Personalmagazin - Neues Lernen 3/2024

F ührungskräftetrainings richten sich in der Regel nur an Führungskräfte. Klüger wäre es aber, auch Untergebene darin zu schulen, ihre jeweiligen Vorgesetzten zu führen. Warum? Zunächst einmal, weil Führung in der Organisation sowieso in allen Richtungen geschieht: von oben nach unten, unter Gleichrangigen – und sehr verbreitet eben auch von unten nach oben. Deshalb ist es ein Missverständnis, wenn Führungskräftetrainings lediglich bei den Führungskräften und deren Verhaltenserwartungen sowie deren eigenen Entscheidungsroutinen ansetzen. Die „Unterwachung“, also die Beobachtung, latente Kontrolle und – soweit möglich – diskrete Verhaltenskorrektur der Vorgesetzten durch ihre Untergebenen, findet ohnehin statt. Für Vorgesetzte ist es sinnvoll, ihr bewusst Raum zu geben und sie als Informationsquelle zu nutzen, statt sie aus Statusgründen nervös auszublenden oder als lästige Irritation und Bedrohung zu fürchten. Schließlich ist keine Chefin klüger als ihre Mitarbeitenden. Diese sind näher am operativen Geschehen, sie sind mit den Eigenheiten von Kunden, Lieferanten und anderen Geschäftspartnern vertraut, sie kennen die Schwierigkeiten und Fallen im Arbeitsprozess und die Wege, sie formal korrekt oder brauchbar illegal zu umgehen. Kluge Vorgesetzte wissen das und versuchen, die Kompetenzen und das Erfahrungswissen ihrer Leute zu nutzen. Das setzt voraus, sich von Steuerungsillusionen, kleinteiligen Kontrollbedürfnissen und anachronistischen Rollenbildern zu lösen. Eine Abteilung kann nur funktionieren, wenn der Chef oder die Chefin sich klug unterwachen lässt und akzeptiert, dass die anderen im Zweifel mehr und Anderes wissen als er oder sie. Wer keine Unterwachung zulassen will, verschwendet eine der wichtigsten Ressourcen im Organisationsgeschehen. Doch auch diese Führung von unten will gelernt sein, schon um die Vorgesetzten nicht über Gebühr in Anspruch zu nehmen. Führungskräfte sind immer davon bedroht, dass ihre Untergebenen die von oben behaupteten Steuerungsansprüche wörtlich nehmen und großzügig auslegen – sei es, um sich abzusichern, sei es als Antwort auf kleinteilige Gängelung oder einfach aus Gründen der Bequemlichkeit. Im Zweifel lassen sich sehr viele offene Entscheidungen und ungelöste Probleme mit dem Verweis auf die formale Verantwortlichkeit der Vorgesetzten nach oben weiterreichen. Weil anderen Annahmen zum Trotz auch die Arbeitstage und Problembearbeitungskapazitäten von Vorgesetzten begrenzt sind, legt die ungefilterte Problemdelegation an die höhere Hierarchieebene zuverlässig jede Führungskraft lahm und verhindert, dass sie ihren eigentlichen Aufgaben nachkommt. Untergebene, die darin geschult sind, ihre Führungskräfte diskret oder offen zu führen ohne sie mit permanenten Bitten um Feinsteuerung zu behelligen, entlasten hingegen ihre Vorgesetzten. Deshalb ist es hilfreich, wenn nicht nur die formal mit hierarchischer Macht ausgestatteten Führungskräfte, sondern auch ihre Untergebenen ihr jeweiliges Führungsverhalten reflektieren und darin mithilfe entsprechender Trainings unterstützt werden. Genau wie Führungskräfte lernen können, sich klug unterwachen zu lassen, können ihre Untergebenen davon profitieren, ihre Vorgesetzten gekonnt zu lenken: Unterwachung will gelernt sein, auf beiden Seiten. DR. JUDITH MUSTER ist Partnerin bei Metaplan und akademische Mitarbeiterin an der Universität Potsdam. Sie ist überzeugt, dass Organisationen nicht in erster Linie aus Menschen bestehen, sondern aus Strukturen, Kommunikationswegen, formalen Regeln und Mitgliedern mit bestimmten Organisationsrollen. Foto Alexandra Kern Unterwachung lernen Systemblick 35

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