Personalmagazin: Die Automobilzulieferindustrie ist unter Druck, viele sprechen von einer Strukturkrise. Welche Perspektiven haben die Zulieferer bezüglich Geschäft und Beschäftigung? Reinhart: Die gesamte Automobilindustrie ist mitten in der größten Transformation unserer langjährigen Geschichte. Bei Continental sind es über 150 Jahre und die Ursachen sind unterschiedlichster Natur. Wir haben die Umstellung zum Elektroauto, neue Wettbewerber aus Asien, Lieferengpässe bei Halbleitern, das sehen wir. Das nachhaltige Auto stellt uns alle vor Herausforderungen, bietet aber auch Chancen. In der Automobilindustrie arbeiten rund 800.000 Menschen und erwirtschaften einen Umsatz von rund 564 Milliarden Euro, sie ist für den Wirtschaftsstandort Deutschland von großer Bedeutung. Allerdings ist der Appetit auf das E-Fahrzeug nicht so groß, wie viele erwartet haben. Den Automobilherstellern geht es besser als den Zulieferbetrieben, die Komponenten fertigen. Geht der Umbau zum Elektroauto zulasten der Zulieferindustrie? Reinhart: Das nachhaltige Fahrzeug wird es nicht ohne die Lieferkette geben, Hersteller und Zulieferer sind auf eine enge Zusammenarbeit angewiesen. Es gibt ein schönes chinesisches Sprichwort: Wenn ich loslasse, habe ich die Hände frei. Wenn manche Komponenten künftig nicht mehr gebraucht werden, müssen Hersteller und Zulieferer gemeinsam die Frage stellen, wie wir den Transfer schaffen, um neue Technologien und neue Arbeitsplätze aufzubauen, etwa für die Batterie- oder Chipfertigung. Es geht um den Transfer von Arbeit in Arbeit. Herr Weber, wie ist Ihre Sicht auf das Thema? Wird die Beschäftigung in der Autoindustrie zurückgehen? Weber: Alle Studien zur Elektromobilität zeigen, dass beim Wechsel des Antriebsstrangs deutlich Arbeit wegfällt. Das an sich ist aber keine Katastrophe. Wenn man sich die demografische Struktur der Beschäftigten in der Automobilindustrie anschaut, gehen viele Babyboomer in den nächsten Jahren in Rente. Mit dem Rückgang der Beschäftigung entsteht keine Massenarbeitslosigkeit. Über die Konzerne mache ich mir keine Sorgen. Deren Bilanzen und Investitionen sehen gut aus. Bei den KMUs in der Zulieferbranche ist die Lage deutlich schwieriger, die Investitionen sind auf keinem ausreichenden Niveau. Reinhart: Die Lage ist sehr herausfordernd. Wichtig ist, dass alle Unternehmen in der Lieferkette profitabel sein können. Schließlich geht es darum, in die Technologien der Zukunft zu investieren. Daher brauchen wir einen Zukunftspakt für Zulieferindustrie in Deutschland, an dem sich alle beteiligen: Autohersteller, Zulieferbetriebe, Gewerkschaften und Politik. Es geht um die Frage: Wollen wir Industriearbeit in Deutschland eine Zukunft geben oder verlagert sich diese künftig ins Ausland? Wir brauchen Joining Forces, wir müssen uns unterhaken, um Industriearbeit in Deutschland zu behalten. In der Vergangenheit war die Automobilindustrie die Lokomotive der deutschen Wirtschaft. Verliert sie diese Funktion? Weber: Der Verbrennermotor wurde in Deutschland erfunden und wir sind bis heute in dieser Technologie Weltspitze. Dass der Abschied davon Schmerzen verursacht, überrascht nicht. Wir dürfen jetzt aber nicht den Fehler machen, an dem angestammten Feld zu klammern. Das wird nicht klappen, die „ Um die Automobilkonzerne mache ich mir keine Sorgen. Deren Bilanzen und Investitionen sehen gut aus. Bei den KMUs in der Zulieferbranche ist die Lage deutlich schwieriger.“ Enzo Weber Morgen personalmagazin 09.24 36
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