Personalmagazin - Neues Lernen 3/2023

V or einiger Zeit haben wir Organisationsprobleme in einem großen Technologieunternehmen untersucht. Es ging zunächst um persönliche Diskrepanzen und Spannungen zwischen den beteiligten Bereichen. Schnell war aber klar, dass die Ursache des Problems an völlig anderer Stelle zu finden war. Die Softwareentwickler und -entwicklerinnen des Technologieunternehmens waren für alle Produkte und Projekte des Hauses zuständig. Wie für die Softwareentwicklung üblich, arbeiteten sie nach Scrum. Neue Projekte wurden entsprechend von Product Ownern in ihren Anforderungen definiert, priorisiert und von den Entwicklungsteams in Sprints abgearbeitet. Doch trotz dieser vermeintlich klaren und eingeübten Prozesse kam es zu wiederkehrenden Spannungen zwischen den Product Ownern und den Entwicklungsteams. In Priorisierungsmeetings verhandelten alle Product Owner darüber, welche Development-Ressourcen wie eingesetzt werden sollten – obwohl Product Owner eigentlich nicht für solche Fragen der Gesamtstrategie zuständig sind. Nachfragen, wie angesichts knapper Ressourcen und enger Zeitvorgaben zu priorisieren sei, wurden von der Geschäftsführung mit der vagen Auskunft abgewimmelt, „alles“ sei wichtig. Die Entscheidung über die Ressourcen wanderte so von der Formalität einer strategischen Entscheidung der Geschäftsführung in die Informalität im Unterholz der Organisation: Plötzlich standen Bereichsleitungen bei den wesentlich rangniedrigeren Product Ownern und Softwareentwicklern auf der Matte, mit der höflich oder schroff formulierten Aufforderung, ihr Projekt vorzuziehen. Diese leicht chaotische Form der Entscheidungsfindung per Zufall, Gefälligkeit, Zeitdruck oder Durchsetzungskraft einzelner Personen ist selbstverständlich konfliktträchtig. Die Product Owner wurden zum Puffer zwischen der verantwortungsverweigernden Geschäftsführung, den konkurrierenden Ansprüchen der unternehmensinternen Kunden und den Entwicklerteams. In ihrer Hilflosigkeit erhöhten die Product Owner den Arbeitsdruck der Entwicklerteams, mit der Folge, dass die Entwickler und Entwicklerinnen zwar nicht schneller entwickelten, aber schnell und zahlreich kündigten. Der aus Geschäftsführungsperspektive angenommene Konflikt zwischen Personen und Teams war in Wirklichkeit ein relativ durchsichtiger Konflikt um die schwierige Zuteilung der knappen Ressource Arbeitskraft. Die interne Konkurrenz um knappe Ressourcen und andere Zweckwidersprüche in einer Organisation sind unvermeidbar. Es ist Aufgabe der Organisationsspitze, sie zu integrieren und Entscheidungen über Priorisierung zu treffen – oder sich zumindest an formal anderswo getroffene Entscheidungen zu Prioritäten zu halten. Weicht sie dieser Aufgabe aus, verlagert sie die ungelösten Konflikte mit hohen Reibungsverlusten in die Informalität und belastet damit die handelnden Personen im Mittelmanagement. Systemblick DR. JUDITH MUSTER ist Partnerin bei Metaplan und akademische Mitarbeiterin an der Universität Potsdam. Sie ist überzeugt, dass Organisationen nicht in erster Linie aus Menschen bestehen, sondern aus Strukturen, Kommunikationswegen, formalen Regeln und Mitgliedern mit bestimmten Organisationsrollen. Foto Alexandra Kern Genauer hinsehen Wenn Konflikte in Teams entstehen, sucht die Organisationsleitung oft reflexartig nach zwischenmenschlichen Problemen. Dabei liegt die Ursache oft in der höheren Entscheidungsebene. Text: Judith Muster Illustration: Tina Berning 41

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