PM Plus Arbeitswelten 2019

personalmagazin plus: Arbeitswelten Am Siemens-Standort München-Neu- perlach rechnet man eigentlich nicht gerade mit einem Coworking Space. Nicht gerade zentral gelegen wirkt die Umgebung eher wie eine verschlafene Vorstadt. Der Gebäudekomplex aus den späten Siebzigern wird wegen seiner ab- gerundeten Kanten und der in Primärfar- ben gehaltenen Fassadenelemente auch „Legoland“ genannt. Nicht unbedingt die Lage, die man sich bei hippen Coworking Spaces vorstellt. Dennoch erreicht man nach einem kurzen Spaziergang über den Campus dann genau das. In der Mitte einer ehemaligen Bibliothek hängen Fi- lament-Birnen über einem Kaffeetresen. Die Community-Managerin sitzt auf einem Hocker und tippt auf ihrem Lap- top. Auf einer ausgemusterten Werkbank schreiben einige Mitarbeiter auf bunte Moderationskarten. In einer Ecke steht eine gelbe Telefonzelle, in einer anderen ein alter Siemens-Fernschreiber und man findet sogar noch eine alte Mangel. Der offene Raum wird von einer Galerie um- schlossen, auf der sich weitere Mitarbei- ter um ein Flipchart versammelt haben. „Wir haben mit unserem Coworking Space ein Umfeld geschaffen, das für Kommunikation, Kreativität und agiles Arbeiten steht“, erzählt Sabrina Menke. Sie verantwortet bei Siemens Real Estate die Entwicklung von Arbeitsplatzkonzep- ten. Durch einen glitzernden Türvorhang betritt Menke einen Raum, dessen dunk- le Wände als Tafelfläche herhalten. Bei der Eröffnung wurden die Flächen von einem Künstler gestaltet, jetzt sind an der Wand Reste von Tabellen und Zahlen zu erkennen, die nur halb abgewischt wur- den. Man sieht den Wänden an, dass sie gerne genutzt werden. „Mitarbeiter aus den unterschiedlichsten Bereichen finden hier zusammen und leben den Gedanken der Co-Kreation.“ Oberstes Ziel bei der Gestaltung der Räumlichkeiten sei laut Menke gewesen, die Coworker optimal zu unterstützen. „Wesentlich hierfür sind die flexiblen Ausstattungselemente, die es er- lauben, verschiedenste Arbeitsszenarien abzubilden, von agilen Workshops, über temporäres Arbeiten bis hin zu Netzwer- ken, Austausch und Business Events.“ Solche neuen Arbeitsflächen entste- hen nicht nur bei Siemens, nicht nur in Neuperlach, auch andere Unternehmen schaffen sich eigene Coworking-Räume. Große Unternehmen mit mehr als eintau- send Mitarbeitern sind außerdem die am schnellsten wachsende Kundengruppe beim internationalen Coworking-Anbie- ter Wework. Dort können sich Einzelper- sonen, Selbstständige oder Unternehmen Arbeitsplätze mieten, in geteilten Büroflä- chen oder einzelnen Teambüros. Wework bietet dabei hohe Flexibilität und küm- mert sich um die gesamte Infrastruktur, vom Schreibtisch über die Kopierinsel bis hin zu Getränken und Kugelschreibern. Doch was erhoffen sich Unternehmen von einer Arbeitsweise, die ursprünglich aus der Not geboren ist? Kleinunterneh- men und Freiberufler teilen sich häufig die Büroflächen, weil sie sich kein eige- nes Büro leisten können. Viele erhoffen sich darüber hinaus Vorteile und eine motiviertere, kreativere und produkti- vere Arbeit im Coworking. Ist Arbeit im Coworking einfach besser? Wird Cowor- king damit zur Überlebensstrategie von großen Unternehmen und Konzernen? Coworking als Alternative zum Homeoffice „Wir beobachten viele verschiedene For- men von Coworking.“ Ricarda Bouncken, Professorin für Strategisches Management und Organisation an der Universität Bay- reuth, leitet das Forschungsprojekt „Hier- da“, welches sich seit etwa vier Jahren mit Coworking auseinandersetzt. Gerade für viele Freelancer sei Coworking schlicht die angenehmere Alternative zum Home­ office. Das Coworking Space bietet eine funktionierende Infrastruktur, struktu- riert den Arbeitsalltag und bietet außer- dem soziale Kontakte und Kaffeepausen. Dabei arbeiten gerade Freelancer jedoch viel seltener wirklich zusammen als er- hofft, meint Professor Bouncken. Die Hoff- nung, dass allein durch die offene Raum- gestaltung, lockere Arbeitsatmosphäre und das gemischte Publikum automatisch mehr Zusammenarbeit, fachlicher Aus- tausch und somit eine Produktivitätsstei- gerung für alle eintrete, bewahrheitet sich demnach nur bedingt. Selbstständige und Freiberufler profitieren ihrer Forschung zufolge weniger vom Coworking als häufig angenommen, allein der Wechsel in eine geteilte Arbeitsfläche bringt nicht unbe- dingt mehr Kollaboration, das Netzwerken bezieht sich vornehmlich auf Privates. Etwas ganz anderes sei dies, wenn Unternehmen gezielt Coworking Spaces nutzen, um ohnehin bestehende Teams oder Projektgruppen in einer offenen und wenig vorbelasteten Arbeitsumgebung produktiv werden zu lassen. Netzwerke knüpfen und Kooperationen aufbauen Maxi Mayr vom Coworking Space Gschafft im oberbayerischen Bad Tölz hat selbst positive Erfahrungen mit der Kollabora- tion in seinem Space gemacht. Das von ihm gemeinsam mit Büropartner Henrik Heubl betriebene Coworking Büro wird sowohl von Unternehmen als auch von Freiberuflern genutzt. Zu den zwölf regel- mäßigen Besuchern zählen zwei Gründer, die ihr eigenes Start-up aufbauen, einige Freiberufler, ein Mitarbeiter einer größe- ren Firma, der immer freitags das Gschafft als „Homeoffice“ nutzt und ein Angestell- ter, der keinen festen Arbeitsplatz bei sei- ner Firma hat. „Anfangs haben wir bei Henrik zu Hause gearbeitet. Als es Zeit wurde für ein Büro, wollten wir uns nicht in ein enges Kabuff einsperren“, erzählt Mayr. 20 Minuten Autofahrt zum nächs- ten Space waren Mayr und seinem Kol- legen aber zu weit. Also beschlossen sie, selbst ein Coworking Space zu gründen. Mayr im Rückblick: „Am ersten Tag saßen wir da tatsächlich erstmal zu zweit.“ Neben dem Raum und dem täglichen gemeinsamen Mittagessen bieten Mayr und Heubl auch immer wieder Workshops zu ganz unterschiedlichen Themen an. Die Gruppe trifft sich zum After-Work-Yo- ga, zum Hackathon oder einfach nur, um die Weihnachtsgeschenke nachhaltig zu verpacken. „Ich würde auf jeden Fall sa- Hierda – Humanisierung digitaler Arbeit in Coworking Spaces Im Rahmen des Forschungsprojektes Hierda werden aktuelle Coworking-Konzepte und beispielhafte Spaces analysiert. Aus dieser Analyse wer- den Entwicklungsbedarfe abgeleitet und Instrumente zur Verbesserung der Team- und Projektarbeit ent­ wickelt. Ziel ist es, konkrete Hand­ lungsempfehlungen und ein Modell zur Nutzung der Potenziale und Reduzierung der Risiken bereitzu- stellen. www.hierda.net Fotos: Siemens. All rights reserved. Arbeitswelten 32

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