielen gewünschte Option, denn sie bietet nicht nur den Komfort der eigenen vier Wände und den Wegfall des Arbeitsweges, sondern erlaubt auch größtmögliche Flexibili- tät (auch bei der Koordination von Beruflichem und Privatem). Ernüchterung bringen allerdings die jüngsten Daten der DAK hinsichtlich der mit Arbeiten von zu Hause einhergehenden Verhaltensweisen: Menschen verbringen deutlich mehr Zeit im Sitzen, dabei nur zirca 20 Prozent an ergonomischen Arbeits- platzverhältnissen, bewegen sich noch weniger und haben im Schnitt mehr als fünf Kilo zugenommen. Insbesondere die mit dem digital-technologischen Wandel ein- hergehende Zunahme an Sitzzeiten, bei gleichzeitiger Reduktion der Bewegungsaktivität, bleibt nicht folgenlos. Rückenbeschwer- den sind schon seit langem die Wegbegleiter unphysiologischer Arbeitsplatzverhältnisse als auch Arbeitsverhaltensweisen und gelten schon seit Jahren als Volkskrankheit Nummer eins. Immer mehr Wissenschaftler weisen aber auf sogenannte schleichende Krankheitsprozesse hin, die im Zuge dieser vermehrt sitzenden Arbeitsbedingungen unphysiologische Stoffwechselprozesse zur Folge haben. Das sogenannte „sedentary behavior“ (Sitzpassivi- tät) ruft bei einem biologischen System, das auf Bewegung kon- ditioniert ist (evolutives Erbe), komplexe Erkrankungen hervor, wie unter anderem das metabolische Syndrom (Fettleibigkeit, Diabetes zwei, Bluthochdruck), begünstigt Entzündungsprozesse und die Entstehung von Krebs. Dazu kommt, dass das Gehirn nicht ausreichend mit Sauerstoff und wichtigen Botenstoffen (Hormone, Proteine) versorgt wird. Kognitive Funktionen bauen ab, Aufmerksamkeit, Konzentration, Leistungsfähigkeit nehmen spürbar ab und die Produktivität lässt nach. Kein Wunder, dass seit Jahren Schlagzeilen wie diese zu lesen sind: „Sitzen ist das neue Rauchen“, „Sitzen ist tödlich“ oder „Sitzen macht dumm“. Unabhängig, ob die Arbeit im Büro, zu Hause oder sonst wo stattfindet. Orthopäden, Bewegungs- und Arbeitswissenschaftler fordern deswegen mehr körperliche Aktivität, die regelmäßig in den (Büro-) Alltag integriert werden muss. Die negativen Folgen des Dauersitzens sind nach Erkenntnissen der Wissenschaft nicht durch abendliche sportliche Betätigungen auszugleichen. Das heißt, mehr Sitzhaltungswechsel, mehr Sitz-Steh-Dynamik und mehr Bewegungsanteile, in den uns zur Verfügung stehenden Räumen. Eine Faustregel lautet: 50 Prozent sitzen, 25 Prozent stehen und 25 Prozent bewegen. In der Konsequenz: mehr Sitz- dynamik während des Sitzens und deutlich weniger Sitzzeiten. Vom statisch-passiven Sitzen zum aktiv- dynamischen Arbeitsverhalten Unumstritten ist, dass die sitzende Körperhaltung auch in einer hybriden (Arbeiten im Büro imWechsel mit Homeoffice) Arbeits- kultur eine nicht unerhebliche Rolle einnehmen wird. Allerdings setzt sich in Folge oben genannten wissenschaftlichen Erkennt- nisse immer mehr die Überzeugung durch, dass der klassische Sitzarbeitsplatz mit Bürodrehstuhl und Arbeitstisch immer mehr an Bedeutung verlieren wird. Das ist auch der Tatsache ge- schuldet, dass gerade im Homeoffice Mitarbeiter*innen viele Gestaltungsmöglichkeiten hätten und auch haben, ihre Aufgaben in rhythmisch wechselnden Arbeitshaltungen auszuüben. Hier gilt umso mehr: Die nächste Körperhaltung ist immer die beste. Auch in vielen Büros ist es nicht mehr der normale Schreibtisch, an demMitarbeiter den ganzen Tag sitzend arbeiten. Das Büro wird vielmehr zu einer „Landschaft“ mit vielen Modulen, welche die verschiedenen Verhaltensbedarfe, sogenannte „Ich“- und „Wir“- Bereiche, ideal unterstützen. „Ich“-Bereiche für Konzentration und Privatsphäre, „Wir“-Bereiche für soziale Begegnungen und kollaborative Arbeitsprozesse. Für letztere wäre eine sitzende Körperhaltung eher kontraproduktiv. Unverständlicherweise sitzen immer noch die meisten Menschen in traditionellen Konferenz- räumen fest, die „Kreativitätskiller“ sind. Sogenannte „Stand-up Meetings“ bringen dagegen Körper und Geist in Bewegung. Studien bestätigen: Menschen sind agiler, erzielen bessere Ergebnisse und berichten von einer höheren Arbeitszufriedenheit. Unternehmen, Bewegungsraum statt Sitzarbeitsplatz: Ständiger Haltungs wechsel entlastet die Wirbelsäule.
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