PERSONALquarterly 03 / 22 58 SERVICE_PRAXISBLICK PERSONALquarterly: Welche Bedeutung hat für Sie die Wissenschaft, kann man sich auf deren Erkenntnisse verlassen? Frank Böhringer: Wissenschaft ist ein systematischer Prozess, der zu neuen Erkenntnissen führt, die auf Basis von Beobachtungen, Experimenten, Analysen und auch Streit entstehen. Die Erkenntnisse gelten aber nur so lange, bis sie durch neue Erkenntnisse ergänzt oder gar widerlegt werden. Während der Pandemie ist das gefühlt fast jeden Tag geschehen, was zu dem Vorwurf geführt hat, dass sich „die Wissenschaft“ ständig widerspreche. Wissenschaft und die Schnelligkeit und die Oberflächlichkeit auf Social-Media-Kanälen sind eben nicht immer kompatibel. Ich finde, Politik und Unternehmen können sich auf jeden Fall auf die Wissenschaft verlassen, gerade wegen der seriösen Methodik. Letztlich müssen die Verantwortlichen in den Parlamenten und Unternehmen die Entscheidungen treffen. PERSONALquarterly: Arbeiten Sie in Ihrem beruflichen Kontext mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammen? Frank Böhringer: Die AOK Baden-Württemberg unterhält Forschungskooperationen im Bereich der Versorgungsforschung. In HR pflegen wir Bildungskooperationen mit Hochschulen, um unsere Nachwuchskräfte zu qualifizieren. Ein sehr spannendes Projekt waren unsere HR-Experimentierräume in Kooperation mit der Hochschule Reutlingen und dem Fraunhofer IAO. In einem BMBF-geförderten Forschungsprojekt („DigiTraIn 4.0“) war die AOK Baden-Württemberg Praxispartner. PERSONALquarterly: Von wem ging die Initiative aus? Frank Böhringer: Bei dem Forschungsprojekt „DigiTraIn 4.0“ wurden wir von den beteiligten Hochschulen angesprochen. Die Experimentierräume sind von uns ausgegangen. Angesteckt hatte uns die Aufbruchsstimmung, die nicht zuletzt das BMAS mit den Experimentierräumen gestiftet hat. Von Bedeutung war aber auch die eigene Erkenntnis, dass sich die Arbeitswelt durch die Digitalisierung und den gesellschaftlichen Wandel stark verändert. Und genau um diese Transformation ging es bei den Experimentierräumen und dem Forschungsprojekt. PERSONALquarterly: Kann die Wissenschaft helfen, das Personalmanagement in den Unternehmen besser zu machen? Frank Böhringer: Ja, auf jeden Fall. Wissenschaftliche Impulse oder Kooperationen helfen dabei, die eigene Arbeit und die Rolle im Unternehmen zu reflektieren, externes Feedback und blinde Flecken sowie Hebel für Verbesserungen und den Umgang mit Fragen der Zukunft aufgezeigt zu bekommen, also um einen besseren Job für das Unternehmen zu machen. PERSONALquarterly: Haben Sie ein aktuelles Beispiel, wo Sie auf Erkenntnisse aus Ihren Kooperationsprojekten zurückgreifen? Frank Böhringer: Wir hatten in den Experimentierräumen für unseren Betrieb ungewöhnliche Themen ausprobiert. Bspw. den Fünfstundentag oder die komplette Selbstorganisation von Teams ohne Führungskraft. Wir haben daraus wertvolle Erkenntnisse gewonnen und auch die Grenzen des Möglichen erfahren. Wir werden deshalb Führungskräfte für die gesamte Organisation natürlich nicht abschaffen, das funktioniert nur unter bestimmten Umfeldbedingungen. Allerdings verändern wir auf der Basis der Erfahrungen die Rolle der Führungskräfte nachhaltig und geben mehr Autonomie und Verantwortung an die Mitarbeiterebene. PERSONALquarterly: Was wünschen Sie sich von der Wissenschaft? Frank Böhringer: Die Hochschulen und Institutionen, mit denen ich zusammengearbeitet habe, sind sehr praxisorientiert und haben eine starke Vernetzungsbereitschaft. Bei öffentlich geförderten Forschungsprojekten wiehert allerdings der Amtsschimmel in Ministerien und bei Projektträgern noch relativ laut. Lange Laufzeiten bei der Bearbeitung der Förderzusagen, teilweise konkurrierende oder parallele Förderstrukturen der Ministerien stehen der eigentlich nötigen Dynamik bei den Forschungsprojekten aus meiner Sicht entgegen. PQ stellt Entscheider vor, die mit der Wissenschaft kooperieren und so Personalarbeit voranbringen. In dieser Ausgabe: Frank Böhringer, AOK Baden-Württemberg Der PERSONALquarterly-Fragebogen FRANK BÖHRINGER ist Stabsbereichsleiter Strategie & Steuerung-HR bei der AOK Baden-Württemberg mit knapp über 10.000 Beschäftigten.
RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==