Personalmagazin - Neues Lernen 3/2023

Danach ebbt das Interesse wieder ab, obwohl Alltagsrassismus ein kontinuierlicher Missstand ist, der weit über den Tag des Anti-Rassismus für viele Menschen Alltag ist. Gleichzeitig hat das Thema auch mehr Aufmerksamkeit in Unternehmen erlangt durch Compliance-Bemühungen. Gerade international tätige Unternehmen stehen dadurch mehr unter Druck, ihre Verantwortung wahrzunehmen und Sanktionen bei Compliance-Verstößen aufgrund von Diskriminierung zu verhängen. Wir können eben nicht nur Sonnenschein-Diversity betreiben, sondern müssen auch Stellung beziehen, wenn es Vorfälle von Rassismus gibt. Sie selbst gehen mit Ihrem Lebensweg offen um. Sie sind mit 14 Jahren aus Afghanistan geflüchtet und nach Deutschland gekommen, wo Sie später Ihr Jurastudium absolviert haben. Inwiefern haben Sie schon Rassismus erfahren? In den 90er-Jahren, als es zu den rassistischen Vorfällen in Hoyerswerda kam, wurde ich auf der Straße von Neo-Nazis rassistisch beleidigt und auch nachts bedroht. Das hat mich natürlich geprägt und das werde ich auch nie vergessen. Solch eine unmittelbare Diskriminierung habe ich aber später – zum Glück – nicht mehr erlebt. Das hängt sicherlich damit zusammen, dass ich mit meinem Jurastudium in einem Umfeld war, in dem man für das Thema „Rassismus“ schon sensibilisiert war – oder zumindest wusste, wie man das so verschleiert, dass man nicht entlarvt wurde. Aber mittelbar habe ich Diskriminierung auch bei der Arbeit erfahren: Dass andere mir mit mehr Skepsis begegnen, ich immer mehr leisten und mich beweisen muss und keinen Vertrauensvorschuss bekomme. Für bestimmte Abweichungen im Lebenslauf musste ich immer mehr Erklärungen geben als andere Bewerber. Dass ich einen Job aufgrund von Diskriminierung nicht bekommen hätte, habe ich so konkret aber nicht erfahren – nur die mittelbare Diskriminierung und Skepsis mir gegenüber. Das begleitet mich die ganze Zeit. Und das hört auch nicht auf – trotz allem, was sich in der Gesellschaft schon getan hat. Es gibt in Deutschland aufgrund der gewachsenen Netzwerke eine gläserne Decke nicht nur für Frauen, sondern auch für Menschen mit anderer sozialer Herkunft. Und wie reagieren Sie persönlich, wenn Sie Rassismus erleben? Ich muss offen zugehen, obwohl ich mich viel mit dem Thema beschäftige, bin ich dann immer erst mal fassungslos und kann keine schlagfertige Antwort geben. Da spielt auch ein gewisser Minderwertigkeitskomplex mit hinein – dass ich für mich nicht das gleiche Recht beanspruche wie andere. Das Selbstbewusstsein, das Menschen, die in der zweiten oder dritten Generation hier leben, oft ausstrahlen, wünsche ich mir manchmal auch. Sie haben eine Selbstverständlichkeit entwickelt zu sagen, dass Deutschland ihre Heimat ist – egal, was andere sagen. Ich bin zwar Deutscher, fühle mich auch wie ein Deutscher, aber andere sehen mich nicht als Deutschen. Was empfehlen Sie anderen Menschen, die Rassismus bei der Arbeit erfahren? Wie kann man reagieren und auch HR einbinden? Betroffenen rate ich, auf keinen Fall die Augen zu verschließen, sondern direkt das Gespräch zu suchen. Wenn man merkt, dass kein Dialog stattfinden kann, sollte man den Vorfall sofort melden – entweder über die Antidiskriminierungsstelle, den Sozialpartner oder die gleiche oder nächst höhere Managementebene im Unternehmen. Heute sollten wir in den meisten Unternehmen so weit sein, dass ein klares „Nein“ nicht nur toleriert, sondern gefördert wird. Als HR-Bereich haben wir natürlich eine große Verantwortung dafür, dass wir bei Vorfällen schnell und konsequent reagieren. Ich unterstütze auch die Initiative „Love HR – hate Racism“. Von welchen Vorfällen sprechen wir? Wie äußert sich Rassismus heute konkret am Arbeitsplatz? Glücklicherweise geschieht das nicht mehr so offen wie früher und vor allem nicht mehr ohne Konsequenzen – was es aber auch nicht besser macht. Das hängt natürlich auch stark von dem Bereich und der Branche ab, in denen man arbeitet. Mittelbarer Rassismus ist meiner Meinung nach aber immer noch sehr präsent in der Gesellschaft und somit auch in den Unternehmen. Daneben gibt es auch unbeabsichtigte Diskriminierung. Wenn es etwa um unbewusste Vorurteile oder fehlende Sensibilisierung geht. Was kann man dagegen überhaupt tun? Wie sensibilisieren Sie bei SAP die Mitarbeitenden? Hier sind sicherlich Unconscious-Bias-Workshops sehr gut. Sie zeigen auf, was diskriminierend oder rassistisch ist – ohne dass der Zeigefinger erhoben wird. Bei SAP sind sie für unsere Manager und Managerinnen verpflichtend und die Mitarbeitenden im Recruiting nehmen regelmäßig an solchen Workshops teil. Dazu haben wir auch ein laufendes Training mit dem Titel „Is it okay?“ – da ist also der Titel der Veranstaltung schon die Einladung zum Dialog. Zum Anti-Rassismus-Tag haben wir zum Beispiel einen Raum geschaffen, bei dem „Betroffene“ Fragen CAWA YOUNOSI ist Jurist und seit 2018 Head of People Germany bei SAP. Bei Linkedin zählt er zu den »Top Voices« und auf der vom »Personalmagazin« erstellten Liste der »HR Influencer« belegt er Platz 1 unter den HR-Verantwortlichen. Er setzt sich unter anderem für die Initiative »Love HR – Hate Racism« ein. 24 neues lernen – 03/2023

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