Personalmagazin 9/2024

Die Zukunft von gestern Die Zukunft von gestern ist die Gegenwart von heute. Wenn nicht schon bereits die Vergangenheit. Schwer, sich vorzustellen, wie das Leben in 25 Jahren wohl sein wird. Aber auch schon nicht mehr einfach, sich in Erinnerung zu rufen, wie es vor 25 Jahren war. Eine Glosse von Frank Bollinger War früher alles besser? Stellen Sie sich Folgendes vor: Keine DSGVO, kein Teilzeit- und Befristungsgesetz, kein Entgelttransparenzgesetz, kein AGG, kein Nachweisgesetz, kein Arbeitnehmerentsendegesetz, kein Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz, kein Führungspositionengesetz, ganz zu schweigen von Lieferkettengesetzen und SustainabilityBerichtspflichten. Haben Sie es vor Augen? Nein, wir befinden uns nicht in einer Allmachtsfantasie der FDP. Das ist das Arbeitsrecht aus dem Jahr 1999. Zum Jubeln nach draußen Haben sich deswegen damals alle wie im Paradies gefühlt? Nein. Glauben Sie mir, ich war dabei, es war beileibe nicht so, dass alle Arbeitsrechtler einmal stündlich kurz zum Jubeln nach draußen gegangen sind, weil alles so schön einfach war. Genau genommen war die Lage damals schon nicht weniger ernst als sie es heute ist. Denn das große Problem war schon im Jahr 1999: die ausufernde Bürokratie. Nur die Themen waren andere. Altersteilzeit, Scheinselbstständigkeit, Euro-Einführung und Kündigungsschutz. Der Erregungsgrad angesichts der Zumutungen des Gesetzgebers war nicht einen Deut geringer als heute und die Prognose, dass die deutsche Wirtschaft eines nicht allzu fernen Tages an der Bürokratie zugrunde gehen werde, schon ebenso allgegenwärtig wie im Hier und Jetzt. Wir siechen im Grunde seit 25 Jahren ununterbrochen vor uns hin. Schwäbische Wertschätzung Dass das Arbeitsrecht damals noch weniger verrechtlicht war als heute, bot seinerzeit so mancher Führungskraft großzügigen Interpretationsspielraum, wie zeitgemäße Personalführung zu bewerkstelligen sei. Getreu dem Motto: „Sei froh, dass du eine Stelle hast, draußen warten 50 andere, dass wieder eine frei wird!“ war der Führungsstil bisweilen unkonventionell. Es wurde viel über Leistung und Disziplin gesprochen und in Sachen Wertschätzung galt die schwäbische Leitlinie: „Ned gschimpft, isch globt gnua!“ Manche Personalchef-Motivationsrede aus dem Jahr 1999 würde Beschäftigte heute schluchzend in die Arme des AGG-Beauftragten treiben. Mittlerweile haben wir mehr Gesetze, die mehr Rechte schaffen. Was einerseits ein schönes, konjunkturbelebendes Arbeitsbeschaffungsprogramm für Arbeitsrechtsexperten darstellt, schrammt dennoch bisweilen knapp am Ziel sinnhafter Verbesserung der Arbeitswelt vorbei. Bedauerliches Beispiel für die Diskrepanz zwischen guter Absicht und Wirksamkeit ist das Entgelttransparenzgesetz. Eingeführt, um die Entgeltungleichheit zwischen Frauen und Männern Schritt für Schritt abzubauen, kümmert sich der Pay Gap aber einen feuchten Kehricht um das Gesetz und bleibt stur und unbeeindruckt stabil bei 18 Prozent. Nicht alles funktioniert. Millionen von Stellen gefährdet Aber nicht nur der Gesetzgeber liegt bisweilen falsch, wenn es darum geht, die Zukunft zu prognostizieren: Vor der Einführung des Mindestlohns hatte das IFO-Institut 2007 eindringlich gewarnt. Würde man einen Mindestlohn von 9,80 Euro einführen, würde dies 1,9 Millionen Arbeitsplätze vernichten, selbst ein Mindestlohn von 7,50 Euro würde immer noch 1,1 Millionen Stellen kosten. Eingeführt wurde dann 2015 ein Mindestlohn von 8,50 Euro. Die Beschäftigungszahlen stiegen danach deutlich. Hinter dem vielfach an die Wand gemalten bösen Bürokratiemonster steht manchmal auch nur ganz schnöder Lobbyismus. Dem Arbeitsrechtler von 1999 wäre die Brückenteilzeit (nein, keine Spezialregelung für den Straßenbau!) vielleicht nur schwer zu erklären. Andere Themen hätte er sofort parat. Das Arbeitszeitgesetz sieht aus wie eh und je. Es widersteht den Zeiten unverändert, trotz EuGH und BAG. Überleben wird der, sagte Charles Darwin, der sich am ehesten dem Wandel anpassen kann. Das ist dem Arbeitsrecht im Laufe der Jahre noch immer gelungen. Manchmal dauert es eben ein klein wenig länger. Frank Bollinger ist Redakteur beim Personalmagazin und hat die Entwicklung des Arbeitsrechts in den vergangenen 25 Jahren stets verfolgt und miterlebt. Früher personalmagazin 09.24 56

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