Personalmagazin 9/2024

Früher personalmagazin 09.24 48 Für Kundige ist es ein schon geflügeltes Wort: „Im Arbeitsrecht ist eine Woche eine lange Zeit.“ Der große Franz Gamillscheg, Ordinarius in Göttingen und einer der führenden Arbeitsrechtler seiner Generation, beschrieb damit den stetigen Wandel, dem diese Materie stets ausgesetzt ist. Erst recht eine lange Zeit sind dann 25 Jahre. In der Tat: Wer zurückblickt, der wird zahlreichen und weitreichenden Wandel feststellen. Das Jubiläum des Personalmagazins trifft dabei auf ein anderes Jubiläum: Das Bundesarbeitsgericht wird in diesem Jahr dreimal so alt. Ein noch längerer Zeitraum, in dem sich das Arbeitsrecht weiterentwickelt hat. Soziale Gerechtigkeit und Wett- bewerbsfähigkeit Weiterentwickelt – Wohin? Gewandelt haben sich über die Zeit hinweg schon ganz grundlegend die Funktionen und Grenzen des Arbeitsrechts. Heute diskutieren wir, ob Plattformarbeiter, die eigentlich selbstständig, aber doch sehr abhängig tätig sind, vielleicht doch Arbeitnehmer sind. Das Bundesarbeitsgericht hat hier im Dezember 2022 den Arbeitnehmerbegriff noch einmal neu konturiert. Entscheidend ist nicht mehr notwendig seine Weisungsabhängigkeit, sondern es reicht, dass ein Crowdworker durch Anreize mittelbar gelenkt wird in einer Weise, die ihn letztlich ähnlich eng führt wie einen Arbeitnehmer. Neue Arbeitsformen schaffen neue Schutzbedürftigkeiten. Dabei geht es dem Arbeitsrecht heute allein nicht mehr um den Arbeitnehmerschutz. Es kommen andere Aufgaben des Arbeitsrechts hinzu, und die werden immer wichtiger, so scheint es. Der Diskriminierungsschutz will die Benachteiligung vulnerabler Gruppen verhindern, der Beschäftigtendatenschutz den Persönlichkeitsschutz gewährleisten. Und auch im klassischen Bereich des Arbeitnehmerschutzes ist nichts statisch. Die Frage stellt sich heute wie damals: Wo liegt die Grenze der Regulierung? „So wünschenswert vom sozialen Standpunkt aus ein möglichst intensiver Schutz der Arbeitnehmer, eine möglichst weitgehende Besserung ihrer Lage ist, die Bestrebungen in dieser Richtung finden ihre Grenze an der Belastungsfähigkeit der Wirtschaft. Das liegt letzten Endes auch im Interesse der Arbeitnehmer selbst; eine Wirtschaft, die unter den sozialen Lasten zusammenbricht, vermag die Arbeitnehmer nicht mehr zu ernähren. Die höchsten Tariflöhne, die besten Arbeitsbedingungen werden nutzlos, ja, sie schädigen die Arbeitnehmer, wenn sie die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft vernichten und damit zur Arbeitslosigkeit führen”. Die Sätze sind modern, doch fast 100 Jahre alt. Das Zitat findet sich schon 1927 am Anfang des Lehrbuchs Alfred Huecks und Hans-Carl Nipperdeys, dem führenden Standardwerk der Weimarer Zeit und der jungen Bundesrepublik. Die Erkenntnis, dass das Arbeitsrecht zwar nicht den einzigen, aber sicherlich einen wesentlichen Rahmen für Beschäftigung und Beschäftigungsquote bildet, ist also so neu nicht, und Hand in Hand damit geht die Suche nach Regelungen, die dem Arbeitnehmer einen sicheren Schutz, dem Arbeitsmarkt aber ausreichenden Freiraum bieten. Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit hat Verfassungsrang, wie das BVerfG schon vor über 20 Jahren ausdrücklich hervorgehoben hat, und so ist denn diesem Ziel auch mit den Mitteln des Arbeitsrechts Rechnung zu tragen. Dem Leidensdruck, über Dinge nachdenken zu müssen, die in besseren Zeiten tabu waren, kann das Arbeitsrecht in kritischen Zeiten kaum entrinnen. Verglichen mit dem Januar des vorigen Jahres ist die Arbeitslosenzahl um 189.000 höher. Die Arbeitslosenquote stieg von Dezember auf Januar um 0,4 Prozent auf 6,1 Prozent. Gegenüber dem Vorjahresmonat hat sich die Quote ebenfalls um 0,4 Prozent erhöht. Von einer Massenarbeitslosigkeit sind wir damit weit entfernt, im historischen Vergleich sind die Zahlen immer noch niedrig, aber die Prognose verheißt nichts Gutes. Es braucht push and pull. Die Neuregelung der Bürgergeldsanktionen bei Verweigerern gehört genauso dazu wie der „Jobturbo“ für geflüchtete Ukrainer. Auch das Bürokratieabbaugesetz kann seinen Beitrag dazu leisten. Arbeit muss ein Auskommen bieten Den meisten ist es längst bewusst: Die aktuell größten Probleme unserer Gesellschaft sind nicht die Klimakrise und erst recht nicht das Gendersternchen. Es ist der soziale Sprengstoff, an den die Parteien der Ränder schon die Lunte gelegt haben. Gesellschaftlicher Friede braucht sozialen Frieden. Sozialer Friede Die aktuell größten Probleme unserer Gesellschaft sind nicht die Klimakrise und erst recht nicht das Gendersternchen.

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==