Personal quarterly 4/2023

MATERIAL-NR. 04000-5070 New Work – Hindernisse und Herausforderungen bei der Umsetzung quarterly PERSONAL 04 2023 | 75. Jahrgang | www.personalquarterly.de Wissenschaftsjournal für die Personalpraxis Die Fakten hinter der Schlagzeile: Braucht die Generation Z andere Führung? S. 54 GUTHIER Multiteaming: Motive, (Neben-)Effekte und Handlungsempfehlungen S.10 BERGER Büroarbeit nach der Pandemie: Konventionelle oder aktivitätsbasierte Arbeitsplätze? S. 34 LAUTERBACH/KUNZE Empowerment-Kultur als Voraussetzung für erfolgreiches New Work S. 22 SCHERMULY/MEIFERT Alter, Erfahrung und Betriebszugehörigkeit sind keine guten Prädiktoren für Arbeitsleistung S. 46 SCHÄFER/SCHÄFER/GOLDMANN Das agile Mindset: Definition, Relevanz und Messbarkeit S. 26 EILERS/PETERS

Data Date! „Daten sind das neue Öl.“ Dieser Ruf beflügelt die Fantasie von Managerinnen und Managern. Das Versprechen lautet: Wer die besseren Daten hat und diese Daten zu lesen weiß, ist dem Wettbewerb eine Nasenlänge voraus. Und kann fundiertere, bessere Entscheidungen treffen. Aber es ist wie mit allen Versprechen – wir sollten genau hinsehen. Ist das alles auch wirklich so, wie wir glauben wollen oder verfallen wir der ultimativen Datenillusion? Und welche Daten haben wir eigentlich? Welche Antworten können wir in ihnen finden? Diesen Fragen gehen wir in unserer Reihe Data Date nach. Alle vier Wochen kurz nach der Mittagspause mit dem Impuls eines Special Guest und im Gespräch mit Ihnen. Wissen & Entscheiden Jetzt anmelden unter www.haufe.de/datadate DIE TERMINE 06.09.2023 Transformation gestalten: VeränderungsMacherin werden Prof. Dr. Simone Kauffeld, Lehrstuhl für Arbeits-, Organisations- und Sozialpsychologie, Technische Universität Braunschweig 04.10.2023 Decision first – data later? Prof. Rob Briner, Professor of Organisational Psychology, Queen Mary University of London 08.11.2023 Fundiertes Führen Prof. Dr. Claudia Buengeler, Professur für Personal und Organisation am Institut für Betriebswirtschaftslehre der CAU Kiel 06.12.2023 Welche Daten sollten HR-Entscheider kennen? Gerhard Fehr, CEO und Gründungspartner der Beratungsgesellschaft Fehr Advice & Partners AG TALK-REIHE

04 / 23 PERSONALquarterly 3 EDITORIAL Rüdiger Kabst Herausgeber PERSONALquarterly Liebe Leserinnen und Leser, klassische Arbeitsmodelle stoßen in unserer digitalen und global vernetzten Welt zunehmend an ihre Grenzen. In einer Zeit, in der Flexibilität und Veränderungsfähigkeit entscheidende Schlüssel zum Erfolg sind, bedarf es einer grundlegenden Neudefinition unserer Arbeitskultur, welche die bisherigen Modelle hinterfragt und den Weg für Neues ebnet. In diesem Heft widmen wir uns dem New-Work-Trend und werfen einen Blick auf die Entwicklungen, Herausforderungen und Chancen. Im Interview mit Boris Langerbein, Chief Innovation Officer der Intilion AG, gewinnen Sie Einblicke in die aktive Auseinandersetzung eines mittelständischen Unternehmens mit dem Thema New Work. Bei New Work spielt das Thema Agilität eine entscheidende Rolle: Karen Eilers und Christoph Peters geben Einblicke, was sich hinter dem Begriff des agilen Mindsets verbirgt und in welchem Zusammenhang es mit der Unternehmensleistung steht. Erfolgreiche Veränderungen erfordern nicht nur das Engagement von einzelnen Change Champions, sondern die Mobilisierung des gesamten Teams, wie der Artikel von Rouven Kanitz, Stefan Berger, Max Reinwald und Hendrik Hüttermann zeigt. Der Literaturüberblick von Stefan Berger untersucht die mit Multiteaming verbundenen Konsequenzen. Carsten Schermuly und Matthias Meifert betrachten die kulturellen Voraussetzungen für New Work und die Studie von Ann Sophie Lauterbach und Florian Kunze beleuchtet die Effekte verschiedener Raumkonzepte in der sich wandelnden Arbeitswelt. Es liegt an uns, die Chancen und Herausforderungen der VUCA-Welt aktiv anzugehen, um die Potenziale von New Work bestmöglich zu gestalten. Dabei sollten wir zu jeder Zeit die Auswirkungen auf unsere Mitarbeitenden im Auge behalten, denn nur so können wir die Arbeitswelt zu einem sowohl produktiven als auch attraktiven Ort machen. Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre. Frederic-Alexander Starmann Universität Paderborn

4 IMPRESSUM PERSONALquarterly 04 / 23 MANAGING EDITORS Prof. Dr. Rüdiger Kabst, Paderborn Prof. Dr. Simone Kauffeld, Braunschweig Prof. Dr. Torsten Biemann, Mannheim Prof. Dr. Claudia Buengeler, Kiel EHRENHERAUSGEBER Prof. em. Dr. Dieter Wagner, Potsdam Gegründet im Jahr 1949 IMPRESSUM Redaktion/Schriftleitung: Prof. Dr. Rüdiger Kabst (Universität Paderborn), Telefon: 05251 602804, E-Mail: redaktion@personalquarterly.de Redaktion/Objektleitung: Haufe-Lexware GmbH & Co. KG, Reiner Straub, Munzinger Straße 9, 79111 Freiburg, Telefon: 0761 898-3113, E-Mail: Reiner.Straub@haufe-lexware.com Associate Review Editor: Frederic-Alexander Starmann, E-Mail: Frederic.Alexander.Starmann@uni-paderborn.de Redaktion/CvD (Chefin vom Dienst): Anja Bek, Telefon: 0761 898-3537, E-Mail: Anja.Bek@haufe-lexware.com. Redaktionsassistenz: Brigitte Pelka, Telefon: 0761 898-3921, E-Mail: Brigitte.Pelka@haufe-lexware.com Disclaimer: Mit Namen gezeichnete Artikel spiegeln nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wider. Texteinreichung: Alle Manuskripte sind an die obige Adresse der Redaktion, bevorzugt die Schriftleitung (redaktion@personalquarterly.de), zu schicken. Für unverlangt eingesandte Manuskripte wird keine Haftung übernommen. Beiträge werden nur nach Begutachtung im Herausgeberbeirat veröffentlicht. Näheres regelt ein Autorenmerkblatt. Dies können Sie anfordern unter: redaktion@personalquarterly.de; zum Download unter www.haufe.de/pq. Verlag: Haufe-Lexware GmbH & Co. KG, Ein Unternehmen der Haufe Group, Munzinger Straße 9, 79111 Freiburg, Telefon: 0761 898-0, Fax: 0761 898-3990, Kommanditgesellschaft, Sitz Freiburg, Registergericht Freiburg, HRA 4408 Komplementäre: Haufe-Lexware Verwaltungs GmbH, Sitz Freiburg, Registergericht Freiburg, HRB 5557; Martin Laqua Geschäftsführung: Isabel Blank, Iris Bode, Jörg Frey, Matthias Schätzle, Christian Steiger, Dr. Carsten Thies, Beiratsvorsitzende: Andrea Haufe; Steuernummer: 06392/11008 Umsatzsteuer-Identifikationsnummer: DE812398835. Leserservice: Haufe Service Center GmbH, Munzinger Straße 9, 79111 Freiburg, Telefon: 0800 72 34 253 (kostenlos), Fax: 0800 50 50 446 (kostenlos), E-Mail: Zeitschriften@haufe.de Anzeigen/Media Sales: Haufe-Lexware GmbH & Co. KG, Niederlassung Würzburg, Unternehmensbereich Media Sales, John-Skilton-Straße 12, 97074 Würzburg; Bernd Junker (verantwortlich), Telefon: 0931 2791-477, E-Mail: Bernd.Junker@haufe-lexware.com; Thomas Horejsi, Telefon: 0931 2791-451, E-Mail: Thomas. Horejsi@haufe-lexware.com Anzeigendisposition: Yvonne Göbel, Telefon: 0931 2791-470, Yvonne.Goebel@haufe-lexware.com Erscheinungsweise: vierteljährlich Internetpräsenz: www.personalquarterly.de Abonnementpreis: Jahresabonnement PERSONALquarterly (4 Ausgaben) 139 Euro inkl. MwSt., Porto- und Versandkosten. Bestell-Nummer: A04000_DIR. Copyright: Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Publikation darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlags bzw. der Redaktion nicht vervielfältigt oder verbreitet werden. Unter dieses Verbot fällt auch die gewerbliche Vervielfältigung per Kopie sowie die Aufnahme in elektronische Medien (Datenbanken, CD-ROM, Disketten, Internet usw.) Layout: Maria Nefzger, Ruth Großer Titelbild: ihsanyildizli/gettyimages.de Druck: Grafisches Centrum Cuno GmbH & Co. KG, ISSN 2193-0589

5 INHALT 04 / 23 PERSONALquarterly SCHWERPUNKT 6 Eine Kultur der Selbstbestimmung? Interview mit Boris Langerbein 10 Multiteaming: Motive, (Neben-)Effekte und Handlungsempfehlungen Dr. Stefan Berger 17 Wie das Zusammenspiel von Change Champions den Erfolg von Wandel beeinflusst Dr. Rouven Kanitz, Dr. Stefan Berger, Dr. Max Reinwald und Prof. Dr. Hendrik Hüttermann 22 Empowerment-Kultur als Voraussetzung für erfolgreiches New Work Prof. Dr. Carsten Schermuly und Matthias Meifert 26 Das agile Mindset: Definition, Relevanz und Messbarkeit Karen Eilers und PD Dr. Christoph Peters 34 Büroarbeit nach der Pandemie: Konventionelle oder aktivitätsbasierte Arbeitsplätze? Ann Sophie Lauterbach und Prof. Dr. Florian Kunze NEUE FORSCHUNG 40 Candidate Experience Management als bekannte Unbekannte in familiengeführten KMU Prof. Dr. Thomas Schäfer, Dr. Björn Schäfer und Prof. Dr. Paul Goldmann STATE OF THE ART 46 Alter, Erfahrung und Betriebszugehörigkeit sind keine guten Prädiktoren für Arbeitsleistung Prof. Dr. Torsten Biemann und Professor Dr. Heiko Weckmüller ESSENTIALS 50 Rezensionen: Richtungsweisendes aus internationalen Top-Journals Johannes Brunzel, Dr. Maie Stein, Frederic-Alexander Starmann SERVICE 54 Die Fakten hinter der Schlagzeile: Braucht die Generation Z andere Führung? 56 Forscher im Porträt: Prof. Dr. Anne Burmeister 58 Den PERSONALquarterly-Fragebogen beantwortet Kai Sponer, BS Hausgeräte GmbH

6 PERSONALquarterly 04 / 23 SCHWERPUNKT_INTERVIEW PERSONALquarterly: New Work steht für einen Paradigmenwechsel in der Art und Weise, wie wir Arbeit begreifen und leben. Bevor wir uns den verschiedenen Facetten und Auswirkungen widmen, interessiert es mich, was du persönlich unter New Work verstehst. Könntest du uns deine Sichtweise dazu erläutern? Boris Langerbein: Für mich ist New Work kein bloßes Schlagwort, sondern eine Lösung für die Entwicklungen, die wir in der Wirtschaft und der Arbeitswelt sehen. Natürlich habe ich mich auch mit Frithjof Bergmann und anderen Experten auf diesem Gebiet beschäftigt. Dennoch ist es wichtig, diese Konzepte auf die aktuelle Zeit zu übertragen. Und ich habe mich relativ früh schon mit diesem Thema der VUCA-Welt auseinandergesetzt. Sobald man diese VUCA-Welt versteht, erkennt man, dass wir ein neues Modell benötigen. New Work ist für mich ein Lösungsansatz, der in erster Linie auf den beiden Säulen Flexibilität und Stabilität basiert. Ambidextrie spielt hier eine große Rolle. Wie schaffe ich es als Unternehmen und Arbeitgeber, gemeinsam mit unseren Mitarbeitenden, in dieser volatilen und unsicheren Zeit flexibel und dynamisch zu bleiben? Zeitgleich dürfen wir die Stabilität nicht aus den Augen verlieren. PERSONALquarterly: Lass uns dort direkt ansetzen. Wie lebt Intilion New Work? Wie habt ihr New Work in eurer Unternehmenskultur verankert? Boris Langerbein: Die Themen Selbstbestimmtheit und Selbstverantwortung spielen eine entscheidende Rolle bei uns. Wir haben uns bemüht, diese in unserer Unternehmenskultur zu verankern und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf diesem Weg zu begleiten. Dabei war es uns wichtig, auch eine Fehlerkultur zu etablieren und stets eine lernende Organisation zu bleiben. Es genügt nicht, wenn nur Einzelpersonen diesen Ansatz verfolgen; er gilt letztendlich für das gesamte Team. Es war eine Herausforderung, den Balanceakt zwischen individueller Verantwortung, Teamdynamik und organisatorischer Struktur zu bewältigen. Wir haben daher großen Wert auf flache Hierarchien gelegt. Um Stabilität zu schaffen und die Selbstwirksamkeit jedes Einzelnen zu stärken, haben wir unseren Unternehmenszweck, also die Energiewende voranzutreiben, in den Vordergrund gestellt. Es ist wichtig, dass jeder daran teilhaben und mitgestalten kann. Dieser Zweck gibt uns auch Halt und Orientierung. Ein Motto wie „Ohne Energiespeicher keine Energiewende“ verdeutlicht unsere Verknüpfung mit dem Thema. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist das Teamgefühl. Bei uns herrscht ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl, das uns dabei unterstützt, auch große Herausforderungen zu bewältigen. Sachthemen lassen sich in der Regel lösen, aber wenn ein Team nicht zusammenarbeitet oder sich spaltet, wird die Lösung zu einer Mammutaufgabe. Deshalb ist es entscheidend, sowohl Flexibilität als auch Stabilität zu wahren. In der Praxis bedeutet dies auch, ein hohes Maß an Vertrauen auszustrahlen, um den Mitarbeitern die notwendige Freiheit zu geben. Vertrauen in die Menschen und das Team ist grundlegend, um eine solche Dynamik zu ermöglichen. Bezogen auf unseren Unternehmenszweck und das Team haben wir auch ein Leitbild formuliert. Dabei haben wir uns mit dem Thema „Vision, Mission und Werte“ auseinandergesetzt. Unter anderem haben wir so unsere Werte in fünf Aussagen aggregiert: Wir sind flexibel, wertschöpfend, nachhaltig, partnerschaftlich und zuverlässig. Ehrlich gesagt war dies nichts Neues, es war bereits in unserem Unternehmen vorhanden. Wir haben es lediglich schriftlich festgehalten. Dennoch hat es dazu geführt, dass wir es uns selbst, unseren Kunden und Partnern immer wieder bewusst machen. Wir möchten uns daran ausrichten. PERSONALquarterly: Das ist wirklich interessant, insbesondere in Bezug auf flache Hierarchien und das starke Team. Gab es spezifische Maßnahmen, die ihr implementiert habt, oder ist das einfach graduell mit dem Wachstum des Unternehmens geschehen, basierend auf dem kommunizierten Purpose in Mission und Vision? Boris Langerbein: Ja, das ist eine wichtige Erkenntnis, dass es sich nicht einfach von oben verordnen lässt. Es geht ein Stück weit um die Kultur und DNA des Unternehmens. Das ist ein interessantes Learning. Ich konnte einen Rahmen und Akzente setzen und Anreize geben, aber letztendlich musste die Kultur sich entwickeln. Es war wichtig, den Raum dafür zu ermöglichen und regelmäßig gemeinsam zusammenzukomEine Kultur der Selbstbestimmung? Das Interview mit Boris Langerbein führte Frederic-Alexander Starmann

7 04 / 23 PERSONALquarterly men und zu reflektieren. Es geht um die richtige Einstellung und Kultur. Es hat sich wirklich graduell entwickelt, da wir ein stark wachsendes Unternehmen sind und regelmäßig innehalten müssen. Es erinnert mich an ein schönes Bild aus Tastaturen, das ich im Heinz Nixdorf Museumsforum gesehen habe. Wenn man davorsteht, sieht man nur die einzelnen Tasten, die jeder täglich bearbeitet, aber wenn man einen Schritt zurücktritt, sieht man das gesamte Bild. Das müssen wir regelmäßig tun. Wir sind hier sehr operativ, alle Macher, aber wenn wir zwischendurch nicht einen Schritt zurücktreten, um das große Ganze zu betrachten, riskieren wir, mit 500 km/h gegen eine Wand zu fahren, weil wir vielleicht doch nach rechts abbiegen müssen. Da sind das 2022 entwickelte Leitbild aus Vision, Mission und Werten sowie unsere veranschaulichte Unternehmensstrategie das, was uns immer wieder das große und ganze Bild beim Zurücktreten ermöglicht. Nur bei diesen Bildern müssen wir regelmäßig, wenn auch in längeren Abständen, prüfen, ob es weiter zu uns und in das Marktumfeld passt. PERSONALquarterly: Wenn wir nun einen Blick in die Zukunft werfen, was habt ihr euch für Veränderungen, in Bezug auf die Arbeitsumgebung und die Arbeitskultur, vorgenommen? Boris Langerbein: Wir haben bereits von Anfang an eine Intilion-Kultur in unserer DNA verankert. Unser Ziel ist es, diese Kultur beizubehalten und uns regelmäßig darauf zu besinnen. Bei der Entwicklung unseres Standorts in Paderborn war mein Ansatz immer, dass alle Maßnahmen einen Zweck erfüllen müssen. Das Team entscheidet, ob etwas zweckdienlich ist oder nicht. Ein Beispiel dafür ist, dass wir bisher keinen klassischen Kicker im Büro haben, da er für uns keine Relevanz hatte. Stattdessen essen wir wahrscheinlich mehr Pizza als andere Unternehmen in unserer Branche. Diese Gewohnheit hat sich entwickelt und wird gut angenommen. Mit unserem Wachstum, von zehn Mitarbeitern vor vier Jahren auf 30 letztes Jahr und jetzt 80, werden wir auch an unserem Büro arbeiten. Die Infrastruktur muss mit dem Wachstum Schritt halten und sich kontinuierlich anpassen. Dabei ist es wichtig, dass im Team Vertrauen besteht und wir bereit sind, Neues auszuprobieren und anzupassen, falls etwas nicht funktioniert. Wir haben uns auch in Bezug auf die digitale und physische Infrastruktur weiterentwickelt. Anstelle von „Büro“ nennen wir es „Ort der Begegnung“, da ich in der digitalen hybriden Welt nicht mehr ständig an einem Ort bin. Dennoch haben wir einen Ort geschaffen, an dem persönliche Begegnungen stattfinden können. Während der Coronazeit waren etwa 20 bis 30 % der Mitarbeiter vor Ort. Nach der Pandemie ist diese Zahl direkt auf 70 % angestiegen. Wir haben bereits vorher Flexibilität und eine digitale Infrastruktur gelebt, und daher war es für uns kein Problem, im Gegensatz zu anderen Unternehmen, wo Mitarbeiter nicht direkt ins Büro zurückkommen, da die MitBORIS LANGERBEIN CINO – Chief Innovation Officer der Intilion AG E-Mail: Boris.Langerbein@intilion.com www.intilion.com Boris Langerbein ist seit 20 Jahren in der Energiespeicherbranche aktiv und startete seinen Werdegang mit dem Studium der Elektrotechnik mit Schwerpunkt Energietechnik. Er durchlief in den letzten Jahren verschiedene Funktionen vom Produktmanager über den Director Corporate Marketing für ein internationales Industrieunternehmen bis hin zum CINO des jungen Unternehmens Intilion. Hier verantwortet er heute in seinem Ressort die Fachbereiche Personalmanagement, IT und Data Management sowie das Business Development und Innovationsmanagement. Schwerpunkte seiner beruflichen Reise sind Transformation, New Work, Start-ups und Kooperationen, New Business Development sowie zukunftsfähige Organisationen.

8 PERSONALquarterly 04 / 23 SCHWERPUNKT_INTERVIEW arbeiter gerne hierherkommen. Sie möchten gemeinsam etwas tun und sich regelmäßig sehen. Wir haben keine Anweisung gegeben. Wir bieten weiter Flexibilität und Remote-Arbeit an, aber die Entscheidung liegt im Team. PERSONALquarterly: Du hast gerade die Entwicklung angesprochen. Es ist interessant zu sehen, wie gut die Rückkehr von mobilen Arbeitsmodellen ins Büro funktioniert und dass die Rückkehr freiwillig erfolgt. Welchen Eindruck hast du davon? Wie haben sich die Mitarbeiter durch die von euch gelebte Kultur und New Work verändert? Boris Langerbein: Man kann praktisch beobachten, wie sich Menschen tatsächlich verändern, manche schneller als andere, je nachdem, wie anpassungsfähig sie sind, insbesondere wenn sie aus einer völlig anderen Arbeitswelt kommen. Selbst Studierende, die direkt von der Hochschule kommen, sind bereits konditioniert. Es ist wie ein Einschwingmodus, der immer wieder stattfinden kann, da sich ständig etwas ändert. Für das Thema Change ist dies ein entscheidender Prozess, um sich immer wieder einzuschwingen und sicherzustellen, dass alle daran teilhaben können. Natürlich ist es nicht immer zu 100 Prozent möglich, aber wenn man es zulässt, funktioniert es gut. Es spielt keine Rolle, wie alt man ist oder woher man kommt. Wie gesagt, manchmal ist es eher eine Frage der Zeit, wie schnell es geht. PERSONALquarterly: Das finde ich sehr spannend. Du sagst also im Grunde genommen, dass es keine großen Unterschiede gibt, ob jemand bereits 20 Jahre im Unternehmen arbeitet oder gerade nach dem Studium einsteigt. Du siehst bei all diesen Personen eine gewisse Veränderung in diesen Prozessen? Boris Langerbein: Man sieht eine Veränderung, und was man erreichen muss, ist ein zweckdienliches Denken. Ich habe u. a. „erfahrene“ Kollegen, die in der Vergangenheit vieles hinterfragt haben und in vielem und in der Tiefe klare Anweisungen geben wollen. Doch nach einigen Diskussionen und Erfahrungen ist das Feedback heute: „Unglaublich, welches Engagement und welche Motivation wir hier haben.“ Das passiert jedoch nur, wenn ich es auch zulasse, nicht wahr? Als Unternehmensführung haben wir natürlich die Verantwortung, den Rahmen für das Unternehmen zu setzen und Ziele vorzugeben. Man muss auch darauf achten, dass Menschen, die brennen, nicht ausbrennen. Das ist ebenfalls ein sehr wichtiger Punkt, den ich bisher nicht erwähnt habe. Im vergangenen Jahr haben wir als Erstes ein mentales Gesundheitstraining eingeführt neben nun auch dem physischen Training. Wir bieten den Mitarbeitern die Möglichkeit, sich frühzeitig damit zu beschäftigen und sich einzuklinken, um zu sehen, wie es ihnen dabei geht, neben all den Team-Events. Denn das muss begleitet werden, da manche Personen auch über ihre Grenzen gehen oder diese nicht richtig einschätzen. PERSONALquarterly: Wie wird dieses Angebot bei euch angenommen? Erhaltet ihr viele Rückmeldungen, insbesondere positive, oder ist die Resonanz zunächst verhalten? Boris Langerbein: Ich würde sagen, es gibt Poweruser, tatsächlich. Wir hatten Mitarbeiter, die das Angebot gut nutzen konnten und immer noch nutzen. Was schön zu sehen war, ist, dass es den einen oder anderen dazu bewegt hat, noch einen Schritt weiterzugehen und nicht nur im Hinblick auf das Unternehmen zu schauen, sondern auch das Privatleben zu betrachten und zu fragen: „Wie geht es mir?“ Denn letztendlich gibt der Mensch sein Gehirn und seinen Stress nicht ab, wenn er hier anfängt zu arbeiten. Es ist eine integrierte Welt, in der wir leben, und die Übergänge sind fließend. Daher haben wir auch eine Verantwortung, die über die Unternehmensgrenzen hinausgeht. Ich finde es gut und richtig, dass wir darüber hinausdenken. Wir bieten bspw. ein Bikeleasing an, aber auch hier muss man bedenken, dass wir es nicht nur anbieten, weil es jeder macht. Bei uns möchten die Mitarbeiter z. B. nicht mit dem Auto oder einem Verbrennungsmotor fahren, sondern sie möchten lieber Fahrrad fahren. Das ergibt Sinn aus verschiedenen Perspektiven: aus der Haltung heraus, aber auch im Hinblick auf Fitness. Wir denken immer in Bezug auf den Zweck; die Dinge, die wir einsetzen, haben immer einen Sinn. Das gilt auch für unser Unternehmen als Ganzes. Wenn wir merken, dass etwas keinen Sinn mehr ergibt, müssen wir darüber sprechen und überlegen, ob wir es ändern oder möglicherweise sogar abschaffen. Wir versuchen immer, das, was wir tun, unter einem bestimmten Zweck zu verstehen und sicherzustellen, dass es bei den Mitarbeitern ankommt. Dies führt voraussichtlich dazu, dass unsere Fluktuationsrate im Personal bei unter 5 % liegt, deutlich unter dem Branchendurchschnitt, gepaart mit einer sehr hohen Leistungsbereitschaft und Loyalität dem Unternehmen gegenüber. PERSONALquarterly: Inwieweit werden eure Mitarbeitenden auch in die Gestaltung und Umsetzung dieser Initiativen einbezogen? Konkret gesprochen, du hast bereits das Mental Health Training und das Bikeleasing erwähnt. Gibt es bei euch auch Möglichkeiten zu Beteiligung und Feedback? Boris Langerbein: Ja, definitiv. Das war von Anfang an ein sehr wichtiger Aspekt. Die Herausforderung besteht eher darin, es lebendig zu halten. Die Partizipation, die natürlich mit zehn oder auch 30 Personen noch recht gut umsetzbar ist, wird nun zunehmend eine Herausforderung. Am Anfang haben wir einen sog. Collaboration Contract verfasst, in dem wir festgelegt haben, wie wir zusammenarbeiten möchten. Das war anfangs gut, hat sich dann etwas abgeschwächt, aber ich glaube, daraus ist eine Kultur entstanden, die wir uns immer wieder vor Augen halten wollen. Wir haben auch regelmäßige All-Hands-Meetings, alle 14 Tage. Früher waren es wöchentliche Meetings, aber jetzt finden sie alle 14 Tage

9 04 / 23 PERSONALquarterly „Wir denken immer in Bezug auf den Zweck; die Dinge, die wir einsetzen, haben immer einen Sinn. Das gilt auch für unser Unternehmen als Ganzes.“ Boris Langerbein, Chief Innovation Officer der Intilion AG statt. Hier besteht die Möglichkeit, dass Mitarbeiter aus allen Bereichen ihre Anliegen und Ideen einbringen können. Es geht nicht nur um allgemeine Unternehmensangelegenheiten, sondern auch darum, Raum für Feedback zu geben und das Gefühl zu vermitteln, dass jeder sich äußern kann. Zudem haben wir auch die Möglichkeit der digitalen Kommunikation, bei der die Partizipation ständig stattfindet. In Strategie-Meetings schauen wir immer wieder, dass Vertreter aus den verschiedenen Bereichen teilnehmen, und dabei geht es nicht darum, warum jemand dabei sein sollte, sondern eher darum, zu überlegen, welches Teammitglied aufgrund seiner Aufgaben oder seines Engagements in einem bestimmten Thema mitarbeiten sollte. Bspw. haben wir dies bei unserem aktuellen Office-Konzept umgesetzt. Wir haben ein Botschafter-Konzept entwickelt, bei dem aus jedem Team ein Botschafter ausgewählt wird, der die Themen des Teams in die Organisation trägt und umgekehrt. Wir suchen immer nach Möglichkeiten, wie wir trotz des Wachstums die Partizipation aufrechterhalten, und eruieren regelmäßig die Mitarbeiterzufriedenheit mit dem Ziel, eine Quote von über 85 % zu erreichen und zu halten. PERSONALquarterly: Was sind für dich die treibenden Kräfte hinter New Work und einer ganz neuen Arbeitsphilosophie? Boris Langerbein: Die VUCA-Welt ist für mein Verständnis von New Work essenziell. Wir leben in einer hochtransformatorischen Welt. Was meine ich damit? Diese Transformation bricht Eingeschwungenes auf und ebnet den Weg zu etwas Neuem. Das Schlimmste, was uns passieren kann, ist, dass die Menschen in Ängste verfallen. Das ist natürlich, denn Veränderung löst oft Ängste aus. Aber Angst ist immer ein schlechter Ratgeber. Wenn ich Angst verspüre, schaltet sich mein Fluchtmechanismus oder mein Angriffsmodus ein – ich kann nicht mehr richtig denken. Ich bin nicht mehr in der Lage, die nächsten Schritte zu antizipieren und rational zu denken. Und da müssen wir tunlichst aufpassen. Ich glaube, New Work muss ein Mittel sein, dass wir wieder eher zu einem: „Nein, ich bin selbstwirksam, ich bin hier und heute als Mensch in der Lage mitzugestalten“, kommen. Trotz des Einflusses von Technologien wie Digitalisierung und KI sollten wir in der Lage sein, es so zu bewältigen, dass es für unsere Mitarbeiter eine Erleichterung darstellt, ähnlich wie es bei manchen körperlichen Arbeiten der Fall war. Wir müssen uns die Frage stellen, wie es uns gelingt, uns dieser dynamischen Welt anzupassen und zeitgleich unsere Resilienz zu stärken. Das ist eine Herausforderung, der wir uns alle stellen müssen, von der Politik über die Wirtschaft bis hin zu gesellschaftlichen Themen. PERSONALquarterly: Welchen Herausforderungen begegnet ihr bei der Umsetzung von neuen Arbeitsmodellen, neuen Arbeitspraktiken und New Work bei Intilion? Boris Langerbein: Eine der Herausforderungen bei der Umsetzung neuer Arbeitsmodelle, neuer Arbeitspraktiken und New Work besteht darin, mit Veränderungen umzugehen. Veränderungen gehen oft mit Gegenkräften einher. Es ist wichtig, sich darüber im Klaren zu sein und Wege zu finden, damit diese Gegenkräfte nicht die Oberhand gewinnen und uns letztendlich zurückziehen. Was ich damit sagen möchte, ist, dass ich mich nicht nur um die Early Adopters und diejenigen kümmern muss, die begeistert sind. Ich muss mich auch um diejenigen kümmern, die vielleicht leiser sind oder kritischer eingestellt. Es ist Teil meiner Aufgabe als Führungskraft oder wenn man Unternehmer ist, mich um alle zu kümmern, auch wenn ich manchmal vorangehe und sage: „Wir wollen das.“ Letztendlich muss ich alle ein Stück weit umarmen. Es gibt immer einen kleinen Prozentsatz, den ich möglicherweise nicht erreichen kann, aber es liegt in meiner Verantwortung, die Menschen insgesamt mitzunehmen. Es kommt oft vor, dass man denkt: „Hey, wir machen hier New Work, alles ist toll.“ Und dann geht man vorweg, aber nur zehn von hundert Personen folgen. Man wundert sich dann: „Was ist mit den anderen los? Warum kommen sie nicht mit?“ Jeder hat seinen eigenen Auslöser, wann er ein Early Adopter ist und wann nicht. Ängste und Vorbehalte spielen dabei möglicherweise eine Rolle, und diese muss ich verstehen und adressieren.

PERSONALquarterly 04 / 23 10 SCHWERPUNKT_NEW WORK Unter dem Begriff „New Work“ wird im Kern eine Flexibilisierung der Arbeitswelt verstanden. Diese Flexibilisierung kann in drei Dimensionen erfolgen – zeitlich, örtlich und strukturell –, wobei die Art und der Grad der Flexibilisierung von industrie- und unternehmensbezogenen Kontextfaktoren sowie den individuellen Präferenzen der Mitarbeitenden abhängig ist. Der unternehmerische und öffentliche Fokus liegt meist auf Maßnahmen zur Förderung von zeitlicher und örtlicher Flexibilität; bspw. die Viertagewoche und die Abschaffung von „nine to five“ (zeitliche Flexibilisierung) oder Homeoffice und Hybrid Work (örtliche Flexibilisierung). Weniger Beachtung wird häufig der strukturellen Flexibilisierung der Arbeitswelt geschenkt, welche jedoch fundamentale Auswirkungen darauf hat, wie Zusammenarbeit in Organisationen und insbesondere in Teams erfolgt. Wurden Teams vor 20 Jahren noch als „typischerweise stabil, in der Regel Vollzeit und genau definiert“ (Cohen/Bailey, 1997, S. 242) beschrieben, so werden sie heute als „zunehmend dynamisch, stark vernetzt und parallel, sowie global verteilt“ (Mortensen, 2014, S. 909) charakterisiert. Eine zentrale Folge der strukturellen Flexibilisierung in der Arbeitswelt ist das sog. Multiteaming. Multiteaming: Definition, Relevanz und Dimensionen Multiteaming – oder multiple team membership – beschreibt die parallele Zugehörigkeit zu mehr als einem Arbeits- oder Projektteam, in dem in Zusammenarbeit mit anderen Teammitgliedern gemeinsame Teamziele verfolgt werden. Internationale Studien schätzen, dass bereits heute zwischen 80 und 90 % der Wissensarbeitenden in mehr als einem Team gleichzeitig arbeiten (Berger/Bruch, 2021; O’Leary et al., 2011). Darüber hinaus zeigt eine kürzlich vom Autor durchgeführte Umfrage unter 8.221 deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern verschiedener Unternehmen und Industrien, dass Multiteaming auch in nicht wissensintensiven Bereichen zunehmend an Bedeutung gewinnt: 60 % der Befragten gaben an, in zwei oder mehr Teams gleichzeitig zu arbeiten. Wichtig ist, Multiteaming nicht mit Multitasking gleichzusetzen. Während Multitasking das zeitgleiche Ausführen mehrerer Aufgaben beschreibt, schließt Multiteaming komplexe Wechsel zwischen unterschiedlichen sozialen Kontexten ein. Folglich Multiteaming: Motive, (Neben-)Effekte und Handlungsempfehlungen Von Dr. Stefan Berger (Universität Groningen) können sich neben Aufgaben auch Rolle, Status, Identifikation, Arbeitsweisen usw. mehr oder weniger von einem zum anderen Team unterscheiden. Um dieser wichtigen Erkenntnis Rechnung zu tragen, unterscheidet die Forschung zu Multiteaming drei grundlegende Dimensionen (Cummings/Haas, 2012; O’Leary et al., 2011), die auch in der Praxis wichtige Stellhebel für ein erfolgreiches Management von Multiteaming-Strukturen bieten: 1. Anzahl der Teammitgliedschaften: In wie vielen parallelen Arbeits- oder Projektteams arbeitet ein Mitarbeitender gleichzeitig? 2. Zentralität der Teammitgliedschaften: Wie hoch ist das Zeit-Commitment (in %) in den jeweiligen Arbeits- oder Projektteams? 3. Verschiedenheit der Teammitgliedschaften: Wie stark unterscheiden sich Rolle, Status, Arbeitsweisen usw. von Team zu Team? Eine ganzheitliche Betrachtung dieser drei Dimensionen – vgl. Abbildung 1 – ist wichtig, um die komplexen und vielschichtigen Folgen von Multiteaming für einzelne Mitarbeitende zu verstehen. Der Großteil der empirischen Teamforschung und auch viele Ratgeber zum Thema Teamentwicklung basieren auf der archetypischen Annahme, dass Mitarbeitende in Vollzeit in einem Team arbeiten. Erst in den letzten fünf bis zehn Jahren wurde diese Annahme in der Forschung zunehmend aufgelöst und die Existenz von Multiteaming-Strukturen explizit in Studiendesigns aufgenommen, wodurch wichtige Erkenntnisse über die grundlegenden Motive, Mechanismen und Auswirkungen von Multiteaming gewonnen werden konnten. Die zentralen Befunde werden folglich anhand von drei Leitthemen (1. Motive und Vorteile von Multiteaming, 2. individuelle Nebeneffekte und 3. gestaltbare Kontextfaktoren) aufgearbeitet und anschließend in praktische Handlungsempfehlungen gebündelt. Motive für Multiteaming: Ressourceneffizienz und Wissenstransfer Die Nutzung von Multiteaming als Teil des Organisationsdesigns wird maßgeblich von zwei Motiven getrieben – Ressourceneffizienz und Wissenstransfer (Berger et al., 2022). Der erste Anreiz für Unternehmen besteht darin, die Zeit- und Wissensressourcen der Mitarbeitenden optimal zu nutzen. Zum

11 04 / 23 PERSONALquarterly einen kann durch Multiteaming sichergestellt werden, dass projektbedingte oder saisonale Schwankungen in der Arbeitsbelastung in einem Team durch Aufgaben und Tätigkeiten in anderen Teams aufgefangen werden können. So wird Leerlauf reduziert und die Auslastung pro Mitarbeitenden erhöht. Zum anderen ermöglicht Multiteaming, dass seltene Expertise mehreren Teams gleichzeitig und unmittelbar zugänglich ist. Eine Studie von Cummings und Haas (2012) in einem global agierenden Unternehmen zeigt diesbezüglich, dass insbesondere Mitarbeitende mit langjähriger Unternehmenserfahrung, erhöhtem Bildungsgrad und einer gehobenen Position (z. B. einer Führungsrolle) in einer größeren Anzahl an Teams arbeiten. Das zweite Motiv für die strukturelle Nutzung von Multiteaming liegt in einer erhöhten Konnektivität im Unternehmen, welche folglich zu einem verstärkten Wissensaustausch über Team- und Abteilungsgrenzen hinweg führen soll (O’Leary et al., 2011). Da Multiteamer Mitglied von zwei oder mehreren Teams gleichzeitig sind – und damit auch unmittelbare Verantwortung für die Ergebnisse der einzelnen Teams tragen –, besteht ein starker Anreiz, relevantes Wissen über Teamgrenzen hinweg zu teilen. Multiteaming kann in dieser Hinsicht als wichtiges Boundary Management Tool für Organisationen gesehen werden, um u. a. Silodenken und dem „Not-Invented-­ Here“-Syndrom entgegenzuwirken. Die empirische Validität der beiden Kernmotive wurde in einer Studie in 145 deutschen Unternehmen belegt (Berger et al., 2022). Die Studie zeigt u. a., dass insbesondere (a) unterbesetzte Unternehmen, sprich Organisationen mit großem ABSTRACT Forschungsfrage: Mehr als 60 Prozent der Mitarbeitenden arbeiten in mehr als einem Team gleichzeitig (= Multiteaming). Warum nutzen Unternehmen Multiteaming? Welche Folgen hat dies für Mitarbeitende, Teams und Unternehmen? Und wie sieht ein erfolgreiches Management aus? Methodik: Der Literatur-Review bietet einen Überblick über zentrale Erkenntnisse der Multiteaming-Forschung und leitet evidenzbasierte Handlungsempfehlungen ab. Praktische Implikationen: Multiteaming kann die Unternehmens- und Teamleistung steigern. Jedoch gilt es Nebeneffekte für das Stressempfinden der Mitarbeitenden zu beachten. Quelle: Eigene Darstellung Abb. 1: Multiteaming: Definition und Kerndimensionen Team-Zentralität: 10 Stunden/Woche Team-Zentralität: 10 Stunden/Woche Team-Zentralität: 20 Stunden/Woche Team-Verschiedenheit: Geringe Unterschiede, z. B. in Rolle, Status oder Aufgaben Team-Verschiedenheit: Große Unterschiede, z. B. in Rolle, Status oder Aufgaben Team-Anzahl: 3 Teams Multiteaming bezeichnet die parallele Zugehörigkeit zu mehr als einem Team – doch selbst bei gleicher Anzahl an Teammitgliedschaften kann sich die Situation von Mitarbeitenden stark unterscheiden. Im vorliegenden Beispiel arbeitet die Person in drei Teams. In einem Team verbringt sie 50 % ihrer Arbeitszeit, in den anderen beiden Teams jeweils 25 %. Zwei Teammitgliedschaften sind sich hinsichtlich Rolle, Status und Aufgaben ähnlich, das dritte Team unterscheidet sich stark von den anderen. Eine ganzheitliche Betrachtung der drei Dimensionen Anzahl, Zentralität und Verschiedenheit ist entscheidend, um die Konsequenzen von Multiteaming zu verstehen.

PERSONALquarterly 04 / 23 12 SCHWERPUNKT_NEW WORK Multiteaming-Level damit, dass Mitarbeitende in einem solchen Kontext häufig zwischen Teams hin und her springen müssen. In der Folge bringt dies große kognitive Rüstkosten für Mitarbeitende mit sich, welche negativ auf die Produktivität wirken. Wichtig ist, dass der Scheitelpunkt von durchschnittlich 2,4 Teammitgliedschaften für eine bestimmte Unternehmensstichprobe – deutsche, meist mittelgroße Unternehmen – ermittelt wurde und somit nicht als generalisierbare Regel zu interpretieren ist. Zudem wurden weder Teamunterschiede (z. B. hinsichtlich Rolle, Status oder Aufgabe) noch die Teamzentralität in der Studie berücksichtigt. Gleichwohl ist zu sagen, dass ein ähnlicher kurvilinearer Effekt auch in weiterer MultiteamingForschung hypothetisiert (O’Leary et al., 2011) und empirisch belegt wurde (Bertolotti et al., 2015). Bertolotti und Kollegen konnten diesbezüglich in einer Studie mit 40 Forschungs- und Entwicklungsteams im Bereich alternativer Energien zeigen, dass auch die Leistung einzelner Teams zunächst profitiert, wenn die Teammitglieder zeitgleich in anderen Teams arbeiten. Zentraler Vorteil ist, dass ein durch Multiteaming vernetztes Team unmittelbaren Zugriff auf teaminternes Wissen und Expertise anderer Teams hat und nicht teamextern darauf zugreifen muss. Allerdings gilt auch hier: Die Dosis macht das Gift. Haben die Teammitglieder zu viele Nebenschauplätze und verbringen sie insbesondere zu wenig Zeit innerhalb eines Teams (das heißt, es liegt eine geringe Team-Zentralität vor), leidet die Koordinationsfähigkeit und dadurch zunehmend die Teamleistung. Von „human resources“ zu „human beings”: Individuelle Nebeneffekte von Multiteaming Multiteaming ist als strukturelle Maßnahme darauf ausgelegt, die Humanressourcen-Effektivität von Unternehmen zu erhöhen. Obwohl eine solche Sichtweise aus Unternehmensperspektive sinnvoll und wie beschrieben (bis zu einem gewissen Grad) produktivitätssteigernd ist, vernachlässigt sie wichtige psychologische Nebeneffekte, die Multiteaming als individuelle Arbeitspraktik auf Mitarbeitende im Unternehmen entfaltet. Eine Vielzahl an Studien hat sich in den letzten Jahren mit diesen individuellen Auswirkungen von Multiteaming beschäftigt, wobei vor allem das Stressempfinden der Mitarbeitenden im Vordergrund stand. Ein Forschungsstrang fokussiert hierbei auf das Thema emotionale Erschöpfung – die Kerndimension des Burn-out-Konstrukts – und argumentiert gestützt auf ressourcenbasierte Stresstheorien (z. B. Conservation-of-Resources-Theorie oder Job-Demands-Resources-Modell), dass Multiteaming den Mitarbeitenden wichtige persönliche (z. B. Zeit, Energie und Fokus) und soziale Ressourcen (z. B. soziale Unterstützung und Identifikation) raubt und dadurch emotionale Erschöpfung erhöht. Z. B. zeigt sich, dass Multiteamer großen Koordinationsaufwand investieren müssen und häufiger in ihrer Arbeit Ressourcendruck, und (b) wissensintensive Unternehmen, in denen Informationstransfer von großer Relevanz ist, vermehrt auf Multiteaming setzen. Doch lassen sich diese Motive bzw. die erwünschte Wirkung von Multiteaming auch eins zu eins in den Leistungskennzahlen von Unternehmen erkennen? Multiteaming erhöht Unternehmens- und Teamleistung, aber … In der oben genannten Studie in 145 deutschen Unternehmen wurde auf der Basis von mehr als 19.000 individuellen Datenpunkten die durchschnittliche Nutzung von Multiteaming pro Unternehmen berechnet. Anschließend wurde unter Kontrolle wichtiger Unternehmensmerkmale (z. B. Unternehmensgröße und Industriezugehörigkeit) in Regressionsanalysen ermittelt, welchen Einfluss Multiteaming auf die Unternehmensproduktivität (gemessen als Jahresumsatz pro Mitarbeitenden) hat. Die Ergebnisse legen nahe, dass Multiteaming die Produktivität zunächst positiv beeinflusst. Allerdings stellt sich ab einem bestimmten Level ein abnehmender und letztlich sogar negativer Grenznutzen ein (das heißt ein kurvilinearer Effekt). In der Studie wurde das optimale Multiteaming-Level (= Scheitelpunkt in Abb. 2) auf durchschnittlich 2,4 Teammitgliedschaften pro Mitarbeitenden beziffert (sprich: Mitarbeitende arbeiten im Schnitt in zwischen zwei und drei Teams gleichzeitig). Die Autoren begründen den rückläufigen Produktivitätseffekt bei einem höheren Abb. 2: Multiteaming und Unternehmensproduktivität Quelle: Adaptiert von Berger et al. (2022) 700 650 600 550 500 450 400 350 300 250 2,4 Teams Produktivität in 1.000 Euro pro Mitarbeitenden ⌀ Anzahl Teammitgliedschaften

13 04 / 23 PERSONALquarterly Messinstrument zur Selbsteinschätzung von Rollenunterschieden im Multiteaming-Kontext Bitte nennen Sie die beiden Teams, in denen Sie den Großteil Ihrer Arbeitszeit verbringen: Team A: _______________________ Team B: _______________________ Nun geben Sie auf Basis der vier untenstehenden Aussagen an, inwiefern sich die Rollenerwartungen in Team A und Team B unterscheiden. (1 = vollkommen verschieden; 7 = vollkommen identisch) * * geringere Werte deuten größere Rollenunterschiede an Unterstützend nutzen Sie bitte folgende Abbildungen, in denen Sie jeweils 2 Kreise sehen. Die Kreise repräsentieren Team A (weiß) und Team B (grau) und geben an, wie stark sich die beiden Teams unterscheiden. Abbildung 1 zeigt zwei Kreise, die vollkommen getrennt sind. Diese repräsentieren zwei Teams, bei denen keinerlei Rollenüberschneidung vorliegt. Abbildung 7 zeigt zwei Kreise, die vollkommen überlappen. Diese repräsentieren zwei Teams, in denen Ihre Rolle vollkommen identisch ist. Inwiefern besteht eine Überschneidung zwischen Team A und Team B hinsichtlich … 1. … den erwarteten Ergebnissen Ihrer Arbeit (z. B. die zu erstellenden Produkte/Dienstleistungen) 2. … der Zusammenarbeit mit anderen Teammitgliedern (z. B. wie Aktivitäten koordiniert, Probleme diskutiert oder Entscheidungen getroffen werden) 3. … der Erwartungen des Teamleiters (z. B. wie Aufgaben erledigt oder Ergebnisse übergeben werden) 4. … der Eigenschaften von (internen) Kunden des Teams (z. B. was der Kunde vom Team erwartet oder wie die Kundeninteraktion abläuft) unterbrochen werden, was folglich zu nicht eingeplanten Zeitverlusten führt und es erschwert, sich zu fokussieren (Berger/ Bruch, 2021). Zudem bringt das Teilzeit-Commitment in Teams auch soziale Nachteile mit sich, da man von anderen Teammitgliedern oft nicht als Teil der Ingroup, sondern als Teil der Teamperipherie betrachtet wird (Maynard et al., 2012). Mehrere Studien belegen empirisch, dass Multiteaming zu erhöhter emotionaler Erschöpfung und Stress führt (z. B. Berger/Bruch, 2021; Pluut et al., 2014), insbesondere in Unternehmen, in denen der Großteil der Mitarbeitenden in mehreren Teams gleichzeitig arbeitet (Berger et al., 2022). Ein zweiter Forschungsstrang im Bereich der individuellen Nebenwirkungen trägt der Rollenpluralität im MultiteamingKontext Rechnung. Wie eingangs beschrieben, unterscheidet sich Multiteaming insbesondere dahingehend von Multitasking, dass Mitarbeitende sich auch mehreren, teils nicht vereinbaren Rollenerwartungen unterschiedlicher Teams gegenübersehen. Van de Brake und Berger (2023) illustrieren dies an folgendem Beispiel (S. 224-225): „Eine Software-Ingenieurin ist an zwei Software-Entwicklungsprojekten beteiligt. Im ersten Projekt ist sie für die Implementierung einer Online-Anwendung verantwortlich. Das Team koordiniert die Arbeitsaktivitäten regelmäßig auf informelle Weise. Der Projektleiter erlaubt der Software-Ingenieurin, die einzelnen Schritte der Code-Entwicklung selbst zu bestimmen, solange sie ihre Ergebnisse pünktlich abliefert. Das zweite Projekt der Software-Ingenieurin hingegen beinhaltet vollkommen konträre Anforderungen, Teamnormen und Erwartungen der Führungskraft. Hier arbeitet sie an einem Verschlüsselungsalgorithmus, der nur ein kleiner Teil eines großen und komplexen Projekts ist. Der Projektleiter ist stark involviert und überwacht jeden Schritt der Software-Ingenieurin. Der Großteil der Koordination und des Informationsaustauschs innerhalb des Teams erfolgt über den Projektleiter, und das Team interagiert nur bei formellen Treffen, bei denen alle anwesend sind. Im Vergleich zu einem anderen Mitarbeitenden, der ähnlicheren Projektteams zugeteilt ist (z. B. mit ähnlichen Aufgabenanforderungen und Gruppennormen in allen Teams), ist die Software-Ingenieurin einer stärkeren Rollenverschiedenheit ausgesetzt.“ Empirische Studien zeigen, dass eine höhere Anzahl an Teammitgliedschaften die individuelle Wahrnehmung von Rollenüberlastung und Rollenkonflikten erhöht (Berger/Bruch, 2021) sowie Rollenklarheit verringert (van de Brake et al., 2020). Dies ist insbesondere der Fall, wenn ein Mitarbeitender in mehreren zentralen Teams arbeitet (das heißt seine Zeit relativ gleichmäßig über die Teams verteilt) oder wenn ein Mitarbeitender in Teams arbeitet, die stark unterschiedliche Rollenerwartungen anstellen (van de Brake/Berger, 2023). Abbildung 3 beinhaltet ein validiertes Maß zur Selbsteinschätzung der Teamrollenverschiedenheit anhand von drei Dimensionen (funktionale, beziehungsorientierte und strukturelle Rollenunterschiede). Abb. 3: Rollenstress durch Multiteaming? Quelle: In Anlehnung an van de Brake/Berger (2023) 1 3 5 2 4 6 7

PERSONALquarterly 04 / 23 14 SCHWERPUNKT_NEW WORK Aus Unternehmensperspektive ist es wichtig, dass sich eine durch Multiteaming hervorgerufene Rollenunklarheit signifikant negativ auf die individuelle Leistungsfähigkeit eines Mitarbeitenden (beurteilt durch die Führungskraft) auswirkt und auch zu einer höheren Anzahl an krankheitsbedingten Fehltagen pro Jahr führt (van de Brake et al., 2020). Eine Studie in 52 Teams unterschiedlicher Industrien konnte darüber hinaus nachweisen, dass eine verringerte Rollenklarheit eines Multiteamers innerhalb eines Teams sogar die gesamte Teamleistung negativ beeinflusst (van de Brake/Berger, 2023). Dies ist darauf zurückzuführen, dass Multiteamer häufig eine wichtige Netzwerkerrolle zwischen Teams einnehmen und in der Regel über seltene Expertise verfügen, wodurch sie die Teamleistung überproportional stark beeinflussen. Folglich besteht sowohl aus Gesundheits- und Stresspräventionsgründen als auch aus Leistungsperspektive ein starker Anreiz, sich aktiv mit den psychologischen Nebeneffekten von Multiteaming zu beschäftigen. Treten auch positive psychologische Nebeneffekte für Mitarbeitende auf, die in mehreren Teams gleichzeitig arbeiten? Mehrere empirische Studien haben sich mit potenziellen Vorteilen von Multiteaming für einzelne Mitarbeitende beschäftigt – jedoch konnten weder direkte Effekte auf die Wahrnehmung von sozialer Unterstützung und Autonomie (Pluut et al., 2014) noch auf die Befriedigung des Kompetenzbedürfnisses (das heißt das Gefühl, effektiv auf das Arbeitsumfeld einwirken zu können) gefunden werden (van de Brake et al., 2020). Wenn positive Effekte auftraten, waren diese bestimmten Gruppen vorbehalten (z. B. Mitarbeitenden mit langer Betriebszugehörigkeit) oder von teambezogenen Kontextfaktoren abhängig (z. B. eine hohe Qualität in der Teamzusammenarbeit), was in der Folge den Fokus auf gestaltbare Kontextfaktoren richtet. Multiteaming erfolgreich gestalten? Angesichts der zahlreichen Nebeneffekte von Multiteaming liegt der Fokus aktueller Forschung zunehmend auf der Identifizierung von Kontextfaktoren, die die negativen Effekte von multiplen Teammitgliedschaften abschwächen bzw. potenzielle Vorteile betonen. Diese Kontextfaktoren lassen sich grob in drei Kategorien gliedern: Personalauswahl und Staffing, teambezogene Faktoren und Führungsverhalten. Bei der Personalauswahl ist insbesondere darauf zu achten, die Anzahl der parallelen Teammitgliedschaften für Mitarbeitende mit geringer Berufs- und/oder Unternehmenserfahrung zu limitieren. Hier gilt als Faustregel: Je länger die Betriebszugehörigkeit, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mitarbeitender über die Ressourcen verfügt, die Multiteaming zu einem positiven Erlebnis (z. B. hohes Kompetenzempfinden) und nicht zu einem Stressfaktor machen (van de Brake et al., 2020). Ferner zeigt sich, dass Mitarbeitende mit einer polychronen Orientierung – das heißt eine angeborene und zeitlich stabile Präferenz, sich mit vielen Aktivitäten gleichzeitig zu beschäftigen – deutlich besser mit den Herausforderungen des Multiteaming umgehen als Mitarbeitende, die am liebsten eine Aufgabe nach der anderen bearbeiten (= monochrone Orientierung) (Berger/Bruch, 2021). Wichtig ist, dass Mitarbeitende sehr präzise einschätzen können, wo die eigenen Präferenzen liegen. Bspw. kann dies mit einem kurzen Selbstcheck ermittelt werden (vgl. Abb. 4). Neben diesen persönlichen Faktoren ist im Staffing-Prozess zu beachten, dass jeder Mitarbeitende über zumindest eine zeitlich stabile und relativ zentrale Teammitgliedschaft verfügt. Ein solches Team dient als wichtiger Identifikationspunkt für Mitarbeitende, der potenzielle Identifikationsmängel in weiteren, eher temporären Teams kompensieren kann (Mistry et al., 2022). Hinsichtlich teambezogener Faktoren lässt sich festhalten, dass auch im Multiteaming-Kontext in die Qualität von Teamprozessen (insbesondere Kommunikation, Koordination, gegenseitige Unterstützung und Zusammenhalt) investiert werden sollte, da dadurch Wechsel- und Adaptionsprozesse für Teammitglieder, die auch in anderen Teams arbeiten, erleichtert werden (van de Brake/Berger, 2023). Weniger empfehlenswert ist hingegen die Nutzung von Multiteaming-Strukturen in virtuellen Kontexten. Eine Studie von Cummings und Haas (2012) zeigt diesbezüglich, dass durch den zusätzlichen Koordinationsaufwand bei virtueller Zusammenarbeit die ansonsten positive Wirkung von Multiteaming auf die Teamleistung schwindet. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn digital gestützte Kommunikation (z. B. über Instant-Messaging-Dienste) die Oberhand gewinnt und Mitarbeitende ständigen Störungen aus anderen Teams ausgesetzt sind (Bertolotti et al., 2015). Abb. 4: Polychron oder monochron? Quelle: Adaptiert von König et al. (2005) Messinstrument zur Selbsteinschätzung der polychronen Orientierung Bitte geben Sie an, inwiefern Sie den folgenden Aussagen zustimmen. (1=stimme überhaupt nicht zu; 5=stimme voll und ganz zu) * 1. Ich beschäftige mich gerne mit verschiedenen Dingen gleichzeitig. 2. Ich würde lieber jeden Tag Teile verschiedener Projekte fertigstellen, als ein ganzes Projekt abzuschließen. 3. Wenn ich allein arbeite, dann arbeite ich gewöhnlich nur an einem Projekt gleichzeitig. 4. Ich arbeite ungern an mehr als einer Aufgabe zur selben Zeit. * Items 3 und 4 beschreiben eine monochrone Orientierung. Folglich repräsentieren niedrige Werte eine hohe polychrone Orientierung.

15 04 / 23 PERSONALquarterly Schließlich hat sich die Forschung mit der Frage beschäftigt, wie effektives Führungsverhalten im Multiteaming-Kontext aussehen kann. Eine entsprechende Studie von Chen und Kollegen (2019) konnte in mehreren Stichproben konsistent zeigen, dass es von zentraler Bedeutung ist, (a) die Bedeutsamkeit der Teamaufgaben für das Gesamtunternehmen zu betonen, (b) Mitarbeitende aktiv in Entscheidungsprozesse einzubeziehen, (c) Zuversicht in das Potenzial der Mitarbeitenden zu vermitteln und (d) Autonomie zu fördern – sprich einen empowernden Führungsstil zu prägen. Multiteamer, die von ihrer Führungskraft aktiv empowert wurden, berichteten u. a. ein größeres Sinnerleben und Kompetenzgefühl in ihrer Arbeit, was sich anschließend in einem höheren Maß an proaktivem Verhalten äußerte. Spannend ist hierbei, dass sich die positive Wirkung einer empowernden Führungskraft eines Teams nicht auf dieses Team beschränkte, sondern auch das proaktive Verhalten eines Multiteamers in anderen Teams positiv beeinflusste – ein sog. Spill-over-Effekt. To multiteam or not to multiteam? Zentrale Implikationen für die Unternehmenspraxis Die neue Arbeitswelt bedeutet neben Homeoffice oder flexiblen Arbeitszeiten für viele Mitarbeitende auch, in einer stetig wachsenden Anzahl an Teams gleichzeitig zu arbeiten. Multiteaming ist bereits heute in vielen Unternehmen eher Regel denn Ausnahme – man denke nur an die zahlreichen Projektteams, Change-Initiativen und Skill Groups, die neben dem eigentlichen Kernteam zunehmend Zeit erfordern. Der Großteil der Unternehmen kann es sich aus Wettbewerbsgründen, aber auch angesichts des Fachkräftemangels schlicht nicht leisten, auf die positiven Effekte von Multiteaming (das heißt stärkerer Wissenstransfer zwischen Teams und erhöhte Ressourceneffizienz) zu verzichten. Folglich gilt es, für Unternehmen, Teams und Mitarbeitende Wege zu finden, Multiteaming-Strukturen möglichst effektiv zu gestalten und gleichzeitig die Gesundheit der einzelnen Arbeitskraft nicht außer Acht zu lassen. Im Sinne des evidenzbasierten Managements soll der vorhergehende Literaturüberblick genutzt werden, um die jeweils drei zentralen „Dos & Don’ts“ des Multiteaming abzuleiten. 1. Do: Multiteaming messbar machen Die Forschung zeigt, dass der Großteil der Unternehmen nicht weiß, inwiefern die eigenen Mitarbeitenden in mehreren Teams gleichzeitig arbeiten. Dies ist verwunderlich, da Mitarbeitende und ihr Wissen immer mehr zum zentralen Wettbewerbsfaktor werden und ein systematisches People-Management ohne Informationen über deren tatsächlichen Arbeitsalltag schlicht unmöglich scheint. Gemäß der Regel „what gets measured, gets managed“ lautet daher die Empfehlung, Multiteaming messbar zu machen. Dies kann zentral (z. B. über HRP-Systeme) oder dezentral (z. B. über Self-Rostering) geschehen und wird in zahlreichen Unternehmen schon erfolgreich praktiziert. Idealerweise erfasst eine solche Messung alle Dimensionen des Multiteaming (vgl. Abb. 1) und wird durch HR Analytics mit Leistungs- und Gesundheitsdaten verknüpft. 2. Do: Teamanzahl begrenzen Arbeiten Mitarbeitende in zu vielen Teams, steigt die Burn-outGefahr und die positive Leistungswirkung von Multiteaming schwindet zunehmend. Insbesondere für Berufseinsteiger und Mitarbeitende mit geringer Unternehmenserfahrung sollte daher die Zahl der Teammitgliedschaften begrenzt werden. Zudem gilt es, aktiv den Dialog mit Mitarbeitenden zu suchen und diese nach ihren persönlichen Präferenzen zu befragen. Ein international agierendes Unternehmen der Mobilitätsbranche beschränkt bspw. die Anzahl der parallelen Teams für Neueinsteiger auf zwei und für erfahrene Mitarbeitende und Führungskräfte auf drei Teammitgliedschaften. 3. Do: Proaktivität durch Empowerment fördern Proaktives Verhalten ist Grundvoraussetzung für ein erfolgreiches Arbeiten über Teamgrenzen hinweg, da nur der Mitarbeitende selbst abschließend verstehen kann, wann welches Team ihre/seine Aufmerksamkeit erfordert. Multiteaming kann daher nur gelingen, wenn Führungskräfte ihre Mitarbeitenden aktiv empowern und umgekehrt die Mitarbeitenden auch mit den erhöhten Freiheitsgraden umgehen können. 1. Don‘t: Einseitige Humanressourcen-Logik verfolgen Die Forschung zeigt konsistent auf, dass Multiteaming je nach Perspektive (Individuum, Team, Organisation) fundamental unterschiedliche Wirkmechanismen entfaltet. Vor diesem Hintergrund ist eine einseitige, rein betriebswirtschaftlich getriebene Humanressourcen-Logik bei Staffing-Entscheidungen zu vermeiden. Vielmehr sollte das Streben nach Effizienz mit Wohlbefinden und Rollenklarheit von Mitarbeitenden in Einklang gebracht werden. Letztlich beeinflusst dies auch die Leistung positiv. 2. Don‘t: Bonus an Teamleistung knüpfen Trotz der oft positiven Wirkung von Teamboni sind diese in Multiteaming-Strukturen zu meiden. Das Problem ist, dass Multiteamer dazu ermutigt werden, ihren Fokus auf das Team zu legen, in dem der größte Bonus erzielt werden kann. Dies geht oft jedoch zulasten anderer Teams der Mitarbeitenden und ist somit nicht im Einklang mit dem gesamtunternehmerischen Interesse. Alternativ sollte der Fokus daher auf Anreize gelegt werden, die an den Unternehmenserfolg gekoppelt sind. 3. Don‘t: Beim Teambuilding sparen Teambuilding ist seit Jahrzehnten eine zentrale Empfehlung der Teamforschung. Auf den ersten Blick mag dieses Don’t

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