Personal Quarterly 3/2023

29 03 / 23 PERSONALquarterly Chef, wenn das Meeting nicht vor zehn anfängt, dann hast du bitte an dem gleichen Tag anzureisen. In meinem Fall ist es z. B. so, wenn ich in Stadt X ein Meeting hab‘ um 10 Uhr. Dann heißt das ich muss in den Zug um 03:40 einsteigen. Das bedeutet für mich aufstehen um halb zwei, zwei, die Richtung, dass ich da überhaupt hinkomme, weil ich darf erst ab Stadt Y abrechnen. Um 2 Uhr morgens aufstehen, ist für mich keine Option, wenn ich bis 18 Uhr gearbeitet habe. Wenn ich mit dem Flugzeug fliege, dann kann ich erst um halb 4 aufstehen und ich werde sogar noch vor der Tür abgeholt. Das ist unökologisch, […], weil du wirst ja von Tür zu Tür gefahren, dann wirst du geflogen, dann wirst du nochmal gefahren.“ In diesem Zitat zeigt sich zum einen, wie Spannungen, die sich aus dem Konflikt zwischen Wirtschaftlichkeit und ökologischen Zielsetzungen auf der Organisationsebene ergeben, Auswirkungen auf einer anderen Ebene, in diesem Fall der Mitarbeitenden, haben. Zum anderen wird der paradoxe Charakter dieser Spannung ersichtlich: Die Mitarbeiterin sieht sich mit einer Situation konfrontiert, in der kein widerspruchsfreies Handeln möglich ist. Jede Handlung und damit Auflösung des Paradoxons zugunsten eines Pols führt zu einem auf das Wertesystem bezogen insgesamt inakzeptablen Trade-off. Strategien für den Umgang mit Spannungen im Unternehmen Die in der empirischen Analyse der Interviews über mehrere Ebenen herausgearbeiteten Spannungen implizieren die Frage nach angemessenen Strategien für den Umgang damit. Unsere Forschung legt in dieser Hinsicht nahe, dass, wenn Unternehmen ein ernsthaftes Nachhaltigkeitsengagement verfolgen, ein bewusster Umgang mit Spannungen im Sinne eines proaktiven Umgangs vorherrscht. Spannungsfelder werden dann diskutiert, sichtbar gemacht und thematisiert, wie folgendes Zitat exemplarisch illustriert: „[…] grundsätzlich bin ich davon überzeugt, ohne Spannungen werden wir nicht weiterkommen. Meine tiefe Überzeugung und das sehe ich als meine absolute Aufgabe als Führungskraft an im Team [darauf] hinzuwirken, dass wir inhaltlich gerne konfliktreich diskutieren, gleichzeitig, aber emotional auf der Beziehungsebene uns nicht dadurch in die Haare kriegen […], sodass Zusammenarbeit nicht mehr möglich ist.“ Dabei zeigt unsere Studie auch, dass neben Führungskräften auch das individuelle Verhalten von Mitarbeitenden Spannungsfelder sichtbar machen kann. Unterschiedliche Werte, Einstellungen oder auch Vorstellungen, welche Herausforderungen prioritär adressiert werden sollten, können im Kontext von Nachhaltigkeit zu Spannungen in Teams führen. Ein typisches Beispiel hierfür ist der Mitarbeiter, der seinen Kollegen darauf hinweist, seinem Vorbild zu folgen und auf Pappbecher zu verzichten oder weniger auszudrucken: Die Aufforderung macht die Differenz in der Einstellung oder der Vorstellung, wie mit knappen Ressourcen (etwa Arbeitszeit, aber auch ökologischen Ressourcen) umgegangen werden sollte, für beide Seiten sichtbar. Wenn dagegen Nachhaltigkeit nur in Form eines rhetorischen oder symbolischen Engagements im Unternehmen adressiert wird, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Spannungsfelder ignoriert und letztlich ökonomische Ziele gegenüber ökologischen und sozialen Anforderungen priorisiert werden. Diese Form einer defensiven Reaktion löst das Spannungsfeld allerdings nicht auf, sodass dieses mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem späteren Zeitpunkt oder unter neuen Umständen wieder sichtbar wird; z. B. wenn Zielsetzungen, die vom Unternehmen rhetorisch gesetzt wurden, von dessen Anspruchsgruppen eingefordert oder hinterfragt werden. Diese Konstellation wird auf der Individualebene auch dadurch abgebildet, dass explizit der Nachhaltigkeit im Unternehmen kein hoher Stellenwert zugeordnet wird, wie das folgende Zitat veranschaulicht: „[…] Also wir haben alle ziemlich viel zu tun. Da ist immer die Frage, wie nutze ich meine Freizeit? Will ich noch weiter irgendwelche Dokumente lesen […] oder will ich was anderes machen (Lachen). Also de facto bei mir ist das nicht die Priorität, mich darum [um Nachhaltigkeitsthemen] zu kümmern.“ In der Folge kann ein defensiver Umgang mit Spannungen Quelle: Eigene Darstellung Abb. 1: Überblick über die identifizierten Spannungsaspekte und deren Ebenenzuordnung Individualebene Teamebene Organisationsebene Industrieebene Länderebene Individualebene Teamebene Organisationsebene Industrieebene Länderebene Spannungstyp Spannungsfeld Ebene Performance- Spannungen Performance- ZugehörigkeitsSpannungen Effizienz Kosten Vertraulichkeit Wahrgenommener Handlungsspielraum Bequemlichkeit Gesetze/Legitimität

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