personalmagazin 04/2016 - page 81

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04/16 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
mündlichen Nebenabreden über Zusatz-
leistungen oder aus Erfahrungswerten
vergleichbarer Mitarbeiter.
Leider finden sich dazu häufig keine
Anhaltspunkte in der Personalakte. Die
Entscheidung der Betriebsprüfer oder
des Sozialgerichts, hier anzunehmen,
dass der Arbeitgeber nicht pflichtge-
mäß geschätzt hat, resultiert daher oft
Stellt sich bei einer Betriebsprüfung heraus, dass die Voraussetzungen einer Versiche-
rungsfreiheit rückblickend gesehen nicht vorliegen, kann das teuer werden. Teilweise
kann es sich aber auch lohnen, den Vorwurf einer „Falschbeurteilung“ auf den rich-
terlichen Prüfstand zu stellen. Das zeigt das nachfolgende Beispiel.
Der Fall: Arbeitgeber A beschäftigt seit mehreren Jahren den Monteur B. Am 1.10.2015
vereinbaren die Parteien, dass B ab sofort Montageleiter für Auslandseinsätze wird.
Neben einem üppigen Stundenlohn werden mündlich weitere Prämien und Zusatzleis-
tungen vereinbart. Der zuständige Entgeltabrechner schätzt das neue Jahresentgelt auf
„mindestens 57.000 Euro“ ein und meldet B ab dem 1.1.2016 als „versicherungsfrei“.
B wählt daraufhin ab Jahresbeginn eine private Krankenversicherung. Er verlässt das
Unternehmen zum Jahresende. Im April 2017 erscheint ein Betriebsprüfer, lässt sich
die Jahresentgelte des B vorlegen und stellt fest, dass das tatsächliche Arbeitsentgelt
für 2016 bei knapp 56.000 Euro lag, also unterhalb der JAG. Er stellt für B rückwirkend
zum 1.1.2016 die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung fest
und verlangt für 12 Monate die Krankenversicherungsbeiträge nebst Zusatzbeiträgen
und Säumniszuschläge nach. A zieht gegen den Beitragsbescheid vor Gericht. Wie wird
dieses entscheiden?
Lösung:
Für den Prozessausgang sind folgende Varianten möglich:
1. Prozesssieg
Kann A im Prozess schlüssig und einem Beweis zugänglich darlegen, dass er von einer
mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit Entgeltentwicklung ausgegangen ist,
bleibt es bei der angenommenen Versicherungsfreiheit. Retten könnte A hier beispiels-
weise ein Schätzvermerk, aus dem sich ergibt, dass sich der Entgeltabrechner an den
Einkünften eines vergleichbaren Mitarbeiters orientiert hat.
2. Prozessniederlage
Kann A seine pflichtgemäße Schätzung nicht oder nicht ausreichend darlegen, so wirkt
die tatsächliche Unterschreitung als Indiz, dass er nicht pflichtgemäß geschätzt hat, mit
der Folge einer rückwirkenden Feststellung der Versicherungspflicht.
3. Teilsieg
Es kann auch Zwischenlösungen geben. Ergibt die richterliche Aufklärung beispielsweise,
dass A zwar bei Beginn der Vertragsänderung pflichtgemäß geschätzt hat, aufgrund von
bestimmten Tatsachen aber im Juni 2016 hätte erkennen müssen, dass das ursprünglich
geschätzte Jahresentgelt wohl nicht erreicht wird, wird ihm vorgeworfen werden, dass
er zu diesem Zeitpunkt seine Schätzung hätte korrigieren müssen. Im Ergebnis würde
dann eine rückwirkende Einstufung in die Versicherungspflicht ab Juli 2016 angenom-
men, sodass sich in diesem Fall die Beitragsschuld halbieren würde.
Streit um die pflichtgemäße Schätzung
URTEILSVARIANTEN
lung nach dem „letzten Jahresverdienst“
ausrichten, wären Entgeltabrechner von
dieser Sorge befreit. Eine rückschauen-
de Betrachtung ist im System der Ver-
sicherungsfreiheit jedoch nur als erster
Schritt (im zweiten folgt die Prognose)
bei Mitarbeitern vorgesehen, die aktuell
noch versicherungspflichtig sind, bei
denen sich aber das Gehaltsgefüge so
entwickelt, dass im Folgejahr mit einer
Überschreitung der Jahresarbeitsent-
geltgrenze zu rechnen ist.
Bei Neueintritten aber ist die eigent-
liche Kernaufgabe der Beurteilung der
Versicherungsfreiheit die Prognose da-
rüber, ob die Jahresarbeitsentgeltgrenze
(JAG) „voraussichtlich“ überschritten
werden wird. Würde man einem Arbeit-
geber den Nichteintritt einer Prognose
generell als Falschbeurteilung zurech-
nen, so wäre dies damit zu vergleichen,
einen Meteorologen in Regress zu neh-
men, weil er in einer Wettervorhersage
Abendsonne vorhergesagt hat, es aber
tatsächlich geregnet hat. Somit kann
sich der Vorwurf einer Falschbeurtei-
lung nicht daran ausrichten, dass eine
objektive Fehlbeurteilung vorliegt. Be-
urteilungsmaßstab des Fehlers ist viel-
mehr die Frage, ob der Arbeitgeber zum
Zeitpunkt seiner Einschätzung ausrei-
chende Sorgfalt bei der Ermittlung der
Schätzgrundlagen hat walten lassen.
Praxistipp: Schätzvermerk machen
Das Kernargument gegen den Vorwurf
„falsch geschätzt“ zu haben, scheint tri-
vial: Arbeitgeber müssen den Betriebs-
prüfer, respektive das einen Beitragsbe-
scheid überprüfende Sozialgericht „nur“
überzeugen können, dass sie zum Zeit-
punkt ihrer Beurteilung der Versiche-
rungsfreiheit pflichtgemäß geschätzt
haben. Zahlreiche Fälle aus der Praxis
zeigen aber, dass es genau daran häufig
mangelt. Vor allem, wenn sich bei den
Mitarbeitern die JAG-Überschreitung
nicht schon aus dem vertraglich fixier-
ten Grundgehalt ergibt, sondern aus
1...,71,72,73,74,75,76,77,78,79,80 82,83,84,85,86,87,88,89,90,91,...92
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