Personalmagazin - Neues Lernen 3/2023

zu steigern. Indem man einerseits einige grundlegende Prinzipien bei der Gestaltung beachte (siehe Kasten oben) und andererseits strukturell auf Prozessebene überlege, was man tun könne, um Bias-sensible Entscheidungen anzustoßen – darunter auch Nudges: „Ein Beispiel: Wenn man bei einem schwarzen Bewerber im Interview unsicher ist, ob man gerade einer Bias unterliegt, versucht man ein Reframing – man fragt sich: „Wie würde ich urteilen, wenn der Bewerber weiß wäre?“ Daneben führt er zwei weitere Techniken auf Prozessebene an: 1. Standardisieren Je mehr Prozesse standardisiert sind, umso mehr bleibt man beim Wesentlichen und lässt sich nicht von Bauchgefühl oder Biases ablenken. Beispiel: ein standardisierter Fragenkatalog für Interviews mit Bewerbenden. 2. Reflexionsschleifen einbauen Im Arbeitsalltag muss man sich immer wieder fragen: „Habe ich das Richtige entschieden? Das lässt sich mit dem Vier-Augen-Prinzip oder Checklisten umsetzen. Beispiel: im Recruiting den ersten Eindruck aufschreiben und dann reflektieren, welche Relevanz diese Beobachtung nun überhaupt für das Urteil hat. „Zudem bauen wir oft das Thema „Mikroverhalten“ in unsere Workshops mit ein. Dabei geht es darum aufzuzeigen, dass man schon mit Details in Sprache oder Verhalten unbewusst diskriminiert.“ Als Beispiel nennt Wondrak Aussagen in Gesprächen wie „Du siehst ja gar nicht schwul aus. Oder: „Dass du schon arbeiten gehst, obwohl du ein kleines Kind zu Hause hast.“ Oder: „Woher kommst du eigentlich?“ „Hier muss man zwischen Absicht und Wirkung trennen und ein Gespür dafür entwickeln, welche Aussagen in welchen Situationen welche Wirkung haben.“ Für Mikroverhalten gebe er in der Regel eigene Schulungen, die dieses Thema im Sinne von Alltagsrassismus aufgreifen. „Die Grenze zu Anti-Rassismus-Trainings ist hier fließend – da geht es dann noch mehr um echte, bewusste Vorbehalte.“ Schmaler Grat zu bewusster Diskriminierung An dieser Stelle schränkt auch Julia Bindrich ein: „Unconscious Bias und Rassismus sind Themen, die aufeinander aufbauen, aber nicht unbedingt zusammengehören. Denn bei Ersterem geht es darum, in den Dialog zu treten und Inklusion bewusst zu fördern. In Anti-Rassismus-Trainings geht es um ganz andere Situationen – um bewusste, offene Diskriminierung.“ Genau an dieser Stelle setzt Tupoka Ogette an. Sie ist eine der bekanntesten Anti-Rassismus-Trainerinnen in Deutschland und Autorin der Bücher „Ein rassismuskritisches Alphabet“ und „Exit Racism“. Sie stellt fest, dass sie für ihre Trainings seit zwei bis drei Jahren neben KMUs auch Anfragen zur Auseinandersetzung mit Rassismuskritik von großen Konzernen erhält – der umgekehrte Trend zu den Diversity-Schulungen. Ihre Sensibilisierungstrainings beginnen im Grunde auch mit einem Aha-Effekt, wenn es darum geht, bewusst zu erkennen, welche Privilegien Menschen aufgrund einer vorherrschenden Hautfarbe und Ethnie haben. Sie geht jedoch vielmehr in die Tiefe und vermittelt das Wissen um historischen Rassismus: „Es geht darum zu verstehen, dass wir alle von rassistischer Sozialisierung betroffen sind.“ Ob ihre Trainings zur Vielfalt in Unternehmen beitragen und nachhaltige Wirkung zeigen, sei dabei stark abhängig vomWillen der Unternehmen: „Wenn Rassismuskritik nur als Trend, „Nice to Have“ oder „Problem der anderen“ gesehen wird, ist ein Workshop für die Teilnehmenden vielleicht ein „Eye Opener“, aber für das Unternehmen nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Es braucht immer eine Gesamtstrategie und ein Verständnis darüber, dass es intrinsischer Teil der Unternehmensphilosophie sein muss. Es gibt den menschenrechtlichen Aspekt – das Recht auf ein Rassismus-freies Leben – und die Unternehmensperspektive: Weniger Rassismus in allen Ebenen führt dazu, dass Unternehmen produktiver und innovativer sind.“ Gleichzeitig gilt für Tupoka Ogette sicherlich genauso wie für Julia Bindrich und Manfred J. Wondrak, dass jeder Einzelne, der Vielfalt und Inklusion mitbedenkt, zählt. So lautet auch der pragmatische Ansatz von Kohl-Boas zur Wirksamkeit der Workshops: „Wenn jemand einige Wochen nach demWorkshop sagt, „Moment, hier lasse ich mich gerade von meinen Biases blenden“ – dann war das ganze Training schon sinnvoll.“ Tipps für mehr Wirksamkeit von Bias-Trainings 1. Formulieren Sie realistische Erwartungen. 2. Setzen Sie auf Freiwilligkeit. 3. Planen Sie ein mehrstufiges Lernkonzept. 4. Sichern Sie den Praxisbezug. 5. Seien Sie vorsichtig mit Anklagen. 6. Integrieren Sie das Thema in Ihre Prozesse und Systeme. Quelle: Anti-Bias.eu Nudges: Subtile Anstupser, um Verhalten ohne Druck zu ändern. 19 Fokus

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==