Personalmagazin plus MBA 6/2024

personalmagazin MBA 2024 Fotos: Melissa Schriek MBA 6 Stellen Sie sich einmal vor, Sie wären Bob Iger, CEO der Walt Disney Company. Sie haben ein Problem: Open AI hat gerade Sora auf den Markt gebracht, eine neue KI-Anwendung, mit der man anhand von Texteingaben Videos produzieren kann. Regie, Drehbuch, Kamera, Animation, Musik – all das meistert die Künstliche Intelligenz eigenständig, wenn man sie mit den richtigen Befehlen, sogenannten Prompts, füttert. Die Technik steht noch am Anfang, sie zeigt aber: Künftig wird man Mickey-Mouse-Filme damit produzieren können. Daraus ergeben sich Fragen um das geistige Eigentum, aber auch der Unternehmensstrategie insgesamt: Soll Walt Disney künftig auf Künstlerinnen und Künstler, auf fantasievolle Menschen, verzichten und stärker die KI mit der Produktion betrauen? Es gilt zu bedenken: Es waren diese Menschen, die Walt Disney und Mickey Mouse groß gemacht haben. Entscheidet sich der CEO dagegen, wird das Unternehmen womöglich Nachteile am Markt haben, da die Produktion mit KI gute Ergebnisse in kürzerer Zeit bei weniger Aufwand und Kosten liefert. Was also tun? Wie soll die Fünfjahresstrategie aussehen? Solche Fragen stellt Tony O’Driscoll in seinen Klassen an der Duke University in North Carolina. Der nebenamtliche Professor, der Strategie, Marketing und digitale Transformation im Programm Master of Engineering Management (MEM) unterrichtet, nennt diese „Live-Cases“. Jede Woche führt er neue Fallbeispiele ein, die auf aktuellen Entwicklungen in der Geschäftswelt basieren. Ethik-Comeback durch KI Ethische Fragen wie die, ob es wichtiger ist, den Anschluss nicht zu verlieren oder sich um die Menschen zu sorgen, für die man als Arbeitgeber auch eine Verantwortung trägt, stehen mit dem Vormarsch von KI immer stärker im Vordergrund. Viele Unternehmen arbeiten an ethischen Richtlinien für den Einsatz von KI – weil sie glauben, dass diese Vertrauen in die Technik schaffen und den Umsatz steigern können. Das ergab eine Befragung von 100 Top-Führungskräften aus US-amerikanischen Großunternehmen, die die Beratung Deloitte Anfang 2024 durchgeführt hat. Von den befragten Führungskräften gaben 86 Prozent an, dass ihr Unternehmen sich auf die Einführung von Ethik-Richtlinien für KI vorbereitet oder diese bereits umgesetzt hat. Einige besetzen laut der Befragung spezielle Positionen, um den ethischen Anforderungen der neuen Technologien gerecht zu werden – oder sie planen das zumindest. Zu diesen Positionen gehören KI-Ethikforschende (53 Prozent), Compliance Specialists (53 Prozent), Analysts für Technologiepolitik (51 Prozent) und Positionen wie Chief Ethics Officer (38 Prozent) und Chief Trust Officer (36 Prozent). KI-Ethik beschäftigt auch die Business Schools. Die Coronapandemie haben viele gut überstanden. Doch die rasante Entwicklung von KI ist nun das alles beherrschende Thema und stellt die Wirtschaftshochschulen vor neue Herausforderungen. MBA-Absolvierenden eilt oft der Ruf voraus, in wirtschaftlichen Fragen menschliche Überlegungen hintanzustellen. So meint zum Beispiel der US-amerikanische Ökonom Kamer Daron Acemoğlu gemeinsam mit Co-Autoren, dass die sinkende Erwerbsquote in den USA und Dänemark zum Teil darauf zurückzuführen sei, dass Unternehmen MBA-Absolventen einstellen, die aus strategischen Gründen die Belegschaft reduzieren. Ann E. Harrison, Dekanin der Berkeley Haas School of Business, hält dies allerdings für ein Problem der Anreizpolitik, zumindest in den USA. „Die Förderung höherer Bildungsmöglichkeiten zu vernünftigen Kosten würde den Einzelnen vor der Automatisierung schützen, die auf Routinearbeiten abzielt“, so Harrison in einem Meinungsartikel der Financial Times. Führungskräfte müssten lernen, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen – was vorausschauende Wirtschaftshochschulen bereits täten, indem sie nicht nur Aktionäre, sondern verschiedene Interessengruppen einbeziehen. Digitaler Humanismus: Wertebasierte Führung lehren Traditionell gibt es in den USA diesbezüglich zwei Denkschulen: Shareholder first oder Stakeholder first. „Die Fuqua MBA ist eine stakeholder-orientierte Schule“, sagt Tony O’Driscoll. Fuqua-Dekan Bill Bolding hebt drei Dinge hervor, die Führungspersönlichkeiten auszeichnen sollten: IQ, EQ und DQ – Intelligenz, Empathie und Anstand. Während des MBAProgramms arbeiten die Studierenden in ihren Kernkursen im selben Team und wechseln dann zur Hälfte des Programms in andere Teams. „Absolvierende von Fuqua können nicht das sein, was Netflix als ‚brillante Idioten‘ bezeichnet, weil sie Teamfähigkeit entwickeln müssen, um im Programm erfolgreich zu sein.“ Aus programmatischer Sicht trägt dazu vor allem das Center for Organization, Leadership and Ethics (COLE) bei, das bereits 2004 aus einer Partnerschaft zwischen der Fuqua School of Business, der Duke University Athletics und dem Kenan Institute for Ethics entstanden ist. Das akademische Zentrum soll Studierende dabei unterstützen, unternehmerische Führungskräfte mit außergewöhnlichem Charakter zu werden, sogenannte „Leaders of Consequence“. Es erarbeitet Fallstudien und Lehrmaterial, entwickelt Executive-Education-Kurse, vergibt Forschungsstipendien und regt den Austausch über Führung und Ethik zum Beispiel mit Vortragsreihen an. Eine ähnliche Stakeholder-Tradition haben zahlreiche Business Schools in Europa. „Wir müssen uns fragen, wo die menschliche und ethische Komponente bleibt – bei all der Technologie, die in Unternehmen einzieht“, sagt Barbara Stöttinger, Marketing-Professorin und Dekanin der WU Executive Academy. An der Wirtschaftsuni Wien hat sie die Idee eines „digitalen Humanismus“ mitentwickelt: ein Framework, das Unternehmen dabei helfen soll, ethische Leitlinien zu formulieren und so ihren digitalen Impact zu verbessern – mithilfe eines Guides, der unter anderem strukturierte Inspirationsfragen enthält. „Digitaler Humanismus ist ein Vorgehen von Organisationen, das auf Wirtschaftlichkeit, also auf Profit ausgerichtet ist, aber immer im Hinblick auf die Auswirkungen, die dieses wirtschaftliche Handeln für Mensch und Umwelt hat.“ Der Grundgedanke: Neue technologische Entwicklungen sollten Menschen dienen – nicht umgekehrt. Während es in

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