PM Plus Arbeitswelten 2019
personalmagazin plus: Arbeitswelten sich fünf Herausforderungen ableiten, an denen sich Führungs- und Gestaltungs- ansätze zukünftig orientieren könnten. 1. Ambiguität Die Mehrdeutigkeit, ja Widersprüchlich- keit organisationaler Kontexte erfordert eine angemessen komplexe und reak- tionsschnelle Binnenstruktur. Die Ge- staltung von Raumkonzepten hat hier eine große Bedeutung. Das Fehlen von festen Arbeitsplätzen führt beispielswei- se schneller zu wechselnden Formen der Zusammenarbeit der Teams, auch die Or- ganisation von Absprachen und Kommu- nikationswegen in den Räumen werden unterschiedlich genutzt und ausgelegt. All dies fördert den Umgang mit dem Unerwarteten und trägt dazu bei, dass sich neue Prozesse entwickeln können, die schneller in der Lage sind, intern die Anforderungen von Umwelt und Kunden zu verarbeiten. Genau hierfür sind Ge- meinschaftsflächen und Kommunika- tionszonen von großer Bedeutung. Der Soziologe Robert Burt spricht hier von der Überwindung struktureller Löcher zwi- schen Gruppen als signifikantem Treiber von neuen Ideen. Übersetzt bedeutet das, je eher wir in der Praxis mit immer neu- en und anderen Kolleginnen und Kolle- gen oder auch dem Kunden in Kontakt kommen, desto eher entwickeln wir neue Ideen. So können organisationales Lernen gefördert und alternative, bessere Ent- scheidungsfindung unterstützt werden. 2. Veränderungs bereitschaft Je schneller sich Kundenanforderungen verändern oder Projekte entstehen, desto mehr sind Organisationen darauf ange- wiesen, schnell entsprechende Prozesse und Teams zusammenzustellen, um pass- genau darauf zu reagieren. Hier zählt, wie ausgeprägt normative Regeln oder kognitive Orientierungsrahmen gestaltet sind. Voraussetzung ist eine angemesse- ne Veränderungsbereitschaft im System, um den Arbeitsort (etwa das Homeoffice), die Arbeitszeit oder auch die Teamzu- sammenstellungen schnell und flexibel verändern zu können. Dabei ist die de- zentrale Übernahme von Verantwortung auch für den organisatorischen Rahmen des eigenen Leistungsbeitrags ein wesent- licher Faktor. War die Übernahme von Verantwortung für den Wandel in der Ver- gangenheit für die Mitarbeitenden jedoch nicht von positiven Erfahrungen geprägt, dann ist es meist nicht allzu weit her mit der Veränderungsbereitschaft. 3. Hierarchie Veränderungen haben in der Organisa- tion oft unerwartete Wirkungen – ein Pro- dukt eines Anbieters kann beispielsweise nur noch online zur Verfügung gestellt werden. Je schneller die Organisation darauf reagieren kann, desto höher die Überlebensfähigkeit. Mit neuen, flexiblen Arbeitsmodellen besteht die Chance, diese Unterschiede schneller zu erkennen und in produktives Handeln umzusetzen. Können die Mit- arbeiter im obigen Beispiel schnell einen neuen Prozess für die Bestellung des Pro- dukts aufbauen? Oder wird die Idee als Vorlage in höhere Entscheidungsgremien gegeben und kommt Monate später zer- stückelt und unbrauchbar wieder zurück? Hier zählt das Ergebnis mehr als die plan- gemäße Durchführung einer delegierten Lösung. Erfolgreich Probleme zu dele- gieren und „Ownership” zu erzeugen, ist von zentraler Bedeutung, wenn kreative Improvisation zum Standard für Problem- lösungen wird. Das bedeutet nicht, dass Hierarchie obsolet wird. Im Gegenteil: Die neuen Arbeitswelten erfordern rol- lenklareres, delegatives und konsequen- teres Führen, weil sie einen brauchbaren Orientierungsrahmen in der neuen Un- übersichtlichkeit schaffen müssen. 4. Firmenkultur Die sich rapide verändernden Erwartun- gen von Mitarbeitenden an die Unterneh- menskultur werden nicht nur bei der Per- sonalgewinnung spürbar. Auch innerhalb der Organisation steigt der Wunsch nach Beteiligung, Mitgestaltung und Transpa- renz. Der Wunsch nach Sinn und Selbst- verwirklichung und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf der Mitarbeitenden kennzeichnet heute unabweisbar die be- stimmenden Merkmale einer modernen, produktiven und attraktiven Unterneh- menskultur. Eine Veränderung der Kul- tur hat deutliche Auswirkungen auf das Employer Branding und die Attraktivität der Unternehmen. Für viele Organisatio- nen ist die Erkenntnis hierüber gleich- zeitig der erste Schritt in einen kulturellen Transformationsprozess, der Führungs- kräfte der bisherig etablierten Kultur auch persönlich vor große Herausforderungen stellt und oft überfordert. Hier liegt einer- seits der wesentliche Hebel, andererseits aber auch der größte Engpass bei der Umsetzung neuer Formen der Arbeits- gestaltung. Der Weg von der geleisteten Zeitstunde und abgearbeiteten Aufgabe hin zur Schaffung von echten Verantwor- tungsbereichen und gemeinsam gelösten Problemen bedeutet für Führung der al- ten Schule vor allem: loszulassen. 5. Sinnstiftung Je größer und älter die Organisation und je komplexer und arbeitsteiliger die Dienstleistung oder das Produkt, desto detaillierter wird die Wahrnehmung der einzelnen Akteure auf das Wesentliche, die Wertschöpfung für den Kunden. Der Verlust des Verständnisses für die grö- ßeren Zusammenhänge, in denen das eigene Handeln steht, war schon im In- dustriezeitalter der Massenfertigung ein wesentlicher Treiber von Entfremdung des Einzelnen vom Arbeitsplatz. Damals wie heute ist der Grad an in- dividueller Sinnstiftung für die eigene Arbeitszufriedenheit ausschlaggebend. Hier besteht ein wichtiger Zusammen- hang zur Frage der neuen Arbeitsgestal- tung: Nur wenn ich verstehe, welche Bedeutung meine Arbeit hat, kann ich auch Verantwortung für die Gestaltung von organisatorischen Rahmenbedingun- gen übernehmen. In diesem Sinne ist die Orientierungsfunktion von Führung ent- scheidend. Führungskräfte haben die Auf- gabe, die größeren Zusammenhänge her- zustellen und die Arbeit des Einzelnen in der Mission der Organisation zu verorten, um schließlich für den Mitarbeitenden Sinnstiftung zu ermöglichen. Reflexion gelebter Organisationspraxis Die Herausforderungen zeigen, dass Ar- beitsgestaltung eine voraussetzungsvolle Angelegenheit ist. Die Veränderung zu neuen Arbeitswelten im Biotop Büro ist kein Selbstläufer. Elementare Fragen der Organisation sind davon betroffen. An- ders herum: Der Trend neuer Arbeits- und Bürowelten ist eine Chance, sich beherzt auf den Weg der Veränderung zu machen. Arbeitswelten 22
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