PERSONALquarterly 01 / 24 42 NEUE FORSCHUNG_FÜHRUNG In der Führungsforschung geht es vorrangig um das Verhalten der Vorgesetzten. Unzählige Forschungsarbeiten befassen sich damit, wie Führungskräfte ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter inspirieren und motivieren sollen. In jüngerer Zeit finden sich auch immer mehr Ausführungen dazu, was das Leitungspersonal besser unterlassen sollte. So gibt es bspw. einen umfangreichen Forschungsstrang zu destruktiver (Walter, 2015) oder ausnutzender Führung (Schmid et al., 2019). Aber was erleben eigentlich Führungskräfte im täglichen Umgang mit ihren Mitarbeitenden? Welche Formen renitenten Verhaltens begegnen ihnen vonseiten ihrer Mitarbeitenden? Renitentes Verhalten wird umgangssprachlich auch mit den Begriffen widerspenstig, bockig, starrsinnig, störrisch oder trotzig beschrieben. Während nahezu jede Führungskraft zahlreiche Anekdoten zu renitenten Mitarbeitenden teilen kann, gibt es in der Forschung überraschend wenige Studien zu diesem Thema. Das ist erstaunlich, denn die Auswirkungen renitenten Verhaltens von Mitarbeitenden beschreiben die meisten Führungskräfte als gravierend: Sie erleben Stress, Überforderung oder auch die unterschwellige Angst, zur Arbeit zu kommen. Ziel unserer Forschung war es entsprechend, dem Phänomen systematisch auf den Grund zu gehen. Renitentes Verhalten von Mitarbeitenden Wie Führungskräfte ihre Mitarbeitenden wahrnehmen, beeinflusst ihre Einstellung und ihr Verhalten gegenüber ebendiesen. Einige ältere Forschungsarbeiten (z. B. Kelley, 1992; Carsten et al., 2010) haben bereits sog. „Typologien“ vorgeschlagen, die eine Einordnung verschiedener Typen von Mitarbeitenden ermöglichen sollen. Die Grundidee war hierbei, den „optimalen“ Typus zu beschreiben, welchen die Führungskraft als idealen Mitarbeitenden erlebt. Das andere Ende des Kontinuums – der renitente Typus von Mitarbeitenden – wurde dabei allerdings eher stiefmütterlich behandelt. Da die Realität von Führungskräften sowohl unterstützende Mitarbeitende als auch renitente Mitarbeitende umfasst, ist es von Bedeutung, diese renitenten Verhaltensweisen ebenfalls zu beschreiben, um ihren Einfluss auf Führungskräfte untersuchen zu können. Die oftmals gewählte Einordnung als negatives oder auch kontraproduktives Verhalten greift hier zu kurz, da renitente Verhaltensweisen Ich bin dagegen! Fünf Formen der Renitenz von Mitarbeitenden Von Anna van der Velde und Prof. Dr. Fabiola H. Gerpott (WHU – Otto Beisheim School of Management) zunächst nur Handlungen beschreiben, deren Konsequenzen nicht notwendigerweise kontraproduktiv sein müssen oder im Gegenteil sogar positive Konsequenzen nach sich ziehen können. So kann die Renitenz von Mitarbeitenden gegenüber einer sich unethisch oder ausbeuterisch verhaltenden Führungskraft bspw. durchaus sinnvoll sein und den Mitarbeitenden selbst in der eigenen Leistungsfähigkeit schützen oder wichtige Warnsignale für das Unternehmen liefern. Um ein differenzierteres Bild zu renitenten Verhaltensweisen zu liefern, stellten wir in der hier vorgestellten Forschung (vgl. van der Velde/Gerpott, 2023) die Frage, welche Verhaltensweisen Mitarbeitende zeigen, um Renitenz gegenüber ihren Führungskräften auszudrücken. Zusätzlich untersuchten wir, wie häufig diese renitenten Verhaltensweisen von Führungskräften erlebt werden und wie stark diese als destruktiv empfunden werden. Explorative Analyse: Interviewstudie Zur Identifizierung verschiedener Formen von renitentem Mitarbeitendenverhalten interviewten wir zunächst 40 Führungskräfte auf Basis einer Gelegenheitsstichprobe im Alter von 29 bis 60 Jahren (50 % weiblich). Alle waren in deutschen Unternehmen tätig, jedoch in verschiedenen Branchen (bspw. Automobilbranche, IT, Gesundheitswesen), um die Generalisierbarkeit der Ergebnisse zu erhöhen. Alle 40 Interviews wurden von uns mittels eines teilstrukturierten Leitfadens geführt. Voraussetzung für das Interview war eine Erfahrung von mindestens zwei Jahren in einer Position mit direkter Personalverantwortung. 35 % der Interviewten arbeiteten seit mehr als zehn Jahren in einer Führungsposition, weitere 35 % gaben eine Führungserfahrung von fünf bis zehn Jahren an. Hinsichtlich der Häufigkeit des Kontakts mit den eigenen Mitarbeitenden berichteten 80 % der Führungskräfte, dass sie sich mehrmals täglich im Austausch befinden, 7,5 % standen einmal täglich mit ihren Mitarbeitenden im Kontakt und 12,5 % gaben an, im Durchschnitt einmal pro Woche mit jedem ihrer Mitarbeitenden in mindestens einer Interaktion involviert zu sein. Um die Teilnehmenden nicht in eine bestimmte Richtung zu beeinflussen, baten wir die Führungskräfte, uns ihre Erfahrungen in Bezug auf sowohl funktionales als auch renitentes Verhalten von Mitarbeitenden zu berichten. Dabei griffen wir
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