Personal quarterly 3/2024

PERSONALquarterly 03 / 24 18 SCHWERPUNKT_STRATEGIC WORKFORCE PLANNING Im Gegensatz dazu bietet das Modell der Protean Career hier einen Ausweg. Es kann und soll genau nicht dazu dienen, individuelle Laufbahnpfade im Detail vorzudefinieren. Stattdessen zeigt es Organisationen und ihren Mitarbeitenden grundsätzliche Herangehensweisen im Umgang mit respektive Haltungen gegenüber persönlicher Entwicklung und neuen beruflichen Herausforderungen. Das bedingt seitens der Organisation und der Mitarbeitenden ein Loslassen von der ohnehin kaum je erfüllbaren Illusion, berufliche Laufbahnen innerhalb der Organisation seien planbar. Stattdessen gibt das Modell beiden Seiten viele Freiheiten. Es zeigt für alle Mitarbeitenden mögliche Herangehensweisen zur Laufbahnentwicklung auf, unabhängig von ihrer Funktion, ihrem beruflichen Hintergrund und ihrem Alter. Es impliziert die Haltung, dass man sich ständig neuen (Lern-)Herausforderungen stellen und nicht „stehen bleiben“ soll, dass Flexibilität gefordert ist und dass persönliche berufliche Werthaltungen von zentraler Bedeutung sind. Dies bietet große Chancen, besonders für Organisationen in einem dynamischen Umfeld und für solche, die aufgrund ihrer Struktur oder Größe wenig klassische „Karrieremöglichkeiten“ anbieten können. Doch auch für Firmen, die bereits Fachlaufbahnmodelle im Einsatz haben, kann es sich lohnen, Elemente der Protean Career in ihre Prozesse einzubinden. Das Modell ermöglicht es, quasi eine „gemeinsame Sprache“ innerhalb der Organisation zu etablieren, wie über Laufbahnen und berufliche Entwicklung gesprochen und wie damit umgegangen wird. Dies wird in der nachfolgenden Case Study skizziert. Case Study 1: Einsatz als konzeptionelles Denkmodell für die Personalentwicklung Eine im Großraum Zürich ansässige, im Bereich Verkehr und Regionalplanung tätige Ingenieurfirma mit rund 150 Mitarbeitenden stand vor einigen Jahren vor einer für diese Branche typischen Herausforderung: Sie suchten einerseits händeringend nach ausreichend qualifizierten Mitarbeitenden, andererseits konnten sie in einer durch flache Hierarchien charakterisierten Organisation ihren Mitarbeitenden keine „traditionellen“ Laufbahnpfade als Entwicklungsperspektive anbieten. Als vermeintlicher Ausweg wurde daher versucht, ein Fachlaufbahnmodell einzuführen. Dieser Versuch scheiterte jedoch an den eingangs geschilderten Herausforderungen bezüglich Organisationsgröße und hoher Komplexität solcher Systeme. Zufällig wurde die Firma durch die Masterarbeit eines ihrer Mitarbeitenden auf das Modell der Protean Career aufmerksam. Die Geschäftsleitung erkannte das Potenzial des Modells sofort. Einerseits konnte anhand der Lernzyklen das große fachliche Entwicklungspotenzial der typischen Laufbahnverläufe in der Firma bildlich aufgezeigt werden – nämlich als vielseitige, individuell gestaltbare, von Projekt zu Projekt sukzessiv aufeinander aufbauende und fachlich immer breiter und komplexer werdende Pfade. Gleichzeitig symbolisierten die Lernzyklen für die Geschäftsleitung auch ein Bild, dass man im Ingenieursberuf und auch als Firma nicht stehen bleiben kann und darf, wenn man beruflich „am Ball“ bleiben möchte, sondern dass man sich immer wieder neuen Herausforderungen stellen muss. So wurde die Protean Career (insbesondere das Element der Lernzyklen) als Denkmodell für die Personal- und Laufbahnentwicklung übernommen. Die Personalverantwortlichen nutzten die Lernzyklen zum Beispiel bei Bewerbungsgesprächen als Illustration für die Laufbahnperspektiven innerhalb der Firma oder bei Standortgesprächen von bestehenden Mitarbeitenden (ähnlich wie in Case Study 3). Somit erübrigte sich für die Firma die Suche nach einem klassischen Fachlaufbahnmodell, da sie dank dem Modell der Protean Career einen Weg gefunden hatte, den Mitarbeitenden aufzuzeigen, welch spannende und vielfältige Entwicklungsmöglichkeiten sie in den verschiedenen Projekten erwarten. Für zahlreiche Mitarbeitende war die neue, dynamische Betrachtungsweise ihrer „Projektlaufbahnen“ wertvoll und motivierend. Sie hatten nicht mehr das Gefühl, ohne hierarchische Aufstiegsmöglichkeiten „stehen zu bleiben“. Solche positiven Reaktionen der Mitarbeitenden – unabhängig von Funktion, Alter, Branche, Bildung et cetera – haben sich im Praxiseinsatz mit dem Modell immer wieder gezeigt. Dies ist nicht selbstverständlich, denn die Grundhaltungen der Protean Career (kontinuierliches Lernen, Klarheit bezüglich eigener Werthaltungen) könnten für Mitarbeitende durchaus bedrohlich wirken, was auch in der Literatur wiederholt kritisiert wurde (Gubler, 2019). Doch wenn das Modell gut eingeführt und erklärt wird, erweist sich dessen Akzeptanz bei unterschiedlichen Personengruppen in der Regel als sehr positiv. Insbesondere die Lernzyklen werden intuitiv sehr gut verstanden und als relevant für die eigene Laufbahn empfunden. Dies illustriert Case Study 2 mit exemplarischen Eindrücken vom Einsatz im Bereich von Lehrpersonen. Case Study 2: Einsatz als Instrument im (Laufbahn-)Coaching von Mitarbeitenden Im Bildungsbereich ist die Rekrutierung von Lehrkräften für viele Schulen eine große Herausforderung. So spannend und abwechslungsreich der Lehrberuf auch sein mag: Die Wahrnehmung bei vielen Lehrpersonen, aber auch in der Öffentlichkeit ist noch stark geprägt vom Image des Lehrberufs als „berufliche Sackgasse“ mit nur sehr begrenzten Entwicklungsmöglichkeiten (Herzog/Herzog/Brunner/Müller, 2007). Fehlende berufliche Perspektiven im Lehrberuf – ob real oder wahrgenommen – führen jedoch zu Unzufriedenheit, was unter anderem zur Folge hat, dass insbesondere Männer den Beruf bald wieder verlassen (Herzog et al., 2007). Daher wäre es für Schulen und Lehrpersonen von großer Bedeutung, die langfristigen Entwicklungsmöglichkeiten im Lehrberuf erkennen und wertschätzen zu können.

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