Früher 22 personalmagazin 09.24 Foto: Christian Protte PROF. DR. UWE PETER KANNING ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Er zählt als einer der mehrfach ausgezeichneten HR-Köpfe zu den „Big Five“. Sein erklärtes Ziel ist es, mit wissenschaftlichen Fakten über Missstände in der HR-Arbeit aufzuklären. 7 Wer einen unbefangenen Blick auf die Vielfalt verschiedener Personalentwicklungsangebote wirft, kann sich kaum des Eindrucks verwehren, als ginge es hier vor allem darum, sich immer wieder etwas Neues und vor allem etwas Unterhaltsames auszudenken. Keine Methode kann zu verrückt sein, um nicht auch im Personalwesen vermarktet zu werden. Die Bandbreite ist kaum noch zu überblicken. Sie reicht von klassischen Trainings mit fragwürdigen Inhalten (NLP, Imagination von Zielen, Mimikdeutung et cetera), über den Gang in den Klettergarten und diverse esoterische Angebote (Rückführung, Schamanen-Coaching, quantenphysikalische Beratung), bis hin zu Führungskräftetrainings mit Dirigenten oder Pferden. Als Maß für den Erfolg dient dabei die Zufriedenheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Und oh Wunder – je unterhaltsamer die Maßnahme war, desto größer ist am Ende die Zufriedenheit. So wird immer weiter am Rad der Bespaßung gedreht. Wir dürfen gespannt sein, wohin all dies noch führen wird. Leider zeigt die Forschung, dass die Zufriedenheit der Betroffenen nichts zu tun hat mit der Frage, ob sie etwas gelernt haben oder später im Berufsalltag Aufgaben besser bewältigen können. Nicht minder traurig ist, dass der Transfer von Lerninhalten umso eher zu erwarten ist, je größer die Nähe der Entwicklungsmaßnahme zum Berufsalltag der Betroffenen ausfällt. Die Emotionalität einer Maßnahme sorgt zwar dafür, dass die Erinnerung an das Erlebte länger wach bleibt. Sie sorgt aber nicht für einen besseren Transfer der Inhalte in den Berufsalltag, wenn es außer Sprüchen nichts zu lernen gab, was sich sinnvoll auf den Arbeitsalltag übertragen ließe. 8 Im Zeitalter der Digitalisierung scheint mehr und mehr auch im Personalwesen die These zu gelten: „Je digitaler, desto besser“. Einstellungsinterviews oder Assessment Center werden digital durchgeführt. Zusätzlich zu den Bewerbungsunterlagen halten die Verantwortlichen nach Daten aus sozialen Netzwerken Ausschau. Mitunter kommen sogar KI-Algorithmen zum Einsatz, um Persönlichkeitsprofile zu erstellen und natürlich finden auch immer mehr Weiterbildungsmaßnahmen über den Computer statt. Die Digitalisierung ist so allmächtig, dass ihr Nutzen kaum noch hinterfragt wird. Dies ist bedauerlich, liefert die Forschung doch zahlreiche Befunde, die zweifeln lassen: Daten aus privaten sozialen Netzwerken erweisen sich als weitgehend nicht valide. Aus der Art, wie jemand spricht, schreibt oder sich bewegt, lassen sich per KI keine sinnvollen Schlussfolgerungen auf die berufliche Eignung ziehen. In digitalen Auswahlverfahren schneiden Bewerberinnen und Bewerber schlechter ab als in Face-to-Face-Verfahren. Auch junge Leute bevorzugen bei wichtigen Lebensentscheidungen den persönlichen Kontakt. Zumindest bei Führungskräftetrainings erzielen digitale Formate schlechtere Ergebnisse als Präsenzveranstaltungen. 9 In vielen Unternehmen hat die Personalarbeit keinen hohen Stellenwert. Das Personalwesen wird zu einer reinen Dienstleistung degradiert – oder degradiert sich im schlimmsten Fall selbst dazu. Ziel der Arbeit ist es, möglichst schnell die Wünsche der Fachabteilungen oder des Managements umzusetzen. Das Einstellungsinterview wird nicht nach den Regeln der Kunst entwickelt und durchgeführt, sondern so, wie eine Führungskraft es sich wünscht. Trainingsmaßnahmen werden nicht bedarfsgerecht entwickelt. Stattdessen wird eingekauft, was gefällt. Wenn Personal eingespart werden muss, geschieht dies am besten im Personalwesen, denn alle anderen Beschäftigten sind ja wichtig für den Erfolg des Unternehmens. – Wer glaubt „Personal kann jeder“, hat nicht begriffen, welche wirtschaftliche Kraft in guter Personalarbeit schlummert. Die geeignete Person für einen Arbeitgeber zu gewinnen, die richtigen Leute an die richtigen Positionen zu bringen und den Aufstieg der Falschen zu verhindern, Talente zu entwickeln und für ein gutes Miteinander zu sorgen, ist wirtschaftlich mindestens so wichtig, wie eine gute Investitionsentscheidung. Dies muss man aber auch belegen und ausstrahlen können. Wer sich selbst klein macht, wird als unwichtig wahrgenommen. Niemand im Unternehmen glaubt, das Ingenieure überflüssig wären oder dass jede beliebige Führungskraft die Aufgaben des Controllings nebenbei übernehmen könnte. Bei der Lösung juristischer Probleme reicht ein „gesundes Rechtsempfinden“ sicherlich nicht aus. Warum glauben aber so viele, dass ein vermeintliches „Menschenkennertum“ für die Personalarbeit vollkommen ausreichend sei? Vielleicht hat dies ja auch etwas damit zu tun, wie weit sich das Personalwesen im eigenen Unternehmen als Profession mit nachweislich wirksamen Methoden, guten Kennzahlen und einem selbstsicheren Auftreten etabliert hat. Hier dürfte mitunter noch viel Luft nach oben sein. Je unterhaltsamer die Personalentwicklung, desto besser. Je digitaler, desto besser. Personalarbeit ist eine Dienstleistung. M Y T H O S M Y T H O S M Y T H O S
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