Personalmagazin plus 11/2021
24 Arbeitswelten personalmagazin plus: Arbeitswelten Teil der Arbeit völlig ortsunabhängig stattfinden kann. Daher ist der Küchen- tisch nur eine von vielen Möglichkeiten. Längst sitzen nicht mehr nur hippe Krea- tive in Working Cafés, Coworking Spaces und an Stränden, die eine Wifi-Verbin- dung haben. Die Fliehkraft der Entgren- zung der Arbeit wirkt sich auch auf das Umland der Metropolregionen aus. War es vor Corona schon ein Trend, dass man sogenannte Team Offsites, also Projektarbeit, wie zum Beispiel ein Strate- gie-Workshop, im Umland, in der Natur, umsetzte, so kommt nun noch ein weite- rer Effekt hinzu: das ortsunabhängige in- dividuelle Arbeiten außerhalb der Städte. Ein Beispiel: Eine Familie mit Kindern mietet sich für vier Wochen in einer Fe- rienwohnung auf einem Gutshof in Meck- lenburg ein, ohne dass einer der Erwachse- nen Urlaub hat. Die Betreuung der Kinder wird untereinander und mit anderen Familien, die gegebenenfalls befreundet sind, organisiert. Die Arbeit findet am Lap- top und Mobiltelefon statt. An Meetings nimmt man remote teil. Grundvorausset- zung hierfür ist, dass sich alle wohlfüh- len. Und es muss schnelles, zuverlässiges Internet und Rückzugsorte für Meetings und Fokusarbeit geben. Beide Attribute sind alles andere als selbstverständlich im ländlichen Raum und gleichsam un- abdingbar, um diese junge Form der Arbeit leben zu können. Daher entstehen gerade in diesem Segment neue Orte um die Me- tropolregionen herum. Überall dort, wo es spektakuläre Natur und schnelles Internet tuellen Zahlen zufolge sind in Berlin 2021 lediglich 3,9 Prozent Leerstand an Büroflä- chen vorhanden. Das ist in Anbetracht der veränderten Büronutzung durch Home office und Kostendruck der Unternehmen recht überraschend. Die Zahl kann trüge- risch sein. Denn sie drückt aus, wie viel Fläche vertraglich gedeckt ist und dass Miete für diese Fläche gezahlt wird, aber sie sagt nichts über die reale Nutzung aus. Viele Büros sind noch immer leer oder nur zum Teil genutzt. Homeoffice-Regelungen werden nicht zurückgenommen werden. Die meisten Unternehmen gehen davon aus, dass sie in Zukunft insgesamt und pro Mitarbeiter weniger Bürofläche benötigen werden, ohne den neuen Bedarf exakt zu kennen. Um die Zwischenzeit zu über- ANSGAR OBERHOLZ ist Mitgründer und CEO von St. Oberholz. Das Unter- nehmen betreibt an 15 Standorten in Berlin und Brandenburg Flex Offices und Working Cafés. Es organisiert die Headquarter von schnell wachsenden Start-ups und berät Unternehmen beim Wandel der Arbeit. Das „B-Part Am Gleis- dreieck“: Mitten in Berlin vermischen sich Cowor- king, Kultur und Sport und ein Urban Ideation Lab in einem ungewöhn- lichen Gebäude in Voll- holzbauweise. Das Haus kann zu einem späteren Zeitpunkt abgebaut und an einem neuen Ort wie- der aufgebaut werden. gibt. Sollte das satellitengestützte Inter- net Starlink von Elon Musk tatsächlich noch in diesem Jahr in Europa den Betrieb aufnehmen, dürften auch in Deutschland deutlich mehr Orte zuverlässiges Internet haben. Die Transformation, die damit auf den ländlichen Raum zukommt, ist gigan- tisch und braucht neue gesellschaftliche Lösungen, damit die neuen Orte der Arbeit keine „Closed Shops“ für Wissensarbeiten- de aus den Städten werden. Flächenbedarf wird steigen bei gleichzeitigem Büroflächen überschuss in Metropolen Medienexperten wissen, dass Kommunika- tionsmittel nicht aussterben oder abgelöst werden, sondern von neuen Medien er- gänzt werden, und dass sich ihre Funktion wandelt. Der Brief und das Fax und die E- Mail. Das Telefon und die Chat-Apps und die asynchrone Voicemail. Alle Kommuni- kationsformen sind noch vorhanden, keine ausgestorben. Sie werden im Mix genutzt. Und genau das wird auch mit allen ver- schiedenen Arbeitsformen der Wissens- arbeitenden passieren. Keine wird von der anderen abgelöst, sondern sie ergänzen sich gegenseitig und eröffnen nie da ge- wesene Möglichkeiten für Beschäftigte und Unternehmen, die Arbeit ortsunabhängig und nutzerzentriert zu organisieren. Wenn man über die Veränderung der Arbeitsorte spricht, hilft es, den quanti- tativen Flächenbedarf zu betrachten. Ak- Foto A. Oberholz: Carolin Saage
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