Früher personalmagazin 09.24 44 Permanent zweigleisig fahren Die meisten Unternehmen leben von einem bewährten Standardgeschäft. Zusätzlich leisten sie sich noch ab und an Projektgruppen, die nach neuen Geschäftsmöglichkeiten Ausschau halten. Dieses getrennte Arbeiten lehnt John Kotter, Professor an der Harvard Business School, ab. Er fordert ein „duales Betriebssystem“ für Unternehmen. Ein Teil steht wie bislang für Stabilität, ein anderer Teil für Agilität. Die Effizienz etablierter Organisationsstrukturen wird mit der Agilität und Schnelligkeit von Netzwerkstrukturen zusammengeführt. Kotter ist sich sicher: „In der Regel benötigen Sie nicht mehr als zehn Prozent Ihrer Kernbelegschaft, die für einige Stunden in der Woche in dem agilen Betriebssystem mitarbeiten, um innovative Projekte voranzutreiben.“ Wie stößt man eine Initiative im „zweiten Betriebssystem“ richtig an? Das Topmanagement sammelt die Ideen für neue Chancen. Das muss etwas sein, das sowohl rational überzeugt als auch emotional begeistert. Sie geben ein Projekt ans Mittelmanagement. Dort werden immer zwei oder drei die Hand heben und mitmachen wollen. Die Leute im „zweiten Betriebssystem“ sollen sich selbst organisieren. Sie werden das innerhalb der Leitplanken tun, die das Topmanagement vorgegeben hat. Denn das gibt ihnen Sicherheit. Aber dann starten sie durch. Der Elan wird bald im ganzen Unternehmen spürbar und immer mehr Leute schließen sich dem Vorhaben an. Es gibt eine hohe Durchdringung der beiden Systeme. Die Leute rotieren rein und raus. Außerdem führt die Arbeit im „zweiten Betriebssystem“ häufig dazu, dass Ineffizienzen oder Absurditäten des „ersten Systems“ offenbar werden und die Leute sie von sich aus abschaffen. So wird auch das „erste System“ eine bessere Arbeitsumgebung. John P. Kotter: Accelerate – Strategischen Herausforderungen schnell, agil und kreativ begegnen, Vahlen, 2015 Höheres Bewusstsein Der ehemalige McKinsey-Berater Frederic Laloux ist der Überzeugung, dass unsere Gesellschaft sich auf den Weg zu einem höheren Bewusstsein gemacht hat. Das (kommende) höchste Bewusstseinsstadium besteht aus Schlichtheit und innerer Ruhe. Spiritualität spielt auch eine Rolle. Alles steht miteinander in einem Zusammenhang. Vorbildliche Unternehmen, die Laloux analysiert hat, entwickeln auch ein höheres Bewusstsein. Ihr höchstes Ziel ist es, eine „Teal Organisation“ zu werden, die wie ein lebender Organismus ganzheitlich funktioniert. Grundstruktur ist ein Kreis von sich selbst organisierenden Teams. Jeder kann Ideen haben und über ihre Umsetzung entscheiden, aber er muss vorher im Unternehmen mit Experten und Kollegen, die von der Entscheidung betroffen sein werden, reden. Es gibt keine Strategie, aber einen Purpose, den man flexibel an die stattfindende Evolution anpassen kann. Laloux hat mit seinem Buch (und trotz oder wegen der esoterischen Anmutung) eine sehr hohe Aufmerksamkeit in der HRSzene bekommen. Frederic Laloux: Reinventing Organizations, Vahlen, 2015 Kreise und Rollen Traditionell werden Unternehmen in Abteilungen untergliedert, ein Mensch arbeitet immer nur in einer Abteilung und kann sich auf eine Tätigkeit spezialisieren. Im holakratischen Organisationsmodell, das Brian j. Robertson beschreibt, werden Abteilungen durch Kreise ersetzt. In den Kreisen gibt es von Personen entkoppelte Rollen. Ein Mensch kann unterschiedliche Rollen in unterschiedlichen Kreisen wahrnehmen. Er soll so das ganze Unternehmen sehen. Es gibt auch keine personengebundene hierarchische Führung mehr. Stattdessen gibt es in jedem Kreis nur noch die vom übergeordneten Kreis eingesetzte Person in einer Führungsrolle. Sie hat das Recht, in einem Kreis Rollen zu besetzen. Die Prinzipien „Abteilung“ und „Hierarchie“ werden im holakratischen Organisationsmodell stark aufgeweicht, nicht aber das Prinzip der Formalisierung. Jede noch so kleine Veränderung in einem Kreis wird in einer zwingend vorgeschriebenen Steuerungssoftware für alle sichtbar fixiert. Durch diese Hyperformalisierung soll verhindert werden, dass informell entschieden wird und verdeckte mikropolitische Konflikte die Zusammenarbeit stören. Kritiker sprechen von einer „ungewollten Bürokratisierung“, die handlungsunfähig macht und die tendenziell von geheimen Meinungsführern durch Mauscheleien umgangen wird. Robertson wurde auch deshalb so berühmt, weil er mit Holacracy einen Weg aufzeigte, wie man das vage Konzept der Agilität konkret umsetzen könnte. Brian J. Robertson: Holacracy – Ein revolutionäres ManagementSystem für eine volatile Welt, Vahlen, 2016
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