Personal quarterly 1/2024

43 01 / 24 PERSONALquarterly auf die sog. Methode kritischer Ereignisse zurück. In dieser Methode wird die Führungskraft gebeten, konkrete Erlebnisse mit Mitarbeitenden zu schildern (sog. kritische Ereignisse) und diese so detailreich wie möglich zu beschreiben. Durch diese persönliche Reflexion der Führungskräfte wird vermieden, dass Führungskräfte gängige Stereotypen reproduzieren und stattdessen reale Verhaltensweisen von Mitarbeitenden berichten. Die Interview-Antworten werteten wir mittels der „Topic-Modelling“-Methode aus, ein in der (Führungs-)Forschung zunehmend verbreiteter Ansatz des maschinellen Lernens, um zentrale Themen in großen Textsammlungen zu finden. Dabei stützt sich diese Textanalyse-Methode nicht wie in gängigen Textauswertungen auf die (zumindest in Teilen oft) subjektive Interpretation der Forschenden, welche aus Interviewdaten wiederkehrende Themen zu identifizieren suchen. Stattdessen basiert „Topic Modelling“ auf einem komplexen mathematischen System, dass die semantische Nähe von Worten berechnet. Durch diese objektive Auswertungsmethode werden Worte zu verschiedenen Themengebieten geclustert, welche wiederum die wichtigsten Inhalte einer Textsammlung repräsentieren. Die auf diese Art und Weise vollzogene Analyse unserer Interviewtexte zeigte, dass sich fünf Formen des renitenten Mitarbeitendenverhaltens unterscheiden lassen. Hierbei handelt es sich um: (1) überzogenes Selbstbild, (2) übermäßige Kontaktsuche/-vermeidung, (3) Minimierung des Aufwands, (4) gefühlsbetont schwankende Kommunikation, (5) Untergrabung der Teamstruktur. Im Folgenden erläutern wir die fünf Formen ausführlicher mit ihren jeweiligen Unterkategorien. Überzogenes Selbstbild Im englischen mit „Entitlement“ beschrieben, bezieht sich diese Kategorie auf ein überzogen positives Selbstbild der Mitarbeitenden mit durch die Führungskraft als überhöht wahrgenommener Anspruchshaltung. 17,17 % der analysierten Daten wiesen Hinweise auf diese Form renitenten Mitarbeitendenverhaltens auf, wobei folgende Unterkategorien festgestellt werden können: das Bedürfnis, immer Recht haben zu müssen; eine übertriebene Selbsteinschätzung; das Infragestellen von Entscheidungen der Führungskraft; die Überbetonung eigener Probleme; das Herabsetzen anderer, um selbst besser dazustehen, sowie der Schutz des eigenen positiven Selbstbilds durch Lügen. Bspw. beschrieben Führungskräfte in den Interviews Mitarbeitende, die „sich selbst für den/die einzige hielten, die wirklich arbeiten“, oder solche, die Anweisungen nicht befolgten, indem „immer der Klassiker: Ja, aber wir könnten doch ...“ als Reaktion auf Arbeitsaufträge der Führungskraft verwendet wurde. Übermäßige Kontaktsuche/-vermeidung Diese Kategorie bezieht sich auf das Ausmaß der Kontaktsuche der Mitarbeitenden, die durch die Führungskraft als unangemessen viel oder wenig wahrgenommen wird. In 15,83 % der analysierten Daten haben Führungskräfte Facetten eines solchen Verhaltens beschrieben, das sie subjektiv als unangemessen empfunden haben. Dabei lassen sich die beschriebenen Verhaltensbeispiele in folgende Unterkategorien einordnen: die kontinuierliche Suche nach Interaktion und Nähe zur Führungskraft, das ständige Wahren einer übermäßigen Distanz zur Führungskraft sowie der plötzliche Wechsel zwischen Nähe und Distanz und damit die Schaffung einer uneindeutigen Beziehung zur Führungskraft. Bspw. zeigten Mitarbeitende solches Verhalten nach Beschreibungen der interviewten Führungskräfte durch „ständiges Fragen, wie sie genau arbeiten sollen“, oder durch Vermeiden, mit der Führungskraft zu sprechen, und „einfach gehen“. Minimierung des Aufwands Verhaltensweisen, die in die Kategorie „Aufwandsminimierung“ fallen, wurden in 23,23 % der analysierten Textdaten aus den Interviews beschrieben. Es handelt sich um die Beschreibung von Verhaltensweisen von Mitarbeitenden, die in den Augen der Führungskraft darauf abzielen, die eigene Arbeitslast auch zulasten anderer (der Führungskraft oder Teammitgliedern) zu verringern. Die Schilderungen der Führungskräfte lassen sich in folgende Unterkategorien einteilen: ein starres Festhalten der Mitarbeitenden am Status quo; das absichtliche Abliefern schlechter Leistung (im englischen auch „intentional underperforming“ genannt); die Täuschung der Führungskraft mit falschen Informationen und das Weiterdelegieren der eigenen Aufgaben an andere Teammitglieder oder an die ABSTRACT Forschungsfrage: Wie lassen sich verschiedene Formen des renitenten Verhaltens von Mitarbeitenden klassifizieren? Wie häufig erleben Führungskräfte die Formen und unterscheiden sich diese in der eingeschätzten Destruktivität? Methodik: 40 Interviews und Befragung von 1.229 Führungskräften. Auswertung mit Methoden des maschinellen Lernens und Korrelationsanalysen. Praktische Implikationen: Bei renitentem Mitarbeitendenverhalten ist die Ursachenidentifikation wichtig. Überreaktionen der Führungskraft können durch Umdeutung von Renitenz als Herausforderung und kollegialen Austausch reduziert werden.

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