Personalmagazin - Neues Lernen 3/2023

Die Mehrheit der Beschäftigten weltweit arbeitet nicht an einem Büroarbeitsplatz. Sie sind sogenannte „Deskless Worker“, die nicht an einem Schreibtisch sitzen und am Bildschirm arbeiten, sondern in Gastronomie und Handel, im produzierenden Gewerbe, im Handwerk, in Produktionshallen oder auch in der Pflege. Arbeitsplatznahe Weiterbildung findet für sie am besten „on the shopfloor“ statt, direkt in der Produktionshalle oder im Laden und Restaurant. Drei Beispiele verdeutlichen die Unterschiede und Herausforderungen. Gamification für die Gastronomie Wenn man eine typische Situation in einem Restaurant oder in der Systemgastronomie beschreiben soll, dann geht das ganz gut: Es ist laut, es ist hektisch, und gerade hat eine neue Servicekraft angefangen, weil gestern jemand gekündigt hat. Die Gäste wollen bestellen und bezahlen. Für eine ausführliche Einarbeitung und Schulung ist jetzt wirklich keine Zeit. Die Fluktuation ist hoch, der Schulungsbedarf je nach Ausbildungsstand auch. Deniz Bayraktaroğlu, Geschäftsführer und Mitgründer von Bounti, kennt die Situation aus eigener Erfahrung. Das Berliner Startup will das Lernen für sogenannte Frontline-Worker, die im Handel oder Service arbeiten, breiter zugänglich machen. Derzeit konzentriere man sich auf die Gastronomie, berichtet Bayraktaroğlu, auch weil dort die Fluktuation und damit der Bedarf besonders groß sei. „Mobile first“ lautet der Ansatz, denn gelernt wird mit dem Smartphone. Das Startup stellt Restaurants und Bountis Kunden aus der Systemgastronomie eine Lernplattform inklusive Autorentool und Schnittstellen zu verschiedenen HR-Softwareplattformen zur Verfügung, über die sie Lerninhalte erstellen und den Mitarbeitenden zuweisen können. Da diese erstens zum Lernen motiviert werden müssen und zweitens wenig Zeit haben, werden Themen wie das Verhandeln mit schwierigen Gästen in kleine Microlearning-Einheiten heruntergebrochen und mit spielerischen Elementen wie Quizfragen verknüpft, damit das Lernen auch Spaß macht. Die Lerneinheiten sollen „leicht verdaulich“ sein, beschreibt Deniz Bayraktaroğlu, und so kurz, dass zum Beispiel die offizielle Pause oder auch kurze Pausen, die sich im Arbeitsalltag ergeben, dafür ausreichen. Für die Zuteilung der Lerninhalte sind die Vorgesetzten verantwortlich. Die Lernenden erhalten eine SMS oder E-Mail mit einem Token, mit dem sie sich in eine Web-Applikation einloggen können. Auf diese Weise ist der Zugang zu den Lerneinheiten so einfach wie möglich und der Nachweis, dass eine verpflichtende Lerneinheit absolviert wurde, schnell erbracht. Abgerechnet wird über ein Lizenzmodell pro Filiale oder pro Mitarbeitenden, erklärt Bayraktaroğlu. Als nächsten Schritt plant sein Unternehmen, monatliche Kompetenzchecks zu integrieren. Die regelmäßige Auswertung der absolvierten Schulungen soll dann Grundlage für die Zuweisung von Kursen in höherer oder niedrigerer Frequenz sein. Das Konzept kommt nach Angaben des Gründers so gut an, dass mittlerweile der erste Kunde ein klassisches LMS durch das Bounti-System ersetzt. E-Learning auch in der Werkshalle Auch in den Werkshallen der Ronal Group, einem Hersteller von Leichtmetallrädern für die Automobilindustrie mit weltweit rund 7.500 Mitarbeitenden, gehören Bildschirme nicht zur Standardausstattung am Arbeitsplatz. Dennoch müssen die Mitarbeitenden in der Produktion geschult werden, um zum Beispiel die Anforderungen der Kundschaft nach Zertifizierungen zu erfüllen und die geforderten hohen Qualitätsstandards zu erreichen. Dafür nutzt Ronal ein klassisches LMS der Saarbrücker imc AG, das hier passend zum Ziel der Mitarbeiterentwicklung „Employee Development Center“ genannt wird. Es erfüllt alle Funktionen eines klassischen LMS, von der Verwaltung von Präsenzschulungen und Online-Schulungen bis hin zur Zuteilung und Verteilung letzterer. Zusätzlich entwickelte imc für die Ronal Group zwei E-Learnings, die speziell auf die Mitarbeitenden in der Produktion zugeschnitten sind: Ein Qualitätsmanagementtraining soll die Arbeiterinnen und Arbeiter sensibilisieren und ihnen vermitteln, wie wichtig es ist, die strengen Qualitätsanforderungen in allen Produktionsschritten zu erfüllen. Das Training macht auf den Umgang mit Fehlern aufmerksam und soll die Hemmschwelle senken, offen und frühzeitig auf Verbesserungspotenziale hinzuweisen. Ein weiterer Online-Kurs klärt über Social Engineering auf. Damit soll verhindert werden, dass (Cyber-) Kriminelle Mitarbeitende geschickt manipulieren, indem sie menschliche Eigenschaften wie Hilfsbereitschaft, Vertrauen, Angst oder Autoritätshörigkeit ausnutzen. Die Lernenden erfahren, wie Unbefugte versuchen könnten, Sicherheitsfunktionen zu umgehen, an vertrauliche Informationen zu gelangen oder Schadsoftware auf dem privaten Gerät oder einem Computer im Firmennetzwerk zu installieren. Die Frage, wie Lernende ohne eigenen PC-Arbeitsplatz am besten auf neue Lernangebote aufmerksam gemacht werden können, beantwortete das Unternehmen mit einer Plakataktion. Auf den Plakaten, die in Kantinen, Werkshallen und Sozialräumen aushängen, werden die Lerninhalte mithilfe eines Comics in Kurzform dargestellt. Wer den auf den Plakaten aufgedruckten QR-Code scannt, erhält weitere Informationen und wird zum Online-Kurs eingeladen, berichten Nadine Kreutz von imc und Philipp Leupoldt von der Ronal Group, die das Projekt für eine Case Study aufbereitet haben. Das methodisch und D 76 neues lernen – 03/2023 Text: Gudrun Porath Foto: plainpicture/Christian Diehl

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