MBA personalmagazin MBA 2024 12 Bildung ist ein sozialer Prozess, der nicht nur darauf abzielt, Wissen zu vermitteln und sich die grundlegenden Werkzeuge anzueignen oder einen Beruf auszuüben. Der andere Hauptzweck der Bildung besteht darin, die Lernenden mit den notwendigen Fähigkeiten, Tugenden, Gewohnheiten und Weltanschauungen auszustatten, um gute Weltbürger und engagierte Akteure ihrer eigenen Gesellschaften zu werden. Deshalb dürfen wir uns nicht nur mit all den Wundern befassen, die die Künstliche Intelligenz hervorbringt, wie etwa dem unbegrenzten Zugang zu Informationen. Wir müssen den Studierenden auch die Fähigkeiten vermitteln, mit all diesen Ressourcen umgehen zu können. Darauf legen wir an der IE großen Wert. In meinem aktuellen Buch spreche ich über den österreichischen Philiosophen Ludwig Wittgenstein. Er war überzeugt, dass Philosophie die Anwendung der Logik auf die Sprache ist und dass man mit einem perfekten System der Logik Antworten auf jede wichtige philosophische Frage geben kann. Das ist die Art und Weise, wie wir die generative KI betrachten. Aber Sprache ist immer kontextabhängig. Das merkt man sofort, wenn man versucht, mit Google Translate einen Witz von einer Sprache in eine andere zu übersetzen: Das Ergebnis ist meist überhaupt nicht lustig. Denn die KI versteht den Kontext des Witzes nicht. Und genau hier setzen die Geisteswissenschaften an. Eine Diskussion über ein bestimmtes Managementproblem wird beispielsweise nicht zum gewünschten Ergebnis führen, wenn wir uns ausschließlich auf KI verlassen. Denn dann würden wir völlig losgelöst vom Kontext sprechen. Und auch wenn es darum geht, Entscheidungen zu treffen, führt kein Weg an menschlichen Entscheidungsträgern vorbei. Der Vorstand von Open AI hat die Entscheidung, sich von Sam Altmann zu trennen, sicher nicht Chat GPT überlassen – und auch nicht die Entscheidung, ihn wieder einzustellen. Welche Managementfähigkeiten brauchen wir in Zeiten von Polykrisen? In der Welt gibt es so viel Skepsis und Widerstand gegenüber der dringenden Umgestaltung von Unternehmen und Gesellschaften. Wie können wir diese Skepsis abmildern? Ich erinnere mich immer an eine Passage, die Peter Drucker, der Vordenker des Managements, in seinen Memoiren erzählt. Er nahm an einem Seminar von John Maynard Keynes an der Universität Cambridge teil. Und Peter Drucker bemerkt, dass sich seine Kommilitoninnen und Kommilitonen für das Verhalten von Rohstoffen interessierten – was heutzutage natürlich auch unter Wirtschaftswissenschaftlern sehr verbreitet ist. Doch während sich seine Mitstudenten und -studentinnen für das Verhalten von Waren interessierten, interessierte Drucker sich für das Verhalten der Menschen. Denn im Management geht es für ihn darum, andere Menschen zu führen, und nicht darum, eine Wissenschaft zu beherrschen oder ein Finanzingenieur zu werden. Empathie statt harter Zahlen und Fakten? Natürlich erwartet man von CEOs und Führungskräften, dass sie sich in ihrer Branche auskennen, mit Bilanzen, mit Finanzkonzepten und Marketinginstrumenten. Aber das Wichtigste für einen erfolgreichen Manager oder eine erfolgreiche Managerin ist es, Menschen zu verstehen, andere Menschen zu führen und sich um sie zu kümmern. Wenn Sie mich fragen, was für eine erfolgreiche Führungskraft am wichtigsten ist, dann ist es tatsächlich das Verständnis für andere. Aus diesem Grund sind Personal- und Talentmanagement zum wichtigsten Bereich für CEOs geworden. Und deshalb achten wir heute auf Empathie. Wir bemühen uns um das Wohlbefinden der Beschäftigten. Die beste Art, andere zu führen, besteht darin, sie genau zu kennen und in gewissem Maße zu lieben. Letztendlich ist es wahrscheinlich das, was die bestmöglichen Führungskräfte ausmacht. Natürlich ist es auch sehr wichtig, dass sie in ihrem Beruf kompetent sind. Aber wirklich entscheidend ist, dass sie einen weiten Blick auf die Welt haben, Toleranz und Vielfalt zulassen – besonders in der heutigen Zeit, in der wir eine zunehmende Polarisierung in den meisten Gesellschaften beobachten, sowohl in Europa als auch weltweit. Wie kann ich mir das vorstellen, wie lehren Sie Mitgefühl? In allen unseren Managementprogrammen bieten wir Kurse an, um „Impact Skills“ zu erlernen. Diese Wirkungsfähigkeiten haben damit zu tun, wie man ein guter Manager oder eine gute Managerin wird. Und Mitgefühl kann man nicht nur intellektuell kultivieren, indem man liest, Fallstudien betrachtet oder Teamarbeit pflegt. An der IE bringen wir die Studierenden auch in Situationen, in denen sie diese Führungsqualitäten wirklich üben müssen und dann von ihren Kolleginnen und Kollegen bewertet und beurteilt werden. Das ist eine sehr gute Vorbereitung, um mitfühlend zu werden. Über Santiago Iñiguez Santiago Iñiguez ist Präsident der IE University und eine anerkannte Persönlichkeit in der globalen Hochschulbildung. Er ist regelmäßiger Redner auf internationalen Konferenzen und veröffentlicht Beiträge in verschiedenen Zeitschriften und Medien zum Thema Hochschulbildung und Führungskräfteentwicklung. Er gilt als führender spanischer Influencer im Bereich Management, etwa auf Linkedin. Iñiguez ist Professor für Strategisches Management. Er hat einen Abschluss in Jura, einen Doktortitel in Moralphilosophie und Rechtswissenschaft (Universität Complutense, Spanien) und einen MBA der IE Business School. Er war ein anerkannter Student an der Universität Oxford, UK.
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