Puffer planen, was ein gewisses Maß an Gleitzeit ermögliche, weil es dann auch mal kompensiert werden kann, wenn jemand später kommt oder früher geht. Manche Arbeitsplätze könne man auch komplett aus der Taktung herausziehen, weil es nur darum geht, eine bestimmte Anzahl von Teilen am Tag zu produzieren – dabei sei es im Grunde egal, wann die Mitarbeitenden kommen und gehen, solange sie das tägliche Ziel erreichen. „Aber das wird leider noch viel zu wenig gemacht.“ Auch mit Automatisierung könne man viel erreichen: „Damit könnten auch getaktete Anlagen mehrere Stunden laufen, ohne dass jemand anwesend sein muss.“ Doch es werde meist nur automatisiert, um Arbeitskräfte zu sparen. „Dass die Automatisierung auch die Basis dafür sein könnte, die Arbeitszeitmodelle zu flexibilisieren, sehen viele gar nicht.“ Besonders spannend für den BlueCollar-Bereich ist eine Reduktion der Arbeitszeit – schon wenige Stunden machen laut Zander einen großen Unterschied, und das ohne Produktivitätsverlust, weil sich dadurch die Krankenquote beachtlich reduzieren lasse. „Unternehmen, die ihre Mitarbeitenden 40 Wochenstunden im Schichtbetrieb arbeiten lassen, haben in der Regel über zehn Prozent Krankenquote, nicht selten sogar 15 Prozent. Bei 35 Wochenstunden liegt die Krankenquote dagegen in der Regel deutlich unter zehn Prozent.“ Das ließe sich zwar nicht linear weiterführen, es sei nicht so, dass es mit 30 Stunden gar keine Kranken mehr gebe. Aber wenn man von 40 auf 36 oder 35 Stunden reduziere, habe das einen nachweisbaren Effekt. Für die Planung von Dienstplänen, wie etwa in der Pflege, empfiehlt Zander IT-basierte Lösungen wie Apps, in denen Mitarbeitende eintragen können, wann sie bevorzugt eingeteilt werden möchten. Das Startup Vote2Work hat eine digitale Lösung für die Einsatzplanung entwickelt und hilft so, Schichtarbeit flexibler zu gestalten. Planungsverantwortliche können über die App Einsatzanfragen an die Beschäftigten schicken, die diese innerhalb einer Rückmeldefrist beantworten, die für alle gleichermaßen gilt. „Bei flexiblen Einsätzen stellt sich immer auch die Frage, wer denn nun die Nachtschicht am Sonntag oder die eher ungeliebte Spätschicht an einem Samstag bekommt. Um hier Konfliktpotenzial oder first come first serve zu vermeiden, haben wir eine Prioritätensteuerung implementiert, die Unternehmen mit Blick auf Fairness-Aspekte unterschiedlich ausgestalten können“, erklärt CEO und Gründerin Katrin Pape. „Die so entstehende Flexibilität und der Einbezug von Mitarbeitenden tragen nachweislich zu einer höheren Zufriedenheit am Arbeitsplatz bei und steigern das Commitment zum Arbeitgeber, was wiederum zu einer längeren Betriebszugehörigkeit führt.“ Work-Life-Balance und Gesundheit Auch bei der Hotelgruppe B’mine ist eine solche Lösung für die nahe Zukunft angedacht. Chief People Officer Peter Rolinski betont, dass bereits jetzt Arbeitszeitkonten in der Hotellerie und Gastronomie eine große Rolle in der Verbesserung der Arbeitsbedingungen spielen. Anders als noch vor ein paar Jahren werde in den meisten Hotels heute jede Minute aufgeschrieben, die man mehr arbeitet. „Bei uns werden diese über ein digitales Zeiterfassungssystem erfasst, was 100 Prozent Transparenz für beide Seiten bedeutet. Mitarbeitende können diese Überstunden oder zusätzliche Schichten auf einem Konto ansparen und diese später als Freizeit abbauen.“ Mobile Apps zur Schichtplanung und Kommunikation bieten dabei mehr Transparenz und Kontrolle über die Arbeitszeit; Arbeitszeitkonten, Urlaub und Vertragsunterlagen befinden sich an einem Ort. Auch MAN Energy Solutions bemüht sich um eine gute Work-Life-Balance für die Mitarbeitenden, die nicht am Schreibtisch arbeiten: mit einem Tarifvertrag, der unter anderem eine 35-Stunden-Woche beinhaltet. „Aber das reicht heute nicht mehr aus“, sagt Chief Human Resources Officer Ingrid Rieken. Das Unternehmen setzt deshalb vor allem auf Maßnahmen zur Gesundheitsförderung für die Mechanikerinnen, Schweißer, Lageristinnen und Transportmitarbeiter, deren Arbeit meist körperlich anstrengend ist. In regelmäßigen Abständen nimmt eine komplette Schichtgruppe an einer Schulung teil, die eine reguläre Tagesschicht ersetzt. Dort werden sie über schichtrelevante Gesundheitsthemen wie Schlaf, Stressreduktion und Ernährung informiert und bekommen anschließend gesunde und leicht nachkochbare Gerichte zum Mittagessen. Soweit es mit der Tätigkeit vereinbar ist, bietet MAN Energy Solutions auch die Möglichkeit der Gleitzeitnutzung an. Zudem können alle Mitarbeitenden bis zu acht bezahlte Freistellungstage für Kinderbetreuung oder Pflege Angehöriger beantragen. Und Rieken plant weitere Maßnahmen: „Denkbar sind zukünftig auch neue Arbeitszeitmodelle für unsere Mitarbeitenden in der Produktion, unter anderem eine Viertagewoche mit angepasster täglicher Arbeitszeit.“ Jessica Richter, Vice President und Global Head of Talent Development bei Infineon, ist sich darüber bewusst, dass bei den Mitarbeitenden in Produktion, Lagerlogistik und Wartung flexible Arbeitszeiten aufgrund des Schichtsystems nur begrenzt möglich sind. Einen gewissen Grad an Selbstbestimmung gibt es dennoch, da Arbeitsplatzeinteilung in Rücksprache mit den Führungskräften erfolgt. Dafür bietet das Unternehmen den Deskless Workers andere Benefits wie zum Beispiel tarifliche Freistellungszeit und die Möglichkeit, ein Sabbatical zu nehmen. Auch Teilzeit ist im Schichtdienst bei Infineon eine vielgenutzte Option. Besonders aber setzt der Halbleiterhersteller auf Angebote zur beEine 35-StundenWoche im Schichtbetrieb senkt die Krankenquote im Vergleich zu einer 40-StundenWoche deutlich. Morgen personalmagazin 09.24 54 Foto: Sebastian Höhn
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