PERSONALquarterly 04 / 23 10 SCHWERPUNKT_NEW WORK Unter dem Begriff „New Work“ wird im Kern eine Flexibilisierung der Arbeitswelt verstanden. Diese Flexibilisierung kann in drei Dimensionen erfolgen – zeitlich, örtlich und strukturell –, wobei die Art und der Grad der Flexibilisierung von industrie- und unternehmensbezogenen Kontextfaktoren sowie den individuellen Präferenzen der Mitarbeitenden abhängig ist. Der unternehmerische und öffentliche Fokus liegt meist auf Maßnahmen zur Förderung von zeitlicher und örtlicher Flexibilität; bspw. die Viertagewoche und die Abschaffung von „nine to five“ (zeitliche Flexibilisierung) oder Homeoffice und Hybrid Work (örtliche Flexibilisierung). Weniger Beachtung wird häufig der strukturellen Flexibilisierung der Arbeitswelt geschenkt, welche jedoch fundamentale Auswirkungen darauf hat, wie Zusammenarbeit in Organisationen und insbesondere in Teams erfolgt. Wurden Teams vor 20 Jahren noch als „typischerweise stabil, in der Regel Vollzeit und genau definiert“ (Cohen/Bailey, 1997, S. 242) beschrieben, so werden sie heute als „zunehmend dynamisch, stark vernetzt und parallel, sowie global verteilt“ (Mortensen, 2014, S. 909) charakterisiert. Eine zentrale Folge der strukturellen Flexibilisierung in der Arbeitswelt ist das sog. Multiteaming. Multiteaming: Definition, Relevanz und Dimensionen Multiteaming – oder multiple team membership – beschreibt die parallele Zugehörigkeit zu mehr als einem Arbeits- oder Projektteam, in dem in Zusammenarbeit mit anderen Teammitgliedern gemeinsame Teamziele verfolgt werden. Internationale Studien schätzen, dass bereits heute zwischen 80 und 90 % der Wissensarbeitenden in mehr als einem Team gleichzeitig arbeiten (Berger/Bruch, 2021; O’Leary et al., 2011). Darüber hinaus zeigt eine kürzlich vom Autor durchgeführte Umfrage unter 8.221 deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern verschiedener Unternehmen und Industrien, dass Multiteaming auch in nicht wissensintensiven Bereichen zunehmend an Bedeutung gewinnt: 60 % der Befragten gaben an, in zwei oder mehr Teams gleichzeitig zu arbeiten. Wichtig ist, Multiteaming nicht mit Multitasking gleichzusetzen. Während Multitasking das zeitgleiche Ausführen mehrerer Aufgaben beschreibt, schließt Multiteaming komplexe Wechsel zwischen unterschiedlichen sozialen Kontexten ein. Folglich Multiteaming: Motive, (Neben-)Effekte und Handlungsempfehlungen Von Dr. Stefan Berger (Universität Groningen) können sich neben Aufgaben auch Rolle, Status, Identifikation, Arbeitsweisen usw. mehr oder weniger von einem zum anderen Team unterscheiden. Um dieser wichtigen Erkenntnis Rechnung zu tragen, unterscheidet die Forschung zu Multiteaming drei grundlegende Dimensionen (Cummings/Haas, 2012; O’Leary et al., 2011), die auch in der Praxis wichtige Stellhebel für ein erfolgreiches Management von Multiteaming-Strukturen bieten: 1. Anzahl der Teammitgliedschaften: In wie vielen parallelen Arbeits- oder Projektteams arbeitet ein Mitarbeitender gleichzeitig? 2. Zentralität der Teammitgliedschaften: Wie hoch ist das Zeit-Commitment (in %) in den jeweiligen Arbeits- oder Projektteams? 3. Verschiedenheit der Teammitgliedschaften: Wie stark unterscheiden sich Rolle, Status, Arbeitsweisen usw. von Team zu Team? Eine ganzheitliche Betrachtung dieser drei Dimensionen – vgl. Abbildung 1 – ist wichtig, um die komplexen und vielschichtigen Folgen von Multiteaming für einzelne Mitarbeitende zu verstehen. Der Großteil der empirischen Teamforschung und auch viele Ratgeber zum Thema Teamentwicklung basieren auf der archetypischen Annahme, dass Mitarbeitende in Vollzeit in einem Team arbeiten. Erst in den letzten fünf bis zehn Jahren wurde diese Annahme in der Forschung zunehmend aufgelöst und die Existenz von Multiteaming-Strukturen explizit in Studiendesigns aufgenommen, wodurch wichtige Erkenntnisse über die grundlegenden Motive, Mechanismen und Auswirkungen von Multiteaming gewonnen werden konnten. Die zentralen Befunde werden folglich anhand von drei Leitthemen (1. Motive und Vorteile von Multiteaming, 2. individuelle Nebeneffekte und 3. gestaltbare Kontextfaktoren) aufgearbeitet und anschließend in praktische Handlungsempfehlungen gebündelt. Motive für Multiteaming: Ressourceneffizienz und Wissenstransfer Die Nutzung von Multiteaming als Teil des Organisationsdesigns wird maßgeblich von zwei Motiven getrieben – Ressourceneffizienz und Wissenstransfer (Berger et al., 2022). Der erste Anreiz für Unternehmen besteht darin, die Zeit- und Wissensressourcen der Mitarbeitenden optimal zu nutzen. Zum
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