Work Culture Festival Was in der Büroarbeit künftig möglich sein wird Kulturwandel Wie New Work auch in der Produktion gelingen kann Hybrides Arbeiten Warum Unternehmen Präsenzarbeit neu definieren müssen personalmagazin Arbeitswelten 09.24 Arbeitswelten Neue Arbeitswelten Technik, Mensch, Kultur 09/2024 personalmagazin.de Arbeitswelten Work Culture Festival Kulturwandel Hybrides Arbeiten
Titelbild: Leandro Alzate; Foto: Peter Granser Editorial 3 Liebe Leserinnen und Leser, die Zahnpasta geht nicht mehr zurück in die Tube. Diese Erkenntnis musste ich vor vielen Jahren machen, als ich – beseelt vom Forschergeist einer Vierjährigen – erkunden wollte, wie viel Creme eigentlich in so einer Tube steckt. Ob sich Geschäftsführer und Personalleiter wohl auch an diesen Wissenssatz erinnern, wenn sie mit ihren Versuchen scheitern, ihre in die hybride Arbeit freigelassenen Beschäftigten zurück ins Büro zu beordern? Prominentestes Beispiel ist Apple, das seit Wiedereinführung einer strengen Präsenzregelung für den Apple Park in Cupertino neben einem erheblichen Imageschaden auch mit dem Weggang von Beschäftigten und Führungskräften kämpfen muss. Dabei haben die Präsenzbefürworter gute Gründe: Zu große Distanz vom Unternehmensoffice bedroht die Vernetzung der Beschäftigten – und damit die Innovationskraft der Unternehmen. Das kann auf Dauer Produktivität, Kreativität und auch die Bindung zum Unternehmen kosten. Ein Dilemma? Eher die Aufforderung, Mitarbeitende zu motivieren, zumindest zeitweise wieder ins Büro zu kommen. Doch dazu muss das Büro seine Rolle verändern. Wer ins Büro kommt, will Kollegen treffen und Aktivität. Der Unternehmenscampus ist zum Ort der Begegnung und Kollaboration geworden, er dient der Ideenfindung, dem Austausch und der Schaffung eines Zugehörigkeitsgefühls. Dazu gehört auch eine Unternehmenskultur, die die schon längst überholten Regeln für Präsenzarbeit infrage stellt und neu gestaltet. Anregungen, wie das umgesetzt werden kann, wollen wir Ihnen gemeinsam mit unserem Kooperationspartner IBA, Industrieverband Büro und Arbeitswelt, in dieser neuen Ausgabe unseres Sonderhefts bieten. Dabei viel Erfolg wünscht Katharina Schmitt, Redaktion Personalmagazin Arbeitswelten Inhalt 04 Das Wir wird führen Die Arbeitskultur der Zukunft 10 Wie der Arbeitsplatz das Empowerment beeinflusst 12 Was Beschäftigte brauchen Employee Experience wird zum strategischen Stellhebel 16 Wie die KI unsere Wissensarbeit verändert 22 Büro der Zukunft I Koelnmesse GmbH 26 Wherever, whenever Das Work Culture Festival auf der Orgatec 2024 30 Einfach kommen und einstöpseln Erfahrungen mit Coworking-Spaces 32 Kulturwandel auf allen Ebenen New Work in der Produktion 36 Warum Leistung und Gesundheit zusammengehören 40 Neue Arbeitswelt am neuen Standort Wie Siemens Healthineers Hybrid Work und Nachhaltigkeit verbindet 43 Büro der Zukunft II Ravensburger AG 46 In fünf Schritten ins neue Büro 48 Mehr Mut für eine hybride Arbeitskultur Sechs Herausforderungen und wie sie bewältigt werden können 52 Nicht alles passt jedem So finden Sie das richtige HybridWork-Modell 56 Stimmen zur Orgatec 2024 58 Schlusskolumne Künstliche versus emotionale Intelligenz personalmagazin Arbeitswelten 2024 „Büros müssen zum Ort der Ideenfindung und Begegnung werden.“ Kooperationspartner:
Arbeitswelten 4 Wherever Schwerpunkt Die Basis für die Zukunft der Arbeit steht: Hybrid Working, KI, Digitalisierung und Vernetzung prägen die neue Arbeitswelt. Entscheidend für das Gelingen aber wird eine neue Arbeitskultur sein, die sich aus der Führungs- und Organisationskultur entwickelt. Unser Schwerpunkt zeigt, was künftig zählt. Illustration Leandro Alzate
Schwerpunkt 5 Whenever
Arbeitswelten personalmagazin Arbeitswelten 2024 6 Das Wir wird führen Von New zu Next Work: Der Umbruch der Arbeitswelt wird eine Kulturveränderung bringen, bei der die Unternehmen selbst Loyalität, Leistung und Lebensqualität in den Fokus ihres Wirkens nehmen. Ein Szenario einer zukünftigen, huma- nisierten Arbeitswelt. Von Daniel Dettling
Schwerpunkt 7 Arbeiten Sie, wie und wo Sie wirklich wollen? Willkommen im New-Work-Club! Der digitale Umbruch der Arbeitswelt fordert Unternehmen, Beschäftigte, uns alle. Der technologische Fortschritt führt auch dazu, dass menschliche Arbeitskraft durch Maschinen ersetzt wird. Remote Work war der Anfang und ChatGPT ist nicht das Ende der Entwicklung, die zu einer Aufwertung der menschlichen Arbeit, zu einer weiteren Humanisierung der Arbeitswelt führen wird. Die nächste Revolution der Arbeitswelt kommt von innen, den Unternehmen selbst. Ihr Thema ist der Wandel der Arbeitskultur. „Work Culture“ wird zum entscheidenden Thema, wenn es um das Gewinnen und Halten von Talenten geht. Was kommt nach den „Bullshit-Jobs“? Der amerikanische Bestseller-Autor David Graeber stellte 2018 in seinem letzten Buch eine provokante und viel zitierte These auf: Rund jede zweite Arbeitsverrichtung ist ein „Bullshit-Job“. Ein Job, der nicht vermisst wird, wenn er wegfällt, weil er keinen sinnvollen gesellschaftlichen Beitrag leistet. Graeber zufolge ist ein Großteil unserer Arbeit „Fake Work“ – gesellschaftlich ohne Nutzen. Umfragen zufolge verbringen die meisten Arbeitnehmer zumindest einen Teil ihrer Arbeitszeit mit sinnfreien Tätigkeiten. Zu den Jobs gehören laut Graeber Investmentbanker, Immobilienmakler und Unternehmensberater. Einer Schweizer Studie zufolge sind davon insbesondere jene betroffen, die im Finanzwesen, im Vertrieb oder als Führungskraft arbeiten. Die Zunahme sinnloser Jobs erklärt der Ethnologe mit der Automatisierung. Zu den Jobs, die stattdessen tatsächlich vermisst werden würden, wenn es sie nicht mehr geben würde, zählen laut Graeber jene Berufe, die bislang nicht die Anerkennung bekommen, die sie verdienen. Jobs, die auch im Zeitalter der Maschinen und der Künstlichen Intelligenz nachgefragt werden. Je stärker die Automatisierung voranschreitet, desto bedeutender werde der Fürsorgecharakter von Arbeit, so Graeber. Auch in Zukunft brauchen wir beides, technologischen und sozialen Fortschritt. Warum verbinden wir nicht die Intelligenz der Maschinen mit der des Menschen? Eine intelligente Welt braucht intelligente Menschen und Unternehmen, die sich kulturell neu aufstellen. Loyalität, Leistung, Lebensqualität – die Zukunft gehört den Caring Companies Der durch die Generationen Y und Z vorangetriebene gesellschaftliche Wertewandel führt zu einer Nachfrage nach sinnhafter und qualitativer Tätigkeit. Die Themen Freizeit, Zeit für Familie und Freunde haben eine zunehmend hohe Bedeutung. Die Antwort der Jüngeren auf die Frage nach den wichtigsten Lebenszielen ist, möglichst unabhängig sein, einen sinnvollen Job haben sowie Zeit, das Leben zu genießen. Die Jüngeren wissen, was Stress, Zeitnot und Burn-out mit ihren Eltern gemacht haben. Und sie können sich auf leer gefegten Arbeitsmärkten ihren Arbeitgeber aussuchen. Zur zentralen Frage wird, wie, was und wozu wir in Zukunft arbeiten. Mit der wachsenden Mobilität von Mitarbeitenden wird es wichtiger denn je, Werte wie Offenheit, Vertrauen und Zusammenhalt überall gleichermaßen zu leben. Jedes zukunftsfitte Unternehmen wird zur Caring Company, die Loyalität, Leistung und Lebensqualität verbindet. An die Stelle von vertikaler Loyalität nach oben tritt horizontale Loyalität. Aus hierarchischen Organisationen werden Netzwerke. Aus Unternehmen werden Fürsorge-Firmen, die sich auch um die Lebensbedürfnisse von Mitarbeitern und deren Angehörigen kümmern. Dabei geht es vor allem um Skills, Resilienz und ein gemeinsames Wir. Die neuen Währungen: Skills, Resilienz, Wir Maschinen, Roboter und Künstliche Intelligenz werden menschliche Arbeit nicht überflüssig machen. Es geht darum, Tätigkeiten und Jobs zu definieren, die unseren emotionalen, sozialen und geistigen Ansprüchen und Erwartungen entsprechen, sie aufwerten und besser bezahlen. In der neuen Arbeitsgesellschaft heißen die Währungen „Skills“, „Resilienz und Prävention“ und „Wir führen“. Die Skill-driven Organisation. Eine wichtige Rolle spielt die Steigerung der Zufriedenheit der Beschäftigten durch flexible Arbeitsmodelle (Homeoffice, Co-Working, Auszeiten), moderne Feedbackinstrumente oder ein mitarbeiterspezifisches Vier To-dos für zukunftsfitte Unternehmen 1. Vernetzt denken. Das Entscheidungsmonopol von der Firmenspitze nach unten verteilen. Führungskräfte sehen sich nicht mehr als Aufgabenverteiler, sondern stellen das Wissen und die Selbstorganisation der Mitarbeitenden stärker in den Fokus. 2. Büros werden zu kreativen Räumen. Ausprobieren und Fehlermachen sind ausdrücklich erwünscht, so dass Wissen frei fließen kann, um bereits vorhandene interne Ressourcen besser zu nutzen. 3. Innovation braucht Interdisziplinarität. Erst wenn Expertise und Perspektiven aus unterschiedlichen Abteilungen interdisziplinär zusammenkommen, werden echte Innovationen möglich. 4. Up- und Reskilling ist das neue lebenslange Lernen. Die Expertise der Beschäftigten durch kontinuierliches Up- und Reskilling auf dem neuesten Stand halten.
Arbeitswelten personalmagazin Arbeitswelten 2024 8 Skill Management. So gehoren Achtsamkeitskurse, die eine digitale Resilienz fördern, für immer mehr Unternehmen zum Standardrepertoire der hausinternen Weiterbildungen. Insbesondere große IT-Unternehmen wie Microsoft setzen darauf, dass Mitarbeitende selbst entscheiden, mit wem und wo sie zusammenarbeiten möchten. Das verändert auch die Büros. Neben Rückzugsorten für Tätigkeiten, die eine hohe Konzentration erfordern, gibt es Büroflächen, die bewusst auf Teamarbeit und Kollaboration ausgelegt sind. So bietet der 2023 eröffnete Beiersdorf Campus auf einer Fläche von mehr als 50.000 Quadratmetern dynamische Arbeitswelten und Raumangebote für Zusammenarbeit. Die Deutsche Telekom setzt mit dem Projekt „Strategisches Skill Management“ darauf, seine Belegschaft kontinuierlich fit für die Zukunft zu machen. Auch Telefonica will eine Skill-basierte Organisation werden und sucht künftig stärker nach Skills innerhalb der Organisation. Resilienz und Prävention. In einer (Arbeits-) Welt der Krisen müssen sich Unternehmen aktiv und präventiv auf Herausforderungen vorbereiten. Resiliente Unternehmen erkennen Chancen und Risiken früher und verfügen über ein höheres Maß an Anpassungsfähigkeit gegenüber Veränderungen. Erfolgsfaktoren sind starke Mitarbeiter, eine Kultur der Wertschätzung und des gesunden Führens. Es geht um Sinnstiftung, Spielfreude, Fehlertoleranz, Zukunftskompetenzen, Experimentierfreude und Eigenverantwortung. Gesundheitsprävention wird wichtiger, auch um steigende Fehlzeiten zu vermeiden. Dazu gehören auch Arbeitszeitmodelle, in denen die Mitarbeitenden gemeinsam mit der Führungskraft definieren, wann sie ins Büro kommen. Das Wir führt. Kulturwandel bedeutet, Haltung und Strukturen radikal infrage zu stellen. Aus „Ich führe“ wird „Wir führen“. So hat die Otto Group bereits vor bald 20 Jahren das Programm „Kulturwandel 4.0“ ins Leben gerufen – und startete die Einführung kollaborativ-vernetzter Arbeitsmethoden. Dafür nutzt der Konzern auch das Hamburger Pop-up Office: Kreativschaffende, Berufstätige aus anderen Branchen, Soloselbstständige und Angestellte wechseln hier gemeinsam die Perspektive und gehen in interdisziplinären Teams durch intensive Arbeitsprozesse. Cross-sektorales Arbeiten, Impulsvorträge und „Culture Sprints“ erschließen neue Erkenntnisse zu Kulturwandel, agilen Managementansätzen, Digitalisierung und zeitgemäßer Büro- und Arbeitsplatzgestaltung. Der Landmaschinenhersteller John Deere, 2023 als bester Arbeitgeber ausgezeichnet, hat mit „Co-Leadership“ ein System eingeführt, bei dem sich zwei Tandempartner gleichberechtigt Führungsverantwortung teilen. Es geht um Wachstumsmöglichkeiten und eine wertschätzende Kultur der transformationalen Führung. Ihre zentralen Zukunftskompetenzen sind Kommunikationsfähigkeit, emotionale und soziale Intelligenz, interkulturelle Kommunikation und Diversity Management. Innovationen schaffen mehr Jobs als sie zerstören Technologische Innovationen schaffen mehr Jobs als sie zerstören. Und zwar aus einem einfachen Grund: Wird eine Aufgabe automatisiert, sodass sie schneller und billiger erledigt werden kann, steigt meist die Nachfrage nach menschlichen Arbeiten, die noch nicht automatisiert wurden. Die Automatisierung hat also auch einen befreienden Effekt – sie überführt menschliche Tätigkeiten in höhere Komplexität und emanzipiert uns von stupider, monotoner Arbeit. Das historische Beispiel hierfür ist der Wandel in der Landwirtschaft vor 200 Jahren. Viele Menschen haben zu Beginn der Industrialisierung ihren Beruf als Bauer verloren und mussten in die Städte ziehen, um dort in den neuen Fabriken zu arbeiten. Diese Veränderung fiel ihnen sicherlich nicht leicht, und besonders geliebt werden die Menschen ihre neuen Jobs auch nicht haben. Doch die Arbeit auf dem Acker war Die zentralen Kompetenzen der Zukunft sind Kommunikationsfähigkeit, soziale und emotionale Intelligenz, interkulturelle Kommunikation und Diversity Management.
9 Schwerpunkt beschwerlich und entsagungsreich, im Vergleich dazu waren die neuen Jobs meist sicherer, besser bezahlt und schlicht auch weniger vom Wetter abhängig. New Work: Smart, Hard, Care Work Die Antwort auf den Aufstieg der Maschinen ist der Aufstieg des kreativen Menschen. In Zukunft geht es nicht um Fleiß, sondern um Kreativität. Kreativität, Erfahrung und Intelligenz werden Maschinen in dieser Verbindung auf absehbare Zeit nicht abbilden können. Das Grundprinzip der Digitalisierung ist Vernetzung. Die künftige Arbeits- und Unternehmenswelt wird aus vernetzten Teams bestehen. Die Beschäftigten werden schneller neu und umlernen. Ein langes Studium und danach die lebenslange Anstellung bei der gleichen Firma passen nicht in die Welt des schnellen Wandels. Es geht um Selbstständigkeit, unternehmerisches Mitdenken und die Entfaltung aller Potenziale, Führungskräfte wie Mitarbeiter. Wir werden selbstbestimmter und selbststänDR. DANIEL DETTLING ist Zukunftsforscher und Gründer des Instituts für Zukunftspolitik. Sein aktuelles Buch heißt „Eine bessere Zukunft ist möglich. Ideen für die Welt von morgen“. diger arbeiten. Kulturtechniken wie emotionale Intelligenz, Kommunikationsintelligenz, Netzwerkintelligenz werden wichtiger im Zeitalter von Künstlicher Intelligenz und intelligenter Produktion. Smart und Hard Work werden ergänzt durch einen dritten Bereich: Care Work. Dabei handelt es sich um jene Arbeit, die (noch) nicht kommerzialisiert und bezahlt wird. Freiwilliges Engagement, die Erziehung und Pflege eigener Angehöriger, politische Teilhabe. Diese Tätigkeiten werden bedeutender, wohingegen die Bullshit-Berufe an Relevanz verlieren. Die vier Cs: Connections, Comfort, Communication und Care Für die in Wien lebende Trendforscherin Oona Horx-Strathern entscheiden in Zukunft vier „C“ über die Qualität und Attraktivität eines Büros: Connections (neue Büronetzwerke), Comfort (bequemes Arbeiten), Communication (lebendige Flächen) und Care (Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben). Es geht um räumliche Netzwerke und kommunikative Inseln, wo sich Mitarbeitende treffen und austauschen, Smalltalk betreiben und sogar gemeinsam kochen können. Wer im Büro den gleichen Comfort wie zuhause hat, etwa ein gesundes Mittagessen, legere Kleidung und den kurzen Mittagsschlaf, schätzt das Arbeiten dort mindestens genauso. „Caring“ umfasst die ganze Bandbreite von Unterstützung, angefangen von Kinderbetreuung und dem Ermöglichen von Workation und mobilen Arbeiten bis hin zur betrieblichen Altersvorsorge und Weiterbildung. Das Büro wird zum Ort der Begegnung, Verbindung und Identifikation. Und darin liegt der eigentliche Mehrwert des Büros: In der gemeinsam geteilten menschlichen Intelligenz, die uns von der künstlichen, maschinellen Intelligenz unterscheidet. Die neue Büro- und Arbeitswelt ist keine von der Stange, sondern maßgeschneidert. Präsenz und Performance gehen Hand in Hand. Talentismus ersetzt Taylorismus Die alte Arbeitswelt des Taylorismus, der Industriegesellschaft mit Massenproduktion, Routine und Standardisierung und dem „einen besten Weg“, wird abgelöst durch Talentismus: eine Arbeitswelt, die auf die Talente und Stärken eines jeden Einzelnen maßgeschneidert ist und mehr auf Selbstständigkeit, Unternehmertum und das, was „Menschen wirklich, wirklich wollen“, setzt (Frithjof Bergmann). Talente sind das neue Kapital. Grundpfeiler der Wir-Kultur 1. Professionelle Empathie: Ideen, die nicht der eigenen Perspektive und Erfahrung entsprechen, haben es in Unternehmen schwer. Das zeigt sich vor allem bei Change-Projekten und Generationenkonflikten. Es geht darum, neugierig auf die Sichtweisen der anderen Kollegen zu sein. Führungskräfte sollten durch einen intelligenten Wechsel der Perspektive zeigen, dass es mehr als nur die eigene Perspektive gibt. . 2. Diversity als Grundhaltung: Das Management von Vielfalt wird zum wichtigsten Erfolgsfaktor. In einer zunehmend globalen Welt öffnet ihre Abbildung in der eigenen Organisation die Sichtweise auf die Herausforderungen und Wünsche der Kunden. „Diversity als Haltung“ heißt, dass Führungskräfte die innere Neugierde ihrer Mitarbeiter aktivieren und Führung als Akt der Potenzialentdeckung verstehen. 3. Intergenerationelles Lernen: Die Generationen X, Y, Z und Babyboomer können mehr voneinander lernen. Statt „War for Talents“ geht es darum, kluge Köpfe zu finden und in den eigenen Reihen zu fördern und weiterzuqualifizieren. Führungskräfte werden zu Moderatoren der unterschiedlichen Generationen und bringen die Stärken jeder Person ins Spiel. Es geht um Kulturen und Umgebungen, in denen sich die Beschäftigten geschätzt und beteiligt fühlen.
Personalmagazin: Seit Jahren diskutieren wir über den Begriff New Work. Wie definieren Sie New Work? Carsten Schermuly: New Work ist ein sehr alter Begriff, er wurde ursprünglich von Frithjof Bergmann in die Literatur eingeführt. Bergmanns Denken kreiste um die Frage, wie Arbeit etwas werden kann, das Menschen stärkt. Und wenn wir darüber reden, wie Arbeit Menschen stärken kann, gelangen wir aus psychologischer Sicht zum Thema Empowerment. New Work heißt für mich deshalb Empowerment. Empowerment umfasst Maßnahmen, die das Ziel haben, Menschen psychologisch zu stärken, ihr Erleben von Sinn, Selbstbestimmung, Einfluss und Kompetenz. Wie sieht der Rahmen aus, der dieses Empowerment bestimmt? Es gibt nahezu unendlich viele Faktoren, die das Erleben von Empowerment beeinflussen können. Zum einen sind Interview Christoph Pause „ Der Arbeitsplatz beeinflusst das Empowerment“ New Work hat das Ziel, Arbeit so zu gestalten, dass sie den Menschen stärkt, sagt Carsten Schermuly. Wir sprachen mit ihm über den Einfluss, der in diesem Zusammenhang der Arbeitsplatzgestaltung, aber auch dem Arbeitsort zukommt. das Persönlichkeitsfaktoren, der eine blickt ganz anders auf Empowerment und empfindet Maßnahmen anders als der andere. Es gibt aber auch Persönlichkeitsfaktoren, die Empowerment – Selbstbestimmung, Einfluss, Kompetenzerleben – erleichtern. Das sind vor allem die sogenannten Core-Self-Evaluations. Die Core-Self-Evaluations umfassen die grundlegenden Persönlichkeitsmerkmale Selbstwirksamkeitserwartung, Selbstwertgefühl, Kontrollüberzeugung und Neigung zum Neurotizismus, die zusammen das Selbstkonzept einer Person beeinflussen und darüber das Empowermenterleben. Welche Rolle kommt dabei der Führungskraft zu? Die Führung hat ganz entscheidenden Einfluss auf Em- powerment. Führungskräfte haben Möglichkeiten, New Work im Sinne von Empowerment zu stimulieren. Dazu gehört nicht zuletzt, dass Führungskräfte für ihr eigenes Empowerment sorgen. Führungskräfte, die selbst keinen Sinn erleben in dem, was sie tun, die sich als fremdgesteuert wahrnehmen und ihre eigene Wirksamkeit infrage stellen, können Mitarbeitende nur schwer empowern und sie bei diesen Themen unterstützen. Deshalb ist der umfassende Rahmen so wichtig: die Organisationsstruktur, die Unternehmenskultur, die Arbeitsgestaltung. Das alles kann Empowerment begünstigen und behindern und spielt eine wesentliche Rolle für das Maß an Empowerment, das möglich ist. Sie sagen, New Work habe das Ziel, Arbeit anders zu gestalten, nämlich als etwas, das Menschen stärkt. Können Sie wissenschaftlich etwas mit dem Begriff „neue Arbeitswelten“ anfangen, den manche in die Debatte einführen, weil „New Work“ mittlerweile ein leerer Begriff sei? Nein. Wobei ich mich auch immer frage, warum wir in Deutschland für das, was ich skizziert habe, den Oberbegriff New Work brauchen. Andere Länder schaffen es, über das Thema zu diskutieren und Arbeit auf eine neue Spur zu setzen ohne diesen Oberbegriff. Und jetzt kommen mit „neue Arbeitswelten“ und Ähnlichem sogar neue Begriffe dazu. In meinen Augen ist das stark den Marketingbemühungen aus dem Beratermarkt geschuldet. Unternehmensberatungen Arbeitswelten 10 personalmagazin Arbeitswelten 2024
positiven Führungsstilen, den größten Impact auf das psychologische Empowerment. „Arbeitsumgebung“ ist aber ein sehr breiter Bereich. Dazu gehört der konkrete Arbeitsort und wie dieser gestaltet ist. Aber eben auch die Frage, wie Regeln oder Arbeitszeiten gestaltet sind, wie viel Flexibilität sie bietet und wie groß der Einfluss der Mitarbeitenden auf die Arbeitszeitgestaltung und das Pausenmanagement sind. Arbeitsumgebung schließt darüber hinaus auch die Freiheitsgrade ein, die Mitarbeitende bei ihren Tätigkeiten haben. Wie groß sind deren Handlungsspielräume, wie viel Kreativität bei der Problemlösung dürfen sie an den Tag legen? Ist alles bis ins Kleinste geregelt oder können sie sich frei innerhalb eines Rahmens bewegen? Gibt es sozusagen eine geregelte Freiheit? Und das ist noch nicht alles. Sie sehen, die Arbeitsumgebung hat einen immensen Einfluss, ist aber sehr vielschichtig. Je länger die Pandemie zurückliegt, desto lauter werden die Stimmen, die die Anwesenheit in den Büros erhöhen wollen. Meist mit dem Argument, hybride Arbeitsformen schadeten der Kreativität und der Innovationsfähigkeit, weil Menschen nur gemeinsam an einem Ort innovativ sein könnten. Um das alles attraktiver zu machen, werden Kreativräume, Kommunikationszonen und Ähnliches aufgebaut. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der konkreten Büroausgestaltung und Empowerment? Ich kenne keine Studien, die sich konkret mit der Frage beschäftigt hätten, wo genau die Kaffeeküche platziert sein muss und wie genau die Gestaltung der Kaffeeküche Mitarbeitende inspiriert. Aber es liegt auf der Hand, dass die räumliche Arbeitsumgebung, in der sich die Menschen tagtäglich bewegen, alles bieten muss, was die Menschen zum Arbeiten brauchen. Wenn Leute vor Ort zusammenkommen und in Berufen mit hoher Interdependenz arbeiten, wenn sie sich oft und intensiv austauschen müssen, wenn es um Kreativität geht oder wo soziales Lernen wichtig ist – dann sollten Unternehmen in den Büros Räume schaffen, in denen Kommunikation und Interaktion möglich sind. In vielen Fällen haben Menschen über den Arbeitstag verteilt aber unterschiedliche Bedürfnisse. Einmal konzentriertes Nachdenken für sich allein, später Wissensaustausch, dann wieder schreiben oder lesen, danach einen Workshop. Kurz: Ein Mensch wandert im Laufe seines Arbeitstags, wenn er oder sie kein festes Büro mehr hat. Im Sinne von Empowerment und New Work ist es, wenn Menschen selbstbestimmt wandern können und die Orte finden, an denen sie bestmöglich das tun können, was für sie gerade ansteht. Und dass sie selbstbestimmt sagen können „Heute muss ich etwas schreiben, programmieren oder lesen, das mache ich zuhause, weil ich dort dafür die besten Voraussetzungen finde“. Insofern würde ich sagen: Die konkrete Arbeitsplatzgestaltung hat Einfluss auf das Empowerment. Aber sie selbst empowert nicht. Prof. Dr. Carsten C. Schermuly lehrt internationale Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Wirtschaftspsychologie an der SRH Hochschule Berlin und forscht unter anderem zum Thema New Work in Verbindung mit psychologischem Empowerment. versuchen, ihre Dienstleistungen an die Frau und an den Mann zu bringen. Und weil „New Work“ ein bisschen verbraucht ist, nehmen sie halt einen neuen. Aus einer wissenschaftlichen Perspektive brauchen wir nicht irgendwelche unscharfen Sammelbegriffe: Was wir brauchen, sind präzise Definitionen und Operationalisierungen, eben beispielsweise beim Thema Empowerment. Empowerment ist definiert und akzeptiert. Es geht um vier Komponenten – das Erleben von Bedeutsamkeit am Arbeitsplatz, das Erleben von Kompetenz am Arbeitsplatz, das Erleben von Selbstbestimmung und das Erleben von Einfluss. Dieses Verständnis von Empowerment liegt überall auf der Welt auf eine ähnliche Art und Weise der Forschung zugrunde. Sie haben das Wort Arbeitsumgebung genannt, das über den reinen Arbeitsplatz, sei es am Schreibtisch oder am Fließband, hinausweist und Organisationsstrukturen oder Führung einbezieht. Welchen Einfluss auf die vier Em- powermentfaktoren hat die Welt, in der jemand arbeitet? Die Arbeitsumgebung und die Arbeitsgestaltung haben einen deutlichen Effekt. Das hat nicht zuletzt die Metaanalyse von Scott E. Seibert, Gang Wang und Stephen H. Courtright gezeigt. Demnach hat die Arbeitsumgebung, gemeinsam mit CHRISTOPH PAUSE ist Chefredakteur der Onlineplattform Haufe New Management und Autor für das Personalmagazin. 11 Schwerpunkt
12 Arbeitswelten personalmagazin Arbeitswelten 2024 Von Johanna Bath und Jörg Staff Was Beschäftigte brauchen
13 Schwerpunkt Zukünftig geht es nicht mehr nur darum, wie benutzerfreundlich ein IT-System ist oder wie kundenfreundlich ein Unternehmen sich verhält, sondern wie individuell Mitarbeitende und Führungskräfte interagieren. Human Experience wird zum strategischen Stellhebel der Zukunft. Gründe und Vorgehen für den Perspektivenwechsel. Führende Unternehmen verfolgen heute Arbeitsgestaltungsansätze, die darauf abzielen, individuelle Mitarbeiterbedürfnisse zu erfüllen und unterschiedliche Anforderungen an Arbeit durch entsprechende Angebote abzubilden. Diese Unternehmen gestalten ihre Arbeitsplätze neu, indem sie menschenzentrierte Arbeitsplatzpraktiken, flexiblere Rahmenbedingungen und hybride Arbeitsformen schaffen, um den kontinuierlichen Wandel am Arbeitsplatz für Einzelpersonen und Teams wirkungsvoll zu unterstützen. Die weltweite Umstellung auf mobile Arbeit während der Pandemie hat diesen Trend beschleunigt. Der Human-Centric-Work-DesignAnsatz (menschenzentriertes Design der Arbeitsorganisation) geht weit über die oben genannten Anstrengungen hinaus. Die Ansätze für Kunden werden dabei auch auf die Mitarbeitenden übertragen. Holistisch gesehen beinhaltet der menschenzentrierte Ansatz einen Rahmen für den Ausgleich zwischen den Interessen und Anforderungen des Unternehmens und den Interessen und Bedürfnissen der Mitarbeitenden, Kunden und weiterer Stakeholder. Oft ersticken diese Ansätze in der Umsetzung im Unternehmen im Keim, weil der „End-to-End“-Gedanke für die Erstellung von internen, Prinzipien der Employee Experience Ein auf den Menschen ausgerichtetes Unternehmen oder eine solche Organisation orientiert sich an folgenden Prinzipien: • Der Fokus liegt immer auf den Menschen bei jeder Entwicklung (Produkte, Services, neue Organisation et cetera); diese menschenzentrierte Haltung ist verankert in der Unternehmensstrategie und in den Werten des Unternehmens. • Alles ist miteinander verbunden; der systemische Ansatz fokussiert auf das Schaffen von gesamtheitlichen, cross-funktionalen und positiven Erlebnissen aus der Perspektive der Mitarbeitenden und Kunden. • Ein menschenzentriertes Unternehmen baut Resilienz bei Mitarbeitenden und der Organisation auf – durch iteratives Arbeiten und permanentes Lernen für mehr Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. • Eine menschenzentrierte Organisation stellt die Mitarbeitenden den Kunden gleich und investiert genauso in die Entwicklung besserer menschlicher Erfahrungen ihrer Mitarbeitenden wie in die der Kunden, Partner, der Gemeinschaft und anderen Stakeholdern. • Ein humanzentriertes Unternehmen bildet diese Grundsätze auch in der Ablauf- und Aufbaustruktur ab, zum Beispiel durch Teamstrukturen, die nach den Prinzipien „End-to-End“ und „Valuestream“ organisiert sind, oder durch agile Führung und Methoden. • Eine menschenzentrierte Organisation vermeidet Arbeitsfriktionen auf operativer Arbeitsebene. • Co-Creation und Co-Design sind die Basis für die Services und Produkte für Mitarbeitende und Kunden.
14 Arbeitswelten personalmagazin Arbeitswelten 2024 übergreifenden Mitarbeiterservices strukturell an den Abteilungsgrenzen hängen bleibt und es noch keine crossfunktionale Organisationseinheit gibt, die dieses Thema effektiv bearbeiten könnte. Wandel zur menschenzentrierten Organisation Die Arbeitsorganisation darf künftig nicht mehr nur als Kostenstelle angesehen werden, sondern kann ein bedeutender Hebel für den geschäftlichen Erfolg sein, ein Ort, der „menschliche Spitzenerlebnisse“ bietet, „magische Momente der Zusammenarbeit“ ermöglicht und dem Wunsch der Mitarbeitenden nach einem stärkeren Gefühl der Inspiration, Sinnstiftung und Zugehörigkeit zu einem Unternehmen entspricht. In Zukunft wird sich der menschenzentrierte Arbeitsplatz durchsetzen, da die Unternehmen erkennen werden, dass die Mitarbeitenden wie „Verbraucher“ zu behandeln sind, die einen starken und überzeugenden Grund benötigen, um für ein Unternehmen engagiert zu arbeiten und sich persönlich einzubringen. Die Mitarbeitenden interpretieren ihre Erfahrungen, die sie am Arbeitsplatz machen, über ihre fünf Sinne. Ein ständiger Strom von Eindrücken, Erlebnissen und Informationen ermöglicht es ihnen, Urteile zu fällen und diese Erinnerungen, Gefühle und Wahrnehmungen zu speichern. Die Menschen machen sich ein mentales Bild von ihrem Arbeitgeber, genau wie sie es tun würden, wenn sie Verbraucher wären. Diese Urteile hinterlassen bleibende Eindrücke, die sie nutzen, um ihre Einstellung zu ihrem Unternehmen zu festigen. Potenzielle künftige Mitarbeitende tun dasselbe, sie stützen ihre Eindrücke aber auf andere Daten. In Anlehnung an das Verbrauchermarketing handeln fortschrittliche Unternehmen nach der grundlegenden Überzeugung, dass ein echtes Verständnis für den Kunden und ein hervorragendes Benutzererlebnis sowie eine holistische Sicht auf die Mitarbeitenden die Nachfrage nach dem „Arbeitsplatzprodukt“ steigern werden. Die grundlegenden Prinzipien einer menschenzentrierten Organisation sehen Sie im Kasten auf Seite 13 (Anmerkung der Redaktion). Eine neue Rolle entsteht: der Employee Experience Officer Der Wandel zu einem Human-CentricWork-Design-Modell ist disruptiv und braucht die Unterstützung der Unternehmensleitung, eine unternehmensweite Orientierung an den Designprinzipien und eine Anpassung der internen Serviceorganisationen und Führungsrollen. Ideal ist eine Integration folgender Funktionen: digitaler Arbeitsplatz (interne IT), physischer Arbeitsplatz (Real-Estate- und Facility-Management), Personal (HR), Organisation und Prozesse, Nachhaltigkeit und interne Kommunikation. Deren Leistungen umfassen einen Großteil der täglichen, menschlichen Interaktionen (Touchpoints) und Supportfunktionen der Mitarbeitenden im Unternehmen. Typischerweise tangiert der Lifecycle eines Mitarbeitenden mehrere Funktionsbereiche, wie zum Beispiel beim Onboarding-Prozess (Zugang zu den IT-Systemen, Mitarbeiterausweis, Arbeitsplatzausstattung, Onboarding-Seminare, Anlegen der Personalstammdaten et cetera). Durch die holistische Sicht auf den Prozess und die Bündelung der Aktivitäten können wesentlich integrierter Mitarbeitererlebnisse geschaffen werden. Acht Kernaufgaben des Employee Experience Officer Er/Sie • integriert und stärkt die Professionalität der verschiedenen fachlichen Funktionsbereiche aus Sicht der Mitarbeitenden und schafft eine einheitliche Taxonomie über die zu integrierenden Funktionsbereiche. • holt sich kontinuierlich Feedback und kommuniziert mit den Mitarbeitenden, um die Bedürfnisse zu ermitteln; er/sie nutzt Daten, ermittelt die Ursachen für Friktionen auf Arbeits- und Systemebene und eliminiert diese. • stellt sicher, dass die Mitarbeitenden den Sinn und die Wirkung ihrer Arbeit kennen, verstehen und erleben und steigert das Kundenverständnis für alle Mitarbeitenden. • stellt Arbeitsplätze und ein Zusammenarbeitsmodell zur Verfügung, die die Bedürfnisse der Mitarbeitenden und des Unternehmens abdecken in produktiver und sozialer Sicht; er/sie verbindet Menschen und bildet Communitys. • integriert den physischen und digitalen Arbeitsplatz sowie Prozesse und Menschen für ein nahtloses, integriertes Arbeitsplatzerlebnis, das Menschen verbindet, motiviert und inspiriert. • kreiert »moments that matter« (siehe unten) und gibt den Menschen einen Arbeitsrahmen, der ihre Kreativität und individuelle Entwicklung fördert und Erlebnisse schafft, die die Menschen mit dem Unternehmen verbinden. • bringt die Mitarbeitendenperspektive in die strategische Ausrichtung und in Entscheidungen des Unternehmens ein. • misst den Einfluss der Mitarbeitenden auf die Kunden, den Einfluss der Kunden auf die Mitarbeitenden und den Einfluss der Mitarbeitenden auf die KPIs des Unternehmens.
15 Schwerpunkt Viele Arbeitsprozesse im Unternehmen können damit »end-to-end« unterstützt und operative Friktionen in der täglichen Arbeit der Mitarbeitenden vermieden werden. Die Verantwortung für die Ausgestaltung und Umsetzung dieses Ansatzes übernimmt die neue Rolle des Employee Experience Officer (EXO). Der/Die EXO ist verantwortlich für einprägsame Arbeitsplatzerlebnisse, die Menschen verbinden, motivieren und inspirieren. Einen Überblick über die wesentlichen Aufgaben eines Employee Experience Officers finden Sie im Kasten auf der nebenstehenden Seite 14 (Anmerkung der Redaktion). Für die EXO wird es um die Fragen gehen: Was brauchen die Menschen, um produktiv zu arbeiten und sich engagiert einzubringen, und wie können wir dieses Mitarbeitererlebnis ganzheitlich sicherstellen? Wie sieht der „perfect day“ eines Mitarbeitenden im Unternehmen aus? Es geht dabei um kulturelle, technologische und physische Aspekte (schmecken, sehen, fühlen, hören). Es geht um den physischen Arbeitsplatz, die Arbeitsinfrastruktur, die Zusammenarbeit und Kommunikation im Unternehmen, um die Sinnhaftigkeit der Aufgaben und die persönlichen Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten. Dieser neuen Employee-Experience-Rolle wird sich die klassische HR-Funktion unterordnen müssen. Die Zeit der HR-Silos ist vorbei. Eine Endto-End-Betrachtung der Mitarbeiterzufriedenheit wird zu einem disruptiven Faktor für das Mitarbeiterengagement und die Produktivität. Ausblick: Employee Experience als Gradmesser des Unternehmenserfolgs Es handelt sich bei diesem „Big Shift“ um ein sehr disruptives Vorgehen. Durch die Integration der oben genannten Funktionsbereiche in einen Servicebereich verschieben sich im Zweifel die Machtstrukturen in der Unternehmensleitung oder im Topmanagement. Das ist offensichtlich nur durchzusetzen, wenn alle vom Mehrwert und der Synergie überzeugt sind (oder werden). Viele Beratungsunternehmen und Serviceanbieter im Ökosystem HR leben davon, die bestehenden HR-Strukturen mit ihren Defiziten aufrechtzuerhalten. Je größer die Unternehmen und damit die Funktionsbereiche, desto mehr geht es um Macht und Einfluss. Die meisten Unternehmen sind funktional/ tayloristisch aufgestellt – mit interner IT, HR, Finanzen, interner Kommunikation und ähnlichen. Dieses System zu kippen und die Funktionen zu integrieren, ist eine enorme Herausforderung. Als kleiner, erster Schritt empfiehlt sich ein kollaborativer Ansatz, der die oben genannten Funktionsbereiche über gemeinsame Ziele, Plattformen und Projekte stärker in die Zusammenarbeit zur Bildung einer integrierten Employee Experience bringt. Denn sicher ist: Die Employee Experience (EX) wird zukünftig zum Gradmesser des Unternehmenserfolgs. Verschiedene Studien und Untersuchungen zeigen bereits in Ansätzen, dass EX sehr positiv auf den Unternehmenserfolg wirken kann. So haben engagierte Mitarbeitende und Organisationen nach einer Gallup Studie von 2021 bis zu 81 Prozent weniger Fehlzeiten, zusätzlich wurde festgestellt, dass besonders engagierte Geschäftseinheiten ein Plus von 18 Prozent bei den Umsätzen und von 10 Prozent bei den Kundenbewertungen erreichen. Die ersten Unternehmen implementieren bereits systematisch EX-Dashboards oder fragen gezielt in Pulse-Checks mehrmals unterjährig nach entsprechenden KPIs, wie beispielsweise • E mployee Engagement and Satisfaction • Employee Net Promotor Score • A nzahl Einstellungen durch Weiterempfehlung von Mitarbeitenden • Fluktuationsrate • Mitarbeiter-Absentismus • A usschöpfung der Urlaubstage • Unternehmensbewertung auf Portalen • D EI-KPIs (Diversity, Equity and Inclusion) • T eilnahmequote bei Trainings und Trainingstage je Mitarbeiter und • U msatz beziehungsweise Profit je Mitarbeiter. PROF. DR. JOHANNA BATH lehrt Strategie und Finanzen an der ESB Business School und erforscht gesellschaftliche Trends und deren Bedeutung für Unternehmen. JÖRG STAFF ist Vorstandsmitglied und Chief People Officer bei Atruvia und Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Personalführung (DGFP). Dieser Beitrag ist ein gekürzter Auszug aus dem neuen Herausgeberwerk der Autorin. Johanna Bath/Katrin Winkler, Hybrides Arbeiten in Unternehmen, Haufe, 2024
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Schwerpunkt 17 Von Birgit Gebhardt In Zeiten von Arbeitskräftemangel, globaler Komplexität und Minimalwachstum erhalten wir intelligente Werkzeuge, die nicht nur die Produktivität der Unternehmen erhöhen, sondern sich auch anschicken, unser Lern- und Leistungsspektrum auf ein neues Niveau zu heben. Wie das aussehen könnte, lässt sich am besten anhand der KI-Vorzüge demonstrieren, die wir für unsere Arbeit nutzen und die sie zugleich verändern werden. Wie die KI unsere Wissensarbeit verändern wird Die Geschwindigkeit nimmt zu: Angebot- und NachfrageProzesse werden sich mit KI weiter automatisieren, zahlreiche Aufgaben lassen sich per Chat lösen, und auch die präzise Erkennung von großen Veränderungen bis hin zur kleinsten Molekülebene wird unsere Arbeitswelt verwandeln. Die KI wird zum Beschleuniger – und wir sind in der Verantwortung. Das World Economic Forum benennt in seinem Future-of-Jobs Report 2023 die Künstliche Intelligenz als einer der Haupt-Disruptoren, die bis 2027 fast ein Viertel der Arbeitsplätze verändern werden. Und stellt außerdem fest, dass die Technologie schneller voranschreitet, als Unternehmen ihre Ausbildungsprogramme entwickeln und ausbauen können. Ist die KI einfach so schnell oder sind wir vielleicht auch zu langsam? Unsere Langsamkeit ist wohl auch dem Umstand geschuldet, dass die Künstliche Intelligenz eine neue Form der Arbeitsteilung, Arbeitsorganisation und Zusammenarbeit erfordert. Zwar beschäftigt uns das seit Anbeginn der digitalen Transformation, aber die Notwendigkeit, sich bis in die
Arbeitswelten personalmagazin Arbeitswelten 2024 18 Strukturebene hineinzubohren, hat vielfach noch gefehlt. Hier wird die Künstliche Intelligenz nun mindestens den Sprung bewirken, den Corona für das mobile Arbeiten bewirkt hat: einen Sprung in ein neues Arbeitsleben. Eine Welt, in der alles spricht Die Fokussierung auf „das Arbeitsleben“ für unsere Vorstellung von dieser nahen Zukunft ist eigentlich noch zu kurz gegriffen: Die Zukunft wird eine Welt sein, in der alles spricht und wir Menschen dafür Sorge tragen müssen, dass die Dialoge zwischen Menschen, Medien und Maschinen auch richtig verstanden werden. Vernetzte Kommunikation beschleunigt Wissenszuwächse in allen Branchen. Valide Daten und die Möglichkeit ihrer Vernetzung werden so wichtig, dass um ihre Verwendung und Nutzungsrechte weiter gestritten wird. Erneut stellt sich die Frage, was wir für einen souveränen Umgang mit KI lernen oder auch verlernen müssen. Denn mit dem allseits verfügbaren Wissen steht ein Elefant im Raum, der unsere bisherige Vorstellung von Bildung und Büroarbeit ad acta legen wird. Die KI als Facilitator – und wir als Profiteur Schneller als wir es von anderen Implementierungen gewohnt waren, ist der Change-Agent KI in die Unternehmen eingezogen. Schon im Frühjahr 2024 waren alle großen Unternehmen dabei, Firmen-GPTs einzuführen – mit unterschiedlichen Erwartungen, wie das Handelsblatt im April berichtete: „Während das Logistikunternehmen DHL seine Mitarbeitenden erst mal an den Umgang mit KI-Modellen heranführen will, investiert Siemens bereits Millionen in seinen Industrial Copilot. Der Industriekonzern erhofft sich nicht nur Zeitgewinne wie Otto, sondern gleich ein neues Geschäftsfeld.“ Das einfache Interface der Chatfunktion verbindet Front- und Middleoffice, während das Backoffice zunehmend automatisiert wird. KI ermöglicht Rückkopplungsschleifen, verbessert das Serviceniveau und löst Abteilungsgrenzen auf. Sie schlägt Abläufe vor, schafft neue Zuständigkeiten und veredelt Input und Output: Statt Daten gibt es Kurven, statt Informationen gibt es Wissen, aus Text wird Bewegtbild, Stoffwechsel lassen sich aufschlüsseln, auf eine Fragestellung folgt ein Lösungsvorschlag – sofern wir die KI richtig zu bedienen (prompten) und für unsere Zwecke einzusetzen wissen. Dabei gefällt uns die Vorstellung, dass wir in Zukunft wohl gar nicht mehr in Programmen, Codes und Dateiformaten denken müssen. Seit den letzten zehn Jahren haben sich Standardprogramme wie Outlook, Powerpoint, Excel, Word oder die Adobe Creative Suite vom Rechner ins Internet verlagert, wo die Künstliche Intelligenz – je nach Arbeitsauftrag – die nötigen Werkzeuge direkt ansteuern kann. Also raus aus der Technik-Ecke, rein in die ergebnisorientierte Zusammenarbeit? Clemens Wasner hat sich mit dem Thinktank AI Austria zum Ziel gesetzt, Österreich zum Vor- „Wir müssen Wissensaustausch forcieren und ‚Serendipity‘, den inspirativen Funkenschlag zufälliger Begegnungen, viel stärker provozieren.“ Clemens Wasner, CEO von Enlite AI und Mitgründer und Vorsitzender von AI Austria Projektmanagement mit KI Startups testen bereits KI-gestützte Projektmanagement-Softwares, wie Notion oder Coder, bei denen die KI aus dem Kundenbriefing automatisch das Projektdesign konfiguriert. Clemens Wasner, CEO von Enlite AI, einem Technologieanbieter für Künstliche Intelligenz, konkretisiert das: „KI kann hier beispielsweise die Taskliste erstellen, aber auch die Zeitserienabfolge als GANTT-Chart, die Struktur samt Ablage von Notizen und so weiter. Sie macht auch Vorschläge zu Einsatz und Umfang der Projektteams, die vom Anwender einfach genehmigt oder abgelehnt werden können oder mit der Bitte um weitere Korrektur an bestimmten Stellen zurückgegeben werden.“ Damit beschreibt Wasner eine völlig andere Arbeitsweise als die bisherige, bei der die Entwickler sich in der Hoffnung, dass eine der Standardvorlagen für das mit dem Kunden zuvor abgestimmte Projektdesign passt, durch eine Vielzahl an Templates durchklicken mussten. Auch die Kompetenzen, die laut Projektplan für bestimmte Schritte nötig werden, sollten sich, so Wasner, inhouse aus Mitarbeiterprofilen und Terminkalendern erkennen lassen.
Schwerpunkt 19 reiter im Bereich der angewandten Künstlichen Intelligenz zu etablieren. Die extrem schnelle Verfügbarkeit von Fachwissen sieht Wasner als einen ähnlichen Entwicklungssprung wie 1998 die Google-Suche im World Wide Web. „Wenn ich gewisse Daten brauche, wie etwa Verkaufszahlen in der Region XY für fünf Produkte, sage ich der KI: Bitte zeig mir die für die letzten 10 Jahre. Und dann wird das Ergebnis sofort da sein, ohne dass auch nur eine Person im Sharepoint nachschauen oder telefonieren muss.“ In der Unmittelbarkeit des Wissenszugriffs sieht er auch Konsequenzen für unsere Zusammenarbeit: „Dies ermöglicht eine enorme Spontanität, die dann auch wieder unser Verhalten beeinflusst.“ Befragen wir künftig noch Kunden, wie es der klassische Design-Thinking-Prozess verlangt? Oder lassen wir KI die Antwort aus zahlreichen Profilen und Customer Journeys zusammenstellen? Schließlich sind repräsentative Daten und faktenbasierte Ergebnisse unser Arbeitsauftrag und entsprechen auch den KPIs, an denen wir gemessen werden. Also werden wir uns doch eher mit der Qualität der Daten, ihrer Quellen und Verknüpfungen beschäftigen, als mit der Kundin oder Zielgruppe, die wir kennenlernen möchten. Die neu gewonnene Spontanität wirkt verführerisch. So simpel die Analysen per Knopfdruck erscheinen, unseren Umgang mit dem In- und Output macht es nicht trivial: Traue ich dem KI-Ergebnis und lasse ich mich von der Dynamik des Frage-Antwort-Spiels mitreißen? Oder hadere ich stellenweise mit dem Output und halte damit das ganze Projekt auf? Es werden auch viele unbequeme Aufgaben sein, mit denen wir Menschen unsere neue Arbeitszeit verbringen. Denn selbst wenn wir uns nicht mehr mit dem Ausfüllen von Excel-Listen und dem Aufhübschen von Powerpointpräsentationen beschäftigen, die inhaltlichen Bestandteile, der sinnvolle Lösungsweg und die Ergebnisverifizierung sollten uns dafür umso mehr beschäftigen. Die KI als Fachkraft ... und wir als Kontext-Versteher Dass es für die KI eine Herausforderung sein kann, einen Blaubeer-Muffin von einem Katzengesicht zu unterscheiden, zeigt, dass sich die Künstliche Intelligenz doch stark von der unsrigen unterscheidet. Sinnliche Erfahrungswerte zur intuitiven Kontexterfassung fehlen ihr, aber sensorisch ist die KI uns in der Verarbeitung von visuellen Mustern, Frequenzen oder Bewegungen weit überlegen. So haben auch wir aus den Fehlern der KI gelernt: „Man hat sich schnell davon verabschiedet, dass man eine KI haben werde, die quasi vom Dachziegel über den Muffin bis zum Smartphone alles erkennen und einordnen kann. Vielmehr hat man die visuelle Kompetenz der KI sehr schnell innerhalb bestimmter Fachgebiete für spezialisierte Lösungen verwendet“, beschreibt Wasner. Als man innerhalb der Domänen sofort Trefferquoten zwischen 90 bis 95 Prozent erreichen konnte, war klar, dass der Erkennungsvorsprung auch unsere Tätigkeiten in den Fachgebieten enorm unterstützen wird – und dass die fünf bis zehn Prozent Fehlerquote eher an der schlechten Datengrundlage als an der Korrelationskompetenz der KI liegt. Das spielt uns den Ball zu und erfordert neue Kompetenzen auf der Datenbeschaffungsebene, dem Einpflegen und Programmieren oder Prompten, denn unser Umgang mit Wissen entscheidet über das Arbeitsergebnis. Korrelation braucht Kontextwissen Unsere natürliche Intelligenz ist auch bei der Einordnung von Fachwissen gefragt – und egal, ob es sich um ein KI-Ergebnis oder eine Forschungsexpertise handelt, bleibt unsere Aufgabe, es in Relation zu setzen: Zum Kontext und Anwendungsbezug, zu gesellschaftlich relevanten Fragestellungen und letztlich auch zu eigenen Erfahrungen und kollektiven Erinnerungen. Um sich solch einen humanen Wissensschatz anzueignen, ist ein breiter Grundstock von Allgemeinwissen notwendig, begleitet von vielfältigen Erfahrungen. Die breite Fächerung würde wilde Verknüpfungen von Kenntnissen ermöglichen, die – rein interessengeleitet – von Handwerk bis Wissenschaft keine Barrieren kennen sollten. Allein der Sprung zu anderen Fachrichtungen und Branchen Humane Kompetenzen in der Organisation Einen Einblick zum Einsatz von KI in der Personalentwicklung gibt Birgit Pieringer, Teamleiterin Personal- und Führungskräfteentwicklung, Personalmanagement GmbH der Energie AG Oberösterreich: Als die Personalentwicklung der Energie AG Oberösterreich wissen wollte, was ihre Belegschaft in Zukunft beschäftigen wird, extrahierte sie aus den Jobbeschreibungen ihres Bereichs alle Tätigkeiten und summierte darunter die notwendigen Kompetenzen. Gemeinsam analysierten sie daraufhin deren mögliche Veränderung durch KI und smarte Kommunikation: Welche Abstimmungen können direkt oder automatisch erfolgen, wo kann Transparenz Kontrolle ersetzen, welche Entscheidungen muss wer noch treffen und inwieweit verantworten? Welche Kommunikation kann technisch über Sprachbots erfolgen und welche auch in Zukunft besser nicht? Das Ergebnis der Analyse verwies auf einen verschlankten Ablauf, eine direktere Unterstützung durch intelligente Assistenzsysteme und mehr dynamische, kurzfristige, inhaltsbezogene und transdisziplinäre Zusammenarbeit untereinander. Organisatorisch bedeutete die neue Arbeitsteilung zwischen natürlicher und Künstlicher Intelligenz den größten Aha-Effekt: Es leuchtete ein, dass homogen besetzte Abteilungen im KI-Zeitalter keine Zukunft haben werden. Vielmehr wird die fachliche Mitarbeit oder Sicherstellung von Kommunikation an den kritischen Stellen verlangt, die zunehmend außerhalb der Abteilung oder des Unternehmens liegen. Allerdings setzt das die Kenntnis von den einzelnen Kompetenzen der Beschäftigten voraus – einen Überblick, den nur wenige Unternehmen haben.
Arbeitswelten personalmagazin Arbeitswelten 2024 20 wäre nicht nur innerhalb der MINT-Fächer ratsam, sondern auch in Kombination mit Geistes- und Sozialwissenschaften. Informatik und Anthropologie zum Beispiel – das Programm von Maschinen und die Verhaltensmuster von Menschen – wären so ein erweiterter Betrachtungswinkel, unter dem sich Zukunft gestalten ließe. Auch die Philosophin Dorothea Winter plädiert angesichts des Wissenszugangs durch KI dafür, „dass wir uns wieder auf das alte, humanistische Bildungsideal besinnen, bei dem wir einen Grundstock an Kenntnissen trainieren, um Kontexte zu verstehen und Bezüge herstellen zu können. Am besten über vielfältige Erlebnisse und Übungen, damit die Synapsen sich vernetzen und wir eigenes Urteilsvermögen entwickeln.“ Der Computer- und Risikokapitalunternehmer Hermann Hauser soll in Cambridge auf die Frage, was für ihn ‚human intelligence‘ ist, gesagt haben: ‚The ability to know, what to do next‘. Und Wasner, der die Episode erzählt, hält nicht nur die Antwort bis heute für gültig, sondern definiert das Fragenstellen an sich als unsere menschlichste und wichtigste Aufgabe für die Zukunft: „Je mehr du automatisieren kannst, umso wichtiger wird es, die richtigen Fragen zu stellen und Probleme zu identifizieren, die für uns Menschen überhaupt relevant sind.“ Für die Verantwortung, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden, brauchen wir also die Fähigkeit, Veränderung zu erspüren, um das Relevante in ständig neuen Konstellationen richtig bewerten zu können. Die KI als Innovator ... und wir als kreative Intelligenz Als Intelligenz beschreibt Francois Chollet, der als Softwareingenieur an evolutionären Algorithmen forscht, die Fähigkeit, sich an neue Situationen anzupassen, Dinge zu verstehen, die man noch nie zuvor gesehen hat, in einer Welt, die sich dauernd verändert. Genau diese Veranlagung, so Chollet, hätten wir Menschen der KI voraus. Mit dem Ansatz der ungefähren Ähnlichkeit, nach dem die jetzige KI funktioniere, sei echtes abstraktes Denken nicht möglich. Evolutionäre Algorithmen beziehen zufällige Lösungsansätze mit in ihre Berechnungen ein. Wenn KI also nicht intelligent ist, ist sie dann kreativ? Oder bleibt sie ein Werkzeug für unsere Kreativität? Winter, die zu KI und Kunst aus philosophischer Perspektive forscht, spricht der KI die kreativ-schöpferische Kompetenz ab: „KI ist nicht kreativ und wird es künftig auch nicht sein können. Nicht nur zum aktuellen Status Quo des technischen Fortschritts, sondern ich sage: Prinzipiell nicht.“ Für die Abgrenzung zur KI definiert sie den Begriff „Kreativität“ als freiheitliches Urteilsvermögen, verweist auf Kants Schriften zur Ästhetik und das traditionelle Kunstverständnis, wonach das kreative Schaffen vielfach einen bewussten Regelbruch von etwas bisher Gültigem erfordert – sei es eine (kunst-)handwerklich-technische (techné) oder eine geistig-inhaltliche Auseinandersetzung (episteme) als erkennendes Wissen. Das Vermögen, freiheitlich urteilen zu können, wird für uns Menschen in Abgrenzung zur KI an Bedeutung zunehmen, und wir sollten uns hierin üben. Die KI hilft, kreativ und innovativ zu sein. Kreative Regelbrüche waren in der Arbeitswelt bisher keine Hilfe – selbst die generative KI braucht ein klares Framing, damit sie Lösungen errechnen kann, wie auch wir in den Organisationen mit Doppel- oder Triple-Matrizes versuchen, Arbeit und Verantwortung zu verteilen. Die Philosophin Winter präzisiert ihre Erläuterungen dahingehend, dass auch der Mensch in den meisten Bürojobs nicht im künstlerischen Sinne kreativ werden müsse. Vielmehr gehe es im Büro darum, innovativ zu sein: „Also, dass wir uns überlegen, wie wir möglichst effizient und neuartig Fragen beantworten, Probleme lösen und eine bessere Leistung erzielen“. Und bei dieser zielgerichteten Lösungsfindung kann uns die KI sehr innovativ unterstützen: Als Inspiration beim Brainstorming zur Konzeption, wo es für marktfähige Innovationen schon hilfreich ist, vorhandenes Wissen neu zu kombinieren. Durch Hinzunahme von Marktanalysen zur Anpassung an das Umfeld und schließlich durch Visualisierungen oder Simulationen zur Anschauung, Erprobung und Prognose. Im Grunde „ KI ist nicht kreativ und wird es künftig auch nicht sein können. Ich sage: prinzipiell nicht, nicht nur zum aktuellen Status quo des technischen Fortschritts.“ Dorothea Winter, Philosophin und Autorin des Buchs „KI, Kunst und Kitsch“
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