Personalmagazin 9/2024

Reinhart: Der Vorteil des Ready Entry Konzepts, wie wir das nennen, liegt für die Unternehmen darin, dass wir die Beschäftigten qualifizieren und für die neuen Arbeitsplätze fit machen. Der neue Arbeitgeber hat dann bestens qualifizierte Mitarbeiter, die sich sofort in den Produktionsprozess integrieren können. Die Anlernphase verkürzt sich erheblich, auch die Rekrutierungskosten werden reduziert. Das rechnet sich betriebswirtschaftlich und die Menschen bekommen eine Zukunftsperspektive. Welche Folgen hat das für die Gehälter der Mitarbeitenden? Müssen diese Abstriche in Kauf nehmen? Reinhart: Unsere Vereinbarungen haben wir nur mit tarifgebundenen Unternehmen geschlossen, die unbefristete und nach Tarif bezahlte Jobs anbieten. Die Gehaltsniveaus zwischen den Betrieben sind vergleichbar, das erleichtert die Übergänge. Wir haben aber noch ein paar offene Themen: Bei Continental bekommen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beispielsweise Zuschüsse für die Altersversorgung, die nicht über Tarifverträge geregelt, sondern unternehmensspezifisch sind und die neuen Arbeitgeber nicht anbieten. Dafür brauchen wir noch Lösungen, deshalb haben wir uns an die Politik gewandt. Wie kann die Politik helfen, erwarten Sie Zuschüsse der Steuerzahler? Reinhart: Es liegt im Interesse der Gesellschaft, dass die Beschäftigten in Arbeit bleiben und weiterhin Steuern und Sozialabgaben zahlen. Wenn wir solche Übergänge schaffen, müssen wir solche Gaps beispielsweise in der Altersversorgung für die betroffenen Menschen schließen. Unser Vorschlag ist es, dass die Abfindungen, die wir im Rahmen von Sozialplänen zahlen, steuerfrei gestellt werden, wenn die Mitarbeitenden eine Anschlussbeschäftigung annehmen. Damit könnte man die Brücke finanzieren. Das ist günstiger und wirtschaftlicher als Arbeitslosigkeit. Wir sind auf die Antwort der Politik gespannt. Herr Weber, wie beurteilen Sie die Maßnahmen am Standort Gifhorn. Ist das ein Einzelfall oder skalierbar? Weber: Die Initiative ist beispielhaft und es ist sinnvoll, in diese Richtung weiterzugehen. Die ökologische Transformation wird nicht zu einem Einbruch bei den Jobs führen, sondern zu einem Umbruch. Bei der Dekarbonisierung der Industrie brauchen wir Berufe im Bereich Elektrotechnik, Energietechnik, Klimatechnik, Chemie oder Maschinenbau. Darin ist Deutschland stark. Wir müssen aber Wege finden, wie wir die Beschäftigten aus Tätigkeitsfeldern, die kleiner werden oder gar entfallen, in neue Tätigkeiten bringen. Der Weg, den man in Gifhorn eingeschlagen hat, ist dafür ein gutes Beispiel, um eine Umorientierung auf dem Arbeitsmarkt hinzubekommen. Viele Unternehmen klagen derzeit über Kostenprobleme und schlagen altbekannte Wege ein. Sie bieten Freiwilligenprogramme an, um Personal abzubauen. Diese Programme richten sich teilweise schon an 58-Jährige, die solche Angebote gerne annehmen. Weber: Für manche Konzerne ist das der einfachste Weg, um in kurzer Zeit sozialverträglich Personal abzubauen. Die Sozialpartner tragen solche Maßnahmen meist mit. Aus volkswirtschaftlicher Sicht sind diese Programme aber nicht sinnvoll. Wir müssen alles tun, um goldene Handschläge zu vermeiden. Damit verschwinden die Menschen vom Arbeitsmarkt, obwohl wir sie an anderer Stelle dringend gebrauchen könnten. Das bedeutet aber nicht, dass man Menschen bei solchen Übergängen in eine vollständig neue Ausbildung schicken muss. Das würde auf breiter Basis nicht funktionieren und zudem auch die Arbeitserfahrungen und Kompetenzen entwerten. Es geht darum, Menschen in verwandte, aufstrebende Bereiche zu bringen, kombiniert mit gezielten Qualifizierungen. „Weiterentwickeln statt umschulen“ nenne ich das Konzept. Reinhart: Wir haben 2019 das Continental Institut für Technologie und Transformation gegründet, um Beschäftigte für neue Tätigkeiten zu qualifizieren. Die IG Metall-Vorsitzende Christiane Benner ist übrigens seit Kurzem die Vorsitzende des Beirats dieses Instituts. Wir haben inzwischen über 10.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer qualifiziert, davon haben 4.000 Prüfungen abgelegt und über 500 einen IHK-Abschluss erworben. Der älteste Auszubildende war 62 und hat noch den VerfahrensmechanikerAbschluss gemacht. Das Durchschnittsalter der Beschäftigten, die diese Qualifizierung durchlaufen haben, liegt bei Mitte 40. Wir nennen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Azubis der zweiten Generation. Wir machen die Erfahrung, dass auch ältere Menschen bereit sind, sich für neue Berufe zu qualifizieren. „ Mit der Transformation des Standorts Gifhorn hinterlassen wir keine Industriebrache, sondern den Nukleus für etwas Neues. Es entstehen Arbeitsplätze in zukunftsträchtigen Industrien.“ Ariane Reinhart Morgen personalmagazin 09.24 38

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