Personalmagazin 9/2024

Learning & Development 45 Mit der ersten frei zugänglichen generativen KI-Anwendung Chat GPT begann im November 2022 eine neue Ära unseres Arbeitens. Unsere bisherigen Diskussionen um eine immer schneller ansteigende Dynamik und Komplexität wurden plötzlich greifbar. Auch wenn wir aktuell erst am Beginn der Gen-AI-Ära stehen und deren Möglichkeiten und Herausforderungen sich noch nicht vollumfänglich abschätzen lassen, zeigt sich bereits jetzt der tiefgreifende Einfluss auf unsere Organisationen und unser Arbeiten. Zu den technologischen Entwicklungen kommen noch eine schwierigere wirtschaftliche Lage, ein zunehmend unsichereres internationales Geschäftsumfeld mit instabilen Lieferketten und steigende Nachhaltigkeitsanforderungen. Dies alles erhöht den Veränderungsdruck auf Organisationen enorm. Nur noch ungefähr die Hälfte der Befragten im aktuellen „Global CEO Survey“ von PWC geht davon aus, dass das aktuelle Geschäftsmodell ihrer Organisation noch länger als zehn Jahre bestehen bleiben wird. Um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, stehen Organisationen somit vor der herausfordernden Aufgabe der Gestaltung der Triple-Transformation: Gen-AI-Transformation, ResilienzTransformation und Sustainability-Transformation. Zentral für die Bewältigung der daraus resultierenden Transformationsaufgaben wird nicht nur das bereits vielzitierte Up- und Reskilling der Mitarbeitenden sein, sondern vielmehr die Fähigkeit der Organisation, die erforderlichen Lernprozesse auf individueller, Team- und Organisationsebene zu gestalten. Vor diesem Hintergrund wird deutlich: Die Fähigkeit zu lernen, wird für Organisationen zum zentralen Wettbewerbsfaktor. Ein Claim, der sicherlich schon länger bemüht wurde, aber nun tatsächlich zum ausschlaggebenden Faktor werden könnte. Daraus eröffnet sich für Learning and Development (L&D) ein neuer Möglichkeitsraum mit großen Chancen und neuen Aufgaben. Um diesen Möglichkeitsraum aktiv zu gestalten, muss sich L&D zum einen selbst transformieren und zum anderen die Transformation der Organisation unterstützen. Transformation im engeren Sinne bedeutet dabei: Es erfolgt ein qualitativer Wandel, der alle Dimensionen der Organisation betrifft. Diese Transformation wird Veränderungen in Betriebsmodell, Prozessen, Rollen und Kompetenzen, Unternehmenskultur und inhaltlichen Fokussierungen erfordern. Die wichtigste Transformationsvoraussetzung Aktuelle Befragungen weisen auf einen immer noch zu geringen Bezug von L&D zum Business und zur Strategie der Organisation hin. Ohne diesen Business-Bezug wird die Unterstützung der organisationalen Transformation jedoch nicht gelingen. Ausgangspunkt aller künftigen Entwicklungen von L&D muss daher ein noch tieferes Verständnis und eine noch stärkere Ausrichtung auf den jeweiligen Organisationskontext sein. Nur so kann eine gemeinsame Strategieentwicklung mit dem Business erfolgen. Da die Heterogenität der Organisationen in Zukunft eher weiter zunehmen wird, lässt sich kein One-size-fits-all-Modell für L&D 2030 entwerfen. Es lassen sich allerdings einige übergeordnete Business-Entwicklungen identifizieren, die als Startpunkte für die Ausrichtung am Organisationskontext dienen können: • Von Organisation zum Ecosystem: Die traditionellen Grenzen von Organisationen werden sich künftig weiter auflösen, cross-funktionale Kollaboration gewinnt an Bedeutung und Wertschöpfung findet vermehrt über intra- beziehungsweise inter-organisationale Netzwerke, Plattformen und BusinessÖkosysteme statt. Ziel dieser Organisationsformen ist eine möglichst hohe Anpassungsfähigkeit und die Ausrichtung auf den größtmöglichen Kundennutzen. Für L&D ergeben sich daraus die Anforderungen, sich intern stärker zu vernetzen, cross-funktional zusammenzuarbeiten, die Potenziale plattform-basierter Systeme auszuloten und sich über die eigenen Funktions- und Organisationsgrenzen hinaus zu öffnen. In diesem Zuge und vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels wird sich auch die Zusammensetzung der Mitarbeitenden verändern. Zur Erledigung der Aufgaben wird zunehmend auf ein „Workforce Ecosystem“ zurückgegriffen, in dem Beschäftigte im Normalarbeitsverhältnis verstärkt mit externen Projekt- und Gig-Arbeitenden kollaborieren. Dadurch wird sich die Zielgruppe der Lernenden erweitern auf die Mitglieder des gesamten Workforce Ecosystems. • Von Jobs zu Skills: Mit der zunehmenden Veränderungsrate und den dadurch gestiegenen Flexibilitätsanforderungen wird die Stelle oder Position als Grundlage für die Gestaltung von HR-Prozessen ein zu statisches und zu wenig differenziertes Ordnungsschema sein. In den Fokus rücken stattdessen die feingranularen und nahezu in Echtzeit erfassten Fertigkeiten und Fähigkeiten (Skills) des Individuums und die Transformation zu einer „Skills-based Organization“. Skills werden somit den Ausgangspunkt für die HR-Arbeit insgesamt und insbesondere für die Arbeit von L&D bilden. • Von Human Intelligence zur Augmented Intelligence: Die effektive Förderung der Mensch-Maschine-Kollaboration wird zu einem zentralen Wettbewerbsvorteil für Organisationen. Die Personalentwicklung befindet sich heute im Scheinwerferlicht, da sie einen wesentlichen Beitrag zur Transformation leisten kann. Doch wird sie den Erwartungen künftig Rechnung tragen können? L&D-Abteilungen müssen nun entscheiden, welche Richtung sie einschlagen: Entweder entwickeln sie sich in den kommenden Jahren zum echten Enabler oder sie werden wegautomatisiert.

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