PM Plus Arbeitswelten 2019

in einer Arbeitswelt, die von ständigen Veränderungen geprägt ist, eine ständige Prüfung der gesetzlich verankerten Rege- lungen unabdingbar. Im Vergleich zur industriellen Arbeit ist die Produktivität der Mitarbeiter im Büro nur sehr schwer oder überhaupt nicht zu erfassen. Der Nutzen der aktuellen gesetzlichen Vorgaben lässt sich daher oft nur indirekt bemessen. Gleichzeitig erfordern die bereitgestellten Budgets Ef- fizienz bei den Risikoanalysen und mög- lichst geringe Kosten für die Ausstattung der Arbeitsplätze. Arbeitsstättenverordnung gilt auch in der Vuca-Welt Auch wenn die Einhaltung der Min- destanforderungen an Arbeitsplätze in der neuen Arbeitswelt zunächst wie ein „Spaßverderber“ wirken mag, müssen die Unternehmen als Verantwortliche für die Gesundheit und Sicherheit ihrer Mitarbeiter alles tun, um die geltenden Regeln des Arbeitsschutzes einzuhalten. Das bedeutet auch: Je flexibler das Office ist, desto häufiger müssen die Beauftrag- ten für Arbeitssicherheit die Einhaltung des Arbeitsschutzes prüfen. Dabei lohnt es sich, nicht nur die gesetzlich vorge- schriebenen Mindeststandards anzustre- ben, sondern stattdessen die langfristigen Wirkungen einer ergonomisch gestalteten Büroumgebung im Blick zu haben. In der DGUV Regel 115-401 „Branche Bürobetriebe“ und in der DGUV Infor- mation 215-410 „Bildschirm- und Büro- arbeitsplätze – Leitfaden für die Gestal- tung“ finden sich zu allen relevanten Themen im Büroumfeld detaillierte Be- schreibungen und Empfehlungen als Vor- gaben für die verantwortliche Fachkraft für Arbeitssicherheit. Zu den zentralen Fragen rund um den Bildschirm-Arbeits- platz wie Stuhl, Tisch, Monitor und wei- teren Arbeitsmitteln finden die Beauf- tragten für Arbeitssicherheit in diesen Leitfäden wichtige Informationen und Richtwerte. Selbstverständlich sind hier auch die Vorschriften aus der Arbeits- stättenverordnung (ArbStättV) und den diese konkretisierenden Technischen Re- geln für Arbeitsstätten (ASR) enthalten. Grundsätzlich beziehen sich diese Regel- werke auf alle Arten von Arbeitsplätzen, in ihnen finden sich aber auch zahlreiche Verweise auf die spezifischen Anforde- rungen an Büroumgebungen. So enthält die ASR A1.2 „Raumabmes- sungen und Bewegungsflächen“ einfach handhabbare Richtwerte für die Größe von Arbeitsplatzflächen in Abhängigkeit von der Büroform und der Anzahl der Personen, die in einem Raum arbeiten sollen. Danach beträgt die Mindestfläche eines Arbeitsplatzes acht Quadratmeter. Je nach Büroyp steigen die Flächenvor- gaben auf zwölf bis 15 Quadratmeter in Großraumbüros, weil hier größere akus- tische und visuelle Störwirkungen und erhöhte Anforderungen an die Verkehrs- wege zu berücksichtigen sind. Auch das vorgeschriebene Raumvolumen ergibt sich gemäß ASR A1.2 aus der Anzahl der Mitarbeiter je Einheit und bezieht sich im Prinzip auf das benötigte Atemluft- volumen. Neben den Anforderungen an die Raumabmessungen oder an Verkehrs- und Fluchtwege werden in den ASR wei- tere Aspekte der ArbStättV wie Beleuch- tung, Raumtemperatur, Lüftung, Akustik oder die Gestaltung von Pausenräumen behandelt. Letztere führen in der Pra- xis häufig zu dem eingangs erwähnten Diskussionsbedarf. Dieser ergibt sich etwa, wenn bei der Gestaltung der neu- en Arbeitswelten offene Cafés und Rück- zugsräume wie Cubes oder Mini-Meeting- räume die herkömmlichen Pausenräume ablösen sollen. Dann gilt es, individuelle Regeln für deren Nutzung aufzustellen, wobei darauf zu achten ist, dass die üb- lichen Aktivitäten in Pausenräumen, wie beispielsweise die Einnahme von Mittag- essen, nicht durch andere Nutzungszwe- cke eingeschränkt werden. Gefährdungsbeurteilung muss alle Abweichungen begründen In solchen und vielen anderen Fällen ist eine etwas weitergehende Auslegung der Technischen Regeln nicht zu vermeiden. Wichtig ist dann, dass Abweichungen von den Vorgaben der Standardvorschriften oder abweichende Empfehlungen in den Planungen vor allem bei kritischen Situ- ationen durch eine Gefährdungsbeurtei- lung detailliert und nachvollziehbar be- gründet werden. Hierbei müssen neben den körperlichen Beeinträchtigungen auch mögliche psychische Belastungen der Arbeitnehmer berücksichtigt werden. Ein Beispiel hierfür sind die Belastungs- wirkungen von Lärm in Großraumbüros. Diese sind nur zu etwa 40 Prozent phy- sisch messbar, der Großteil der Beein- trächtigung ist psychisch begründet. Auch der „digitale Arbeitsplatz“ ist nicht nur ein technisches (und ergonomi- sches) Problem, sondern kann den Mitar- beiter auch psychisch belasten. Der Um- gang mit den neuen Technologien und anderen ungewohnten Organisationsfor- men setzt entsprechende Information vo- raus und funktioniert nur auf Grundlage der erkannten Dringlichkeit der Verände- rung. Die Verantwortung des Arbeitgebers hört nicht hinter den Mauern des eigenen Gebäudes auf: Auch für die ordnungs- gemäße Ausstattung externer Arbeits- plätze, wie etwa Homeoffices, muss der Arbeitgeber Sorge tragen und eine Ge- fährdungsbeurteilung erstellen. Als roter Faden bei der Büroraumge- staltung zeigt sich: Die neue Arbeitswelt muss zur Unternehmenskultur passen. Unabdingbar ist, sowohl HR als Treiber der Unternehmenskultur als auch die Mit- arbeiter möglichst früh in die Planung einzubeziehen. Es ist an der Zeit, die ganzheitliche Betrachtung des Office Workspace als wesentlichen Erfolgsfaktor zur Performance-Steigerung der Mitarbei- ter zu verstehen. Wie der Einfluss der Digitalisierung auf den Menschen genau aussieht, wissen wir heute noch nicht. Doch auch wenn Räume und Arbeitswei- sen sich verändern: Der Mitarbeiter, sein Wohlergehen und seine Leistungsfähig- keit sollten das Zentrum aller Überlegun- gen bilden. JÖRG BAKSCHAS, Inhaber von Head­ room Consult, ist Workspace Specialist, Change Coach und Design Thinker. Den Industrieverband Büro & Arbeits­ welt (IBA) vertritt er als Normungs­ experte in diversen Ausschüsssen (DIN-, CEN- und ISO-Ebene). Arbeitsstättenrichtlinien 41

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