Personalmagazin - Neues Lernen 3/2023

„Unconscious Bias“ ist das Forschungsobjekt vieler psychologischer Studien. Inzwischen zählt die Wissenschaft schon mehr als 170 verschiedene Biases, wie Wondrak erklärt. Er ist auch Gründer der Plattform Anti-Bias.eu, auf der die verschiedensten Biases und ihre Effekte aufgelistet sind – der wohl bekannteste darunter ist der Halo-Effekt: „Die Neigung, von beobachteten beziehungsweise bekannten Merkmalen auf unbekannte zu schließen und so einen assoziativen Hof um die bestehende Beobachtung zu bilden. Also beispielsweise, wenn jemand, der eine attraktive Person sieht, annimmt, dass diese auch intelligent, fleißig und engagiert ist, noch bevor man deren Fähigkeiten beurteilen konnte.“ Der Proximity-Bias sei ein Bias, der aktuell sehr sichtbar werde, erklärt Julia Bindrich, Geschäftsführerin des Beratungs- und Trainingsunternehmens für Diversity & Inclusion, ICU net: „Das ist die Tendenz, Menschen positiver zu bewerten, die uns ähnlich, aber auch räumlich und zeitlich näher sind. Vielen Mitarbeitenden in international tätigen Unternehmen ist nicht bewusst, dass sie Menschen aus anderen Zeitzonen, die sich remote zuschalten, benachteiligen, während sie die Kolleginnen und Kollegen vor Ort bevorzugen.“ Gerade das zweite Beispiel zeigt, dass die Biases sich nicht nur auf die Vielfaltsdimensionen beziehen, sondern unterschiedlichste Attribute im Fokus stehen, die die Wahrnehmung und das Urteilsvermögen beeinflussen. Trotzdem ist die Bewusstmachung dieser psychologischen Effekte wichtig, um Inklusion zu ermöglichen. „Unconscious Biases wirken sich auf alle Dimensionen von Diversity aus, sofern sie nicht bewusst aufgezeigt und bei Entscheidungen berücksichtigt werden. Deshalb ist es eine aktive Auseinandersetzung mit den Vor- und Nachteilen von Unconscious Bias unabdingbar“, ist bei den Empfehlungen auf der Webseite der Charta der Vielfalt zu lesen. „Um eine inklusive Unternehmenskultur zu fördern, braucht es Anti-BiasMaßnahmen, die das Unbewusste bewusst machen“, bestätigt Wondrak. „Nur so kann das Verhalten der Mitarbeitenden grundlegend verändert werden.“ Methode: Unconscious-Bias-Workshops „Als Gesellschaft reden wir seit Jahren über Diversity & Inclusion und wundern uns, warum wir eigentlich keine echten Fortschritte machen bei dem Thema“, erklärt Frank Kohl-Boas. „Im AGG steht ja eigentlich, wie man sich verhalten oder auch nicht verhalten sollte. Wenn wir alle gesetzestreu sind, müsste das alles umgesetzt sein. Der Rückschluss ist also, dass es beim Thema „Inklusion“ um etwas geht, das uns in der Zusammenarbeit trotz guter Intention nicht so gelingt, wie wir das gerne hätten. Hier kommt auch „Unconscious Bias“ ins Spiel“, betont Kohl-Boas, der selbst Unconscious-Bias-Trainings konzipiert und leitet. „Unconscious Bias als Konzept erkennt an, dass alle Menschen sich sofort und unbewusst ein Urteil bilden. Wenn wir nicht alles so schnell einordnen könnten, wären wir auch nicht lebensfähig. Wir müssen akzeptieren, dass wir solche unbewussten Voreingenommenheiten haben und dass niemand daran Schuld hat. Die Aufgabe von HR ist es, diese Biases abzuschwächen.“ Kohl-Boas gibt seine Tipps zur Reduzierung von „Unconscious Bias“ regelmäßig weiter – zuletzt in einemWorkshop beim Personalmanagementkongress 2022 in Berlin. „Jeder kann eigentlich einen Unconscious-BiasWorkshop erstellen“, motiviert er zum Nachmachen. Sein wichtigster Tipp: „Es fängt schon mit der Einladung an. Wenn da in der Überschrift steht „Warum Frauen nicht in Führung kommen“, dann mutmaßen Männer schon, dass sie belehrt werden sollen. Eine gute Einladung spricht alle Teilnehmenden an und macht sie auf die Inhalte neugierig. Und zu Beginn eines Workshops geht es dann darum, Akzeptanz für unser menschliches Verhalten zu schaffen Impliziter Assoziationstest Testen Sie Ihre »Unconscious Biases« selbst: Unter implicit.harvard.edu/ implicit/germany/takeatest.html sind zehn Tests zu unterschiedlichen Merkmalen wie Alter, Hautfarbe, Gewicht oder auch Wessi-Ossi verfügbar. Hier müssen Begriffe und Bilder in kurzer Zeit zugeordnet werden. Die Reaktionszeit zeigt an, wie stark die Biases ausgeprägt sind. und keine Schuldfrage aufzumachen.“ Fasst man seine Ratschläge mit denen von Julia Bindrich, die viel Erfahrung in der Konzeption und Durchführung von Unconscious-Bias-Trainings hat, zusammen, ergibt sich ein grundlegender Aufbau für Trainings zu „Unconscious Bias“: 1. Einführung ins Thema Zu Beginn gilt es, die Teilnehmenden an Bord zu holen und – ohne Zeigefinger – aufzuzeigen, dass alle Menschen Biases in sich tragen – was nicht immer negativ ist. Aber jeder und jede sollte sich dessen bewusst sein. Die Schilderung einer konkreten Erfahrung oder alltäglichen Situation dient hier als Aha-Effekt. 2. Verständnis schaffen und Wissensvermittlung Was genau sind „Unconscious Biases“, welche Effekte haben sie, wie beeinflussen sie Bewertungen und Entscheidungen? Welche Rolle spielen sie für Diversity & Inclusion im Unternehmen und welche Vorteile bringt ein diverses, inklusives Unternehmen? Diese Fragen werden im zweiten Schritt geklärt, um den Sinn des Trainings zu verdeutlichen. 3. Bewusstmachung der eigenen Prägung Die Teilnehmenden reflektieren ihre eigenen Erfahrungen und öffnen sich gegenüber den anderen im Training – gerade auf Ebene der Führungskräfte ein schwieriger, aber wichtiger Schritt. Die Trainerinnen und Trainer unterstützen hier durch das Preisgeben eigener Erfahrung mit ihren Biases. 17 Fokus

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