haltensweisen sie im Unternehmen ein Rollenmodell für die Transformation sein könnten. „Durch neues Verhalten der Führungskräfte wird Neugier im Unternehmen erzeugt“, sagt der Psychologe, der bei Lutz von Rosenstiel promoviert hat. „Wir bedienen uns der Erkenntnis, dass Dopamin und Neugier zusammenhängen, und dass es für Lernen und Veränderung hilfreich ist, die Dopaminproduktion anzuregen.“ Die Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften dienten dazu, die Prozesse anders aufzusetzen. „Dopamin aktiviert das Belohnungssystem im Gehirn, und der präfrontale Cortex arbeitet besser“, so Hagemann. „In Abhängigkeit des Neurotransmitter-Mix in Ihrem Gehirn kann man feststellen, ob Sie jemand sind, der viel Druck braucht, um Leistung zu erbringen“, erklärt Hagemann. „Je mehr Testosteron Sie haben, desto mehr hilft Ihnen Druck, um in kognitive Höchstleistung zu kommen“, so der Psychologe. Menschen, bei denen Serotonin dominiert, kämen dagegen schneller in ihre Stresszone. Das habe hohe Relevanz für das Arbeitsumfeld. Zum Beispiel im Team: Ein Testosteron-gesteuerter Teamleiter könne dazu neigen, seine Teammitglieder unter Druck zu setzen. Seine Mitarbeitenden seien aber vielleicht vor allem durch Serotonin gesteuert. Das finde man durch den Test heraus. „Wenn einer eher ein Testosteron-Typ ist, dann beurteilt er möglicherweise alle durch diese Brille“, sagt Hagemann. „Dabei schafften die anderen schon Höchstleistung in einem Bereich, wo er noch im Tiefschlaf ist.“ Das sei ein Augenöffner für den Teamleiter gewesen. Er müsse Druck rausnehmen, damit sein Team in der Lage sei, in seine Höchstleistung zu kommen. „Neuro Color“ sei aber nur einer der Persönlichkeitstests, mit denen man arbeite. Man nutze auch den Big-Five-Fragebogen, Hogan Assessment und den Strength Finder von Gallup. „Wir sehen einen hohen Nutzen in dem neurowissenschaftlichen Führung Instrument Neuro Color, weil er sehr präzise ist“, sagt Hagemann. Dazu gebe es eine Menge wissenschaftliche Arbeiten. Er schickt drei wissenschaftliche Studien, weitergeleitet von Helen Fisher. In einer Studie von 2021 untersuchen israelische Forscher die Effektstärken des Zusammenhangs zwischen dem Test von Fisher und dem Big-Five-Fragebogen. Die Zusammenhänge liegen zwischen 0,3 und 2,2 Prozent Varianzaufklärung – also so gut wie nichts. Die Varianzaufklärung gibt an, welcher Anteil der Varianz des Big-Five-Fragebogens auf die Veränderung des Neuro-Color-Fragebogens zurückzuführen ist. „Das ist einfach peinlich“, resümiert Reinhardt. „Da wird auf Teufel komm raus versucht, einen auf neurobiologischer Basis entwickelten Fragebogen anhand der Big Five zu validieren – was aber nur sehr bescheiden gelingt – und das dann als Testosteron- oder Östrogen-Typ zu verkaufen.“ Erkenntnisse nur begrenzt anwendbar Aufschlussreich ist auch die Einschätzung von Professor Wolf Singer, einemmehrfach preisgekrönten Hirnforscher. Er ist emeritierter Professor amMax-Planck-Institut, bei dem Fabritius laut ihrem Linkedin-Profil 2006 ein Jahr gearbeitet hat. „Ich persönlich stehe dieser direkten Übertragung von neurobiologischen Erkenntnissen auf das Verhalten von Marktteilnehmern skeptisch gegenüber“, schreibt Singer, der zu den weltweit bedeutendsten Neurowissenschaftlern gezählt wird. Zusammenhänge zwischen Neurotransmittern und Verhalten würden fast ausschließlich in Tierversuchen erforscht, und hier gebe es wichtige Erkenntnisse. „Diese legen aber nahe, dass es keine Eins-zu-ein-Beziehung zwischen dem Überwiegen eines bestimmten Transmittersystems und Verhaltensweisen gibt“, erklärt der Hirnforscher. „Die verhaltensbestimmenden Vorgänge im Gehirn sind weitaus komplizierter.“ Hinzu komme, dass sich beim Menschen, anders als im Tierversuch, die Konzentration und Verteilung von Transmittern im Gehirn nur schwer erfassen lasse. „Warum bedarf es dieser Berufung auf spezifische neuronale Prozesse?“, fragt der Neurowissenschaftler. „Verhaltensuntersuchungen sind ebenso valide wie neurobiologische Experimente.“ Was bleibt? Mit Neurowissenschaften und Hirnforschung lässt sich schnell Aufmerksamkeit erringen. Man kann sich positionieren und vor allem Geld verdienen. Doch Hirnforschung ist komplex und kompliziert, die praktische Anwendung nur gering. Rüdiger Reinhardt sieht daher auch Weiterbildungsangebote in Neuroleadership kritisch. „Wenn Sie einem Betriebswirt eine Schnellbleiche in Diagnostik geben, dann erwarten Sie doch auch nicht, dass er ein kompetenter Eignungsdiagnostiker ist“, sagt der Psychologe. Was jemand in Neurowissenschaften lerne, sei allenfalls Handwerkszeug auf der Plausibilitätsebene. Er rät Unternehmen, die Berater und Anbieter von Neuroleadership stets zu fragen: Wie oft haben Sie das schon gemacht? Und weisen Sie nach, dass es funktioniert hat. „Da kommen die meisten schon ins Stottern“, so Reinhardt. „Es geht immer um einen Nachweis von Wirksamkeit, aber der spielt im Managementkontext leider keine so große Rolle.“ BÄRBEL SCHWERTFEGER ist bekannt für ihren kritischen Blick auf Angebote in der Personal- diagnostik. Dass ein Persönlichkeitstest auf neurowissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen soll, hat ihre journalistische Neugier geweckt. Ihre Recherche zeigte auch, dass die Expertinnen und Experten auf diesem Gebiet rar gesät sind. 62 neues lernen – 03/2023
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