52 neues lernen – 03/2023 „Bei Kompetenzprüfungen müssen wir Chat GPT oder andere intelligente Systeme verbannen“, meint Wharton-Professor Christian Terwiesch. Denn dann wären Zertifikate nicht mehr aussagekräftig. Bei den anderen Prüfungsarten kann er sich verschiedene Einsatzszenarien von KI vorstellen. Darüber ist inzwischen an vielen Business Schools eine laufende Debatte entstanden. Wie sie je nach Prüfungsart oder Prüfungsfach mit Chat GPT & Co. umgehen, ist noch nicht abschließend klar. „Wir nehmen Technologien wie Chat GPT sehr ernst und beobachten die Entwicklungen in diesem Bereich sehr genau“, sagt etwa Per Olsson, Dean of Faculty and Research an der ESMT Berlin. Man könne neue Technologien nicht von bestehenden Verfahren ausschließen und solle dies auch nicht tun. Dennoch handle es sich insbesondere bei Chat GPT um einen laufenden und neuen Prozess. „Das erfordert eine genauere Bewertung und weitere Diskussion, bevor wir eine Entscheidung treffen können, die sich umfassend auf unser Prüfungsverfahren, unsere Prüfungen und unser Studienprogramm auswirken wird.“ „In Bezug auf die Lehre überlassen wir die Einschätzung derzeit den Dozentinnen und Dozenten und das klappt auch sehr gut“, berichtet Professor Jens Wüstemann, Präsident der Mannheim Business School. Schließlich beschäftigen sich alle Lehrenden mit dem Thema. Es herrsche Einigkeit darüber, dass Aufgabenstellungen, die grundsätzlich von einer KI beantwortet werden können, nicht mehr zeitgemäß sind. An der Mannheim Business School beziehen sich laut dem Präsidenten ohnehin viele Prüfungsleistungen auf Fragestellungen aus der Praxis, die häufig als Teamaufgaben daherkommen. Dabei stoße die KI bisher an ihre Grenzen und könne bestenfalls bei der Recherche oder Formulierung unterstützen. Dass Chat GPT nun die Thesis am Ende des MBA-Studiums schreiben könnte, muss man in Mannheim nicht befürchten. Denn zumindest in diesem Studiengang ist keine Abschlussarbeit zu schreiben. Studierende müssen vielmehr ein „Business Master Project“ in Gruppen bearbeiten, in dem sie entweder für eine komplexe unternehmerische Fragestellung eine eigene Lösung entwickeln oder einen eigenen Businessplan erstellen. Zulassung: Weg mit dem Motivationsschreiben Aber im Zulassungsbereich hat die Mannheim Business School reagiert und ist von einem allgemeinen Motivationsschreiben, die eine KI problemlos generieren kann, zu anderen Methoden »Wir nehmen Technologien wieChat GPT sehr ernst und beobachten Entwicklungen in diesemBereich sehr genau.« Per Olsson, Dean of Faculty and Research ESMT Berlin übergegangen. „So verlangen wir eine Selbstreflexion, in der Bewerberinnen und Bewerber überzeugend darlegen müssen, warum unser Programm und unsere Institution zu ihnen und ihrer Lebenssituation passen.“ In diese Richtung gehen auch andernorts die Reaktionen, zum Beispiel an der Goizueta Business School der Emory University. Die Zulassungsleiterin Melissa Rapp hat die Qualität von Chat GPT beim Verfassen von Aufsätzen laut dem Online-Portal Poets & Quants (P&Q) dazu veranlasst, künftig bei der MBA-Bewerbung mehr Wert auf ein Video-Interview zu legen. Immersive Case Studies in Sicht Künftig könnte mit Chat GPT auch die klassische „Case Study“ ein Update bekommen. Lehrkräfte an Business Schools äußern sich dahingehend, dass sie mit immersiven „Case Studies“ experimentieren möchten. So ist es denkbar, dass diese sich zum Rollenspiel entwickeln. Die Idee: Studierende treten mit imaginären Charakteren der Fallbeispiel-Unternehmen in Austausch und erhalten personalisierte Antworten. „Chat GPT könnte auf E-Mails antworten, als wäre es Alicia, die Betriebsleiterin eines Werks“, ließ sich der stellvertretende Dekan der Insead Business School Peter Zemsky diesbezüglich auf P&Q zitieren. Weg mit »dummen« Fragen Was die Abschlussnoten von Studierenden betrifft, könnte künftig mit der Weiterentwicklung von KI ein Bedeutungsverlust einhergehen. Schon heute ist es vielen Lehrkräften ein Dorn im Auge, dass sie formale Prüfungen durchführen und Noten vergeben müssen. Die Aussagekraft, ob jemand sich damit auch in der Praxis bewährt, scheint fraglich. So könnte KI zumindest dazu führen, die Prüfungen „menschlicher“ zu gestalten. KI versagt bisher dort, wo systemisches Denken gefragt ist und nicht nur eine Neukombination von vorhandenemWissen. Da scheint Chapt GPT in absehbarer Zeit nicht mithalten zu können – auch bei der Formulierung von Prüfungsfragen nicht. „Wenn ich eine Aufgabe generiere, dann sollte die schon zum Großteil korrekt sein“, findet zumindest Wharton-Professor Christian Terwiesch. Variationen herstellen – das sei möglich. Doch da das System bisweilen Dinge frei erfinde, müsse man sehr viele Vorschläge durchgehen. „Die Zeitersparnis wäre gering.“
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