Personalmagazin - Neues Lernen 3/2023

Zuviel desGuten Wenn Führungskräfte sich unsicher fühlen, verstärken sie dieMechanismen, die sie beherrschen und die sie erfolgreich gemacht haben. Die Folge ist ein Albtraum für die Beschäftigten: Micromanagement, Aktionismus, Kontrollwahn oder emotionale Überlastung. Text: Heidi Stopper Illustration: Tina Berning K ürzlich saß ein Vorstand bei mir im Coaching. Nahbar, agil, NewWork-affin. Es war ihm wichtig, Mitarbeitende zu empowern und emotional transparent zu sein. Doch dann das: Seine Assistentin hatte gekündigt, sein Team war überlastet. Ich schlug ihm ein Rollenspiel vor. Er sollte sich in die Assistentin hineinversetzen und aus ihrer Perspektive die Lage schildern. Das klang so: „Mein Chef kommt aus Meetings und lädt alle Konfliktthemen und seinen Frust bei mir ab. Ich kann einfach nicht mehr.“ Was war hier also los? Wenn die Hütte brennt, wird von Führungskräften erwartet, dass sie die Lage souverän im Griff haben. Souveränität ist aber gerade dann für sie am schwersten. Derzeit müssen sie oft mit Krisenherden umgehen und geraten praktisch täglich an neue Herausforderungen, von denen sie oft keinen blassen Schimmer haben. Sie sind unsicher – und unsichere Menschen verstärken ihre Stärken: Sie nutzen die Verhaltensweisen, die sie erfolgreich gemacht haben, und zwar im Übermaß. Das Problem dabei: Übertriebene Stärke ist eine Schwäche. Im oben geschilderten Fall liegt eine Führungsstärke darin, Emotionen zuzulassen und mit ihnen zu führen. Doch sie schlug ins Gegenteil um: in emotionale Überlastung der Beschäftigten. Die Problematik betrifft auch andere Führungsstärken. Immer noch verbreitet, und zwar auf allen Führungsebenen: Expertentum, das bei Stress und Unsicherheit zu Micromanagement führt und auch zu „Ich erkläre euch jetzt mal die Welt“-Monologen. Unter Druck beginnen solche Führungspersonen jeden Handgriff anzuleiten. Sie würgen bei den Mitarbeitenden alles ab, was an Eigeninitiative, Ideen und Motivation vorhanden ist. Eine weitere übertriebene Führungsstärke führt zu Aktionismus. Dies betrifft die meisten Führungskräfte, also diejenigen, die mit strategischer Zielsetzung und „Predict and Control“ arbeiten. Unter Druck werden sie zu Initiativmonstern, starten ein Projekt nach dem anderen und fordern ständig neue Templates zur Kontrolle. KPIs sind ihr Sicherheitsanker und der Overload-Killer für ihre Beschäftigten. So offensichtlich das klingt, Führungskräften sind ihre übertriebenen Verhaltensmuster meistens überhaupt nicht bewusst. Ganz im Gegenteil: Für sie fühlt sich das richtig gut an. Sie beschäftigen die Organisation, die aus ihrer Sicht dann zu Hochtouren aufläuft. Der Druck wird von oben nach unten durchgereicht – bis das System irgendwann kollabiert oder Mitarbeitendenbefragungen katastrophale Führungsbewertungen zutage fördern. Das heißt, gerade dann, wenn sich das Schutzmäntelchen schön warm anfühlt, sollten Führungskräfte hellhörig werden. Um übertriebene Reaktionsmuster zu durchbrechen, schaue ich mit meinen Coachees darauf, was ihre Führungsstärke ist und ob sie ein gesundes Maß einnimmt. Dazu müssen sie andere regelmäßig um Feedback bitten. Wer über Expertise verfügt, muss Mitarbeitende fragen: Gebe ich genug Freiraum? Wer strategisch führt, muss fragen: Muss ich fokussierter sein und priorisieren wir im Team genug? Wer sehr emotional führt, muss fragen: Wie wirken die Emotionen auf andere ein? Für alle aber gilt: Der Blick von außen und gute Reflexionskenntnisse helfen aus der Zwangsjacke. Souverän ist nur, wer frei ist bei der Wahl seiner Aktionen und nicht getrieben durch das eigene Unterbewusstsein. Führungsgeflüster PROF. HEIDI STOPPER ist eine der gefragtesten C-Level-Coachs. Sie hat viele Jahre als Führungskraft im Personalbereich gearbeitet, zuletzt als CHRO bei ProSiebenSat.1 Media SE. Die Honorarprofessorin der Hochschule Macromedia sitzt in vielen Beiräten und engagiert sich für Frauen im Berufsleben. 63

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