PERSONALquarterly 03 / 22 28 SCHWERPUNKT_HR-KOMMUNIKATION Mit den zunehmenden Möglichkeiten künstlicher Intelligenz (KI) werden vermehrt Algorithmengestützte People-Analytics-Ansätze in der geschäftlichen Kommunikation eingesetzt. Die Coronapandemie hat ihre Verbreitung weiter beschleunigt, da durch die vermehrte Onlinearbeit Mitarbeiterdaten noch leichter aufgezeichnet werden können. Damit geht z. B. die Möglichkeit einher, einen Großteil der Kommunikation amArbeitsplatz aufzuzeichnen, zu speichern und zu analysieren. Die meisten People Analytics Tools wurden für HR-Zwecke konzipiert und zielen auf Mitarbeiterzufriedenheit, -entwicklung sowie Karrieremöglichkeiten ab. In der Praxis führt die Verbreitung von People Analytics Tools zu einer Reihe ethischer Dilemmata. So herrscht z. B. Intransparenz darüber, wie Algorithmen Ergebnisse produzieren und HR-Entscheidungen beeinflussen. Durch Datafication verstehen Mitarbeiter nicht mehr, wie ihre Arbeit mit den Unternehmenszielen zusammenhängt. Schließlich ist Nudging, also das Anschubsen hin zu einer erwünschten Verhaltensweise, eine manipulative Praktik, die Mitarbeiter zu Handlungen bewegt, die eventuell nicht in ihrem eigenen Interesse liegen. Somit beeinträchtigen diese algorithmischen Tools die Möglichkeit der Mitarbeiter, freiwillig und selbstbestimmt zu handeln. All dies bietet Führungskräften mehr Kontrolle und führt zu neue Machtdynamiken in den Beziehungen zwischen Führungskräften und Mitarbeitern. Eine breite Palette von KI-Tools kann eingesetzt werden, um Mitarbeiterdaten und insbesondereMitarbeiterkommunikation anzureichern, zu speichern und weiterzuverarbeiten. Mithilfe von Gesichtserkennung, Voice-to-Text, natürlicher Sprachverarbeitung, Sentimentanalyse, maschinellem Lernen und anderen KI-Technologien können diese Tools u. a. Live-Untertitelung und Übersetzung bereitstellen und Daten in Bezug auf Kommunikationsleistung, Mitarbeiterengagement oder Teamdynamik auswerten. Diese algorithmischen Tools analysieren nicht nur, sondern geben oft auch HR-relevante Empfehlungen zur Verbesserung der zwischenmenschlichen Kommunikation, der Teamleistung, der Organisationskultur und zur Unterstützung bei Beförderungsentscheidungen. Algorithmische Tools geben Führungskräften und Personalabteilungen so mehr Kontrolle und weitreichende Bewertungsmöglichkeiten. Im Extremfall Algorithmische Auswertung von Mitarbeiterdaten: zwischen Vertrauen und Kontrolle Von Prof. Dr. Carolin Fleischmann (Technische Hochschule Rosenheim), Prof. Dr. Peter W. Cardon (University of Southern California) und Dr. Haibing Ma (Deep Blue Technology, Shanghai) findet dann sog. algorithmisches HR-Management statt, das Mitarbeiter automatisiert kontrolliert, bewertet und belohnt. Vermutlich werden sich Arbeitnehmer zunehmend sowohl individuell als auch kollektiv gegen das algorithmische HRManagement wehren („Algoactivism“, Kellogg et al., 2020). Sorgfältig ausgehandelte und transparente Richtlinien zur algorithmischen Auswertung und Nutzung von Mitarbeiterdaten sind rar. Dass Arbeitgeber die digitalen Fußabdrücke ihrer Mitarbeiter nutzen, um Erkenntnisse zu gewinnen und Entscheidungen zu treffen, ist nicht gänzlich neu. Doch die Datenfülle unterscheidet sich von früheren digitalen Mitarbeiterdaten: Persönliche Gespräche wurden an den meisten Arbeitsplätzen selten oder nie aufgezeichnet. Im Allgemeinen gehen Mitarbeiter davon aus, dass diese Gespräche privat sind, und neigen dazu, in diesen Gesprächen viel mehr preiszugeben als in E-Mails, Chats und anderen schriftlichen Formen der Kommunikation. Potenziell wird nun ein viel größerer Teil der Mitarbeiterkommunikation erfasst. In der Vergangenheit wurden nur kleine Teile der Interaktionen am Arbeitsplatz – in erster Linie Texte in E-Mails und anderen schriftlichen Mitteilungen – aufgezeichnet. Jetzt können längere Gespräche gespeichert, verbreitet und verarbeitet werden. Schließlich können KI-gestützte, algorithmische Tools den Tonfall, nonverbale Ausdrücke und Gesprächsprotokolle auswerten. Da die Rolle von KI-Algorithmen am Arbeitsplatz schwierige ethische Fragen aufwirft, bedarf es der kontinuierlichen Weiterentwicklung eines ethisch-rechtlichen Rahmens. Die Regelwerke für KI-Anwendungen sollten folgende Fragen aufgreifen: Wer darf entscheiden? Wer ist rechenschaftspflichtig? Wie können technische Agenten überprüft werden und wer übernimmt die Verantwortung dafür, dass solche KI-Tools für die Menschheit nützlich sind? Der Einsatz von KI-Tools zur Auswertung von Mitarbeiterdaten kann viele neue Möglichkeiten für Mitarbeiter, Teams und Organisationen bieten. Doch die Nutzung dieser Daten wirft wichtige Fragen in Bezug auf Datenschutz, psychologische Sicherheit und Kontrolle auf. Nach einem kurzen Überblick über den Stand der Forschung zu diesen Themen werden die Ergebnisse einer Interviewstudie mit 50 Fach- und Führungskräften aus Deutschland, den USA und China vorgestellt. Aus den Interviewdaten leiten
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