PM Plus Arbeitswelten 2019
Montagmorgen, 8.30 Uhr: Der Gang ins Büro stimmt auf den Tag ein. Freund- liches Grüßen auf den Fluren, Kaffeege- ruch, ein kurzer Plausch mit dem Zim- mernachbarn. Computer hochfahren, sortieren, Themen sichten. Arbeitsplätze sind in vielerlei Hinsicht ein Stück Hei- mat, sie schaffen Identität, Sicherheit der Rolle und des eigenen Ortes in der Orga- nisation. Hier weiß ich, wer ich bin. Und hier kann ich so sein, wie ich sein soll. Menschen bewohnen Organisationen, der Raum definiert den Menschen. Unter den Vorzeichen der Volatilität von Märkten, Unplanbarkeit und damit Irrelevanz langfristiger Strategien werden Entscheidungen in Organisationen kom- plexer. In diesen oft auch sehr dynami- schen Entscheidungssituationen wird der identitätsstiftende Anker des klassischen Büros zunehmend infrage gestellt. Was vergangenen Generationen von Arbeit- nehmern noch als Insignien der Macht galt – Eckbüro, Ledercouch und Vor- zimmer – wirkt in Zeiten von Homeof- fice und Flexibilisierung der Arbeitszeit antiquiert. Heute verschwimmt Arbeits- zeit mit Freizeit, es ist unter modernen Führungskräfte en vogue, diesen Lifestyle vorzuleben. So findet seit geraumer Zeit in Organisationen unterschiedlicher Cou- leur ein mitunter radikales Umdenken tradierter Raum- und Territorialkonzepte statt. Wenn der Mensch jederzeit und von überall arbeiten kann, wer braucht dann noch ein Büro mit Namensschild? Organisationen stehen heute vor der Frage, welchen Beitrag der physische Raum in Zeiten kontinuierlichen Wandels für ihre Zukunftsfähigkeit leisten kann. Raum- und Arbeitskonzepte müssen einen nachweislichen Mehrwert für die kollektive Wertschöpfung der Organisa- tion leisten. Dabei sind architektonische Fragen mit organisationalen, leistungs- bezogenen und kulturellen Aspekten in Einklang zu bringen. Die Geschichte des Büros beginnt im 19. Jahrhundert Um das Faszinosum Büro besser zu ver- stehen, lohnt sich ein Blick in die Ver- gangenheit. Mitte des 19. Jahrhunderts bildete sich erstmals die Berufsgruppe der Büroangestellten. Mit zunehmender Urbanisierung, dem Ausbau des Trans- portwesens und der aufkommenden Mas- senfertigung entwickelte sich das, was wir noch heute als Verwaltung kennen. In ihrer Form und Organisationsstruktur ähnelten die Büros bereits den heutigen Büro. Dies stand in engem Zusammen- hang mit einer auf Rationalität basieren- den Idee von Management. Das Bild des Büros glich dabei einer (Papier-) Fabrik, in der Menschen statt an Fließbändern an Schreibtischen ihre Arbeit verrichten. Als Reaktion daraus formierte sich Mitte des 20. Jahrhunderts eine Bewegung, die das Gruppenverhalten von Menschen in diesen Arbeitsumgebungen in den Blick nahm (Human Relations Movement). Mit diesem Verständnis änderte sich auch die Gestaltung von Büros: Glas und damit Licht wurden relevant, Klimaanla- gen wurden eingeführt und auch äußer- lich arbeitete man am Erscheinungsbild des Bürogebäudes. All diese Entwicklun- gen basierten auf der Bedeutung des Mit- arbeiters als einem Rollenträger, den es in die Organisation zu integrieren galt. Ein erneuter Umbruch in der Arbeits- platzgestaltung setzte Anfang 1980 ein und wirkt bis heute. Globaler Kapitalis- mus, internationale Arbeitsteilung, Leis- tungsanforderungen, Personalmangel und natürlich die Digitalisierung führten zu einer Abkehr von bisherigen Arbeits- formen und Managementkonzepten. Die Betonung flacher Hierarchien, Transpa- renz und aktiver Mitgestaltung in der Geschäftsentwicklung, Gleichstellung aller Mitarbeitenden und Telearbeit sind einige der relevanten Stichworte. Wandel im Verständnis des Arbeitsumfelds Mit einem neuen Reflektieren über die Arbeitsplatzgestaltung geht eine grund- legende Verschiebung im Verständnis des Arbeitsumfeldes seit dem frühen 20. Jahr- hundert einher. Mit der Einsicht, dass Arbeit nicht nur dem bloßen Gelderwerb dient, sondern zudem dem subjektiven Werteverständnis von Arbeitnehmern entspricht, hat sich der Blick auf Büros signifikant verändert. Zuvor hat man Bü- ros betreten, sie wieder verlassen und Büroarbeit tendenziell als unbefriedigend betrachtet. Heute ist Menschen der An- spruch an Zufriedenheit am Arbeitsplatz wesentlich wichtiger, und sie wählen Arbeitgeber danach aus, ob sie ihnen ein Arbeitsumfeld bieten, das diesen Vorstel- lungen entspricht. Den Wandel von Arbeits- und Raum- konzepten primär auf organisationale Veränderungen und auf die Mitarbeiten- den selbst zu reduzieren, greift jedoch zu kurz. Auch der Hinweis, dass neue Raumkonzepte Kosten einsparen, ist in dieser Diskussion trivialisierend. Viel- mehr gilt es, das Thema ganzheitlicher zu denken. Markt und Umwelt treiben Organisationen in Veränderung – und in diesem Kontext muss die Gestaltung von Arbeitszeit, -platz und -organisation ver- standen werden. Fünf Herausforderungen bringt der Wandel Für die Gestaltung von Arbeit und den dazu passenden Räumen und Zeiten gibt es wesentliche Veränderungstreiber: die Dynamik der Umwelt von Organisatio- nen, der veränderte Personalmarkt im Speziellen und das Wachstum von Or- ganisationen und Komplexität von Pro- dukten und Dienstleistungen im Beson- deren. Aus diesen Entwicklungen lassen Arbeits plätze sind ein Stück Heimat, sie schaffen Identität und Sicherheit der Rolle. Führung 21
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