PROF. DR. CARSTEN C. SCHERMULY ist Diplom-Psychologe und Vizepräsident für Forschung und Transfer an der SRH Hochschule Berlin. Mehr zu Leadership-on-Demand und zu Schermulys »Zukunftsvision einer besseren Arbeitswelt« findet sich in seinem Buch »New Work Utopia«. Es wird nie voreilig von oben eine Person zur Teamleiterin oder zum Teamleiter ernannt – zum Beispiel ein Teammitglied, das am nettesten ist, aber überhaupt keine Führungserfahrung oder Führungskompetenzen besitzt. Das Team wendet sich bei Bedarf an die Unternehmensleitung und bittet um Vorschläge für eine Teamleiterin oder einen Teamleiter. Diese Person sollte die zeitlichen Ressourcen haben, die Führung eines Teams für die nächsten sechs Monate zu übernehmen. Abhängig vom Aufgabenbereich und dem Charakter des Teams werden Menschen für die Teamleitung von oben vorgeschlagen. Das Team wählt sich dann eine Führungspersönlichkeit aus. Doch gibt es auch Situationen, in denen sich keine Führungskraft bereiterklärt, mit einem Team zusammenzuarbeiten. Dies geschieht vor allem dann, wenn die Teams ihre Leiterinnen und Leiter in der Vergangenheit nicht gut behandelt haben. Viele Teams lassen sich dann von einer psychologisch versierten Supporterin beraten, wie sie ihr Verhalten gegenüber einer Führungskraft langfristig verbessern können. Manche Teams lösten sich sogar nach einem negativen Feedback durch eine Führungskraft auf. In diesen Fällen sind es häufig interne Streitigkeiten, die durch die Ablehnung neu aufgebrochen sind. Der Charakter von Führung verändert sich vollständig durch das Leadership-on-Demand-Axiom. Führung wird zu einer Maßnahme, die sich ein Team gönnt, damit es besser zusammenarbeiten kann. Führung ist freiwillig und kann von beiden Seiten tuellen Niveau (mit derselben Praxisferne) wie bei der Idee, jedem Team eine Führungskraft vor die Nase zu setzen. Und die Umsetzung der Führungslosigkeit führt darüber hinaus zu Problemen. Der Alltag in vielen Teams wird für die Teammitglieder ohne Führung sehr komplex und überaus politisch. Ohne Führung müssen die Mitarbeitenden, ob sie wollen oder nicht, die Führungsaufgaben selbst übernehmen. Sie müssen sich selbst organisieren und koordinieren und all das zusätzlich übernehmen, was sonst die Führungskraft gemacht hat. Auch kommt es häufiger zu Konflikten, denn Aufgaben, Lasten und Pflichten sowie die Belohnungen müssen ständig neu verhandelt werden. Das ist für viele Teams extrem anstrengend. Und dennoch müssen sie neuerdings selbstorganisiert arbeiten, weil die Selbstorganisation gerade im Trend liegt. Kleine Teams verzichten eher Den Teams entweder eine Führungskraft oder die Selbstorganisation aufzuzwingen, ist beides autoritär. Kluge Unternehmen machen das anders: Teams können selbst entscheiden, ob sie geführt werden wollen oder nicht. Die Teams bestimmen, ob Führung für sie Sinn ergibt oder nicht, denn sie sind diejenigen, die das Produkt und die Arbeit am besten kennen. Findet sich ein neues Team zusammen, dann entscheidet man innerhalb der ersten vier Wochen, ob man geführt werden möchte oder nicht. Innerhalb von vier Wochen machen die Mitglieder eines Teams genug Erfahrungen mit sich und ihrem Team, um eine zuverlässige Entscheidung treffen zu können. Meistens gönnen sich Teams mit mehr als sechs oder sieben Personen eine Führungskraft. Manchmal erlaubt sich ein Team auch Führung, weil die selbstständige Vertretung der Teaminteressen innerhalb des Unternehmens als zu anstrengend empfunden wird. Doch vorbildliche Unternehmen lassen ihre Teams mit dieser Entscheidung nicht allein. Es gibt eine generelle Support-Crew. Aus ihr kommen spezialisierte Kolleginnen und Kollegen und helfen dem Team bei der Entscheidung. Wenn zu viele Bälle im Spiel sind, kann es sinnvoll sein, auf mehr Führung zu setzen. 66 neues lernen – 03/2023
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