PersonalQuarterly 2/2022

70 PERSONALquarterly 02 / 22 SERVICE_DIE FAKTEN HINTER DER SCHLAGZEILE Virtuelle Meetings bestimmen mittlerweile in einigen Branchen den Arbeitsalltag. Zeit zum Erledigen von wichtigen Aufgaben ist rar. Daher wundert es wenig, dass das in der Vergangenheit verpönte Multitasking während virtueller Meetings häufig zu beobachten ist. Für Unternehmen stellt sich die Frage: Ist Multitasking weiterhin möglichst zu vermeiden oder kann es während virtueller Meetings hilfreich sein? Medien klären über den Multitasking-Mythos auf Bislang berichten die Medien (in Linie mit dem Stand der Forschung) kritisch über Multitasking. Die Süddeutsche Zeitung berichtet am 14. August 2019, Männer und Frauen seien gleich schlecht im Multitasken. In mehreren Multitasking-Experimenten1 konnten Dr. Patricia Hirsch (RWTH Aachen) und Kollegen keine systematischen Geschlechtsunterschiede bei der Leistung während Multitasking feststellen.2 Die Zeit titelt am 2. Juni 2020: „Nein sagen lernen: Darum macht uns Multitasking so fertig – und das hilft.“ Der Beitrag gibt mehrere Tipps im Umgang mit Multitasking. Es sind Ratschläge, wie etwa feste Zeitblocker zur Bearbeitung bestimmter Aufgaben zu nutzen, Ordnung auf dem Schreibtisch zu halten, To-do-Listen zu führen und Nein sagen zu lernen.3 Tillmann Prüfer deckt in seiner Kolumne am 6. August 2020 beim Handelsblatt auf: „Multitasking ist nur eine Illusion.“ Das Gehirn bearbeite nicht gleichzeitig, sondern nacheinander Aufgaben. Daraus seien entsprechende Lehren zu ziehen.4 Die Wende markiert ein Beitrag der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5. November 2021. Im Beitrag „Keine Zeit für Multitasking“ wird Multitasking im Kontext von Videokonferenzen genauer unter die Lupe genommen. Multitasking sei selten eine gute Idee, zwangsläufig schaden müsse der Versuch während Videokonferenzen jedoch nicht. Hier werden erstmals auch positive Effekte herausgestellt.5 Was also stimmt? Und gelten in der virtuellen Welt der Videokonferenzen mit Blick auf Multitasking etwa andere Gesetze als in der analogen? Der Forschungskontext 3 Internationale Forschungsergebnisse zu Multitasking sind überwiegend unter den Begriffen (Media) Multitasking sowie (Task) Interruption oder Disruption zu finden; denn nicht nur virtuelle Meetings, sondern auch Arbeitsunterbrechungen begünstigen Multitasking. 3 Zentrale Fragestellungen der Multitasking-Forschung waren bislang z. B., wie sich Multitasking auf die (Gedächtnis-) Leistung, Fehlerraten, Entscheidungen und den affektiven Zustand auswirkt. 3 Erste Studien dazu, wie sich Multitasking in virtuellen Meetings auf Beschäftigte auswirkt, werden seit der Coronapandemie durchgeführt. Die Forschungslage 3 Allgemein stellen Multitasking und Arbeitsunterbrechungen hohe Anforderungen an das Arbeitsgedächtnis wie in einem Forschungsprojekt6 der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (baua) in Kooperation mit Anja Baethge (Medical School Hamburg) und Thomas Rigotti (Johannes Gutenberg-University Mainz) festgestellt wird. Mithilfe eines umfassenden Literatur-Reviews wurden folgende zentrale Faktoren, welche die Wirkung von Arbeitsunterbrechungen und Multitasking auf Leistung und psychische Beanspruchung positiv wie negativ beeinflussen können, zusammengetragen: - organisationale Rahmenbedingungen, z. B. Unternehmenskultur oder (flexible) Arbeitszeitmodelle - allgemeine Tätigkeitsmerkmale, z. B. Zeitdruck oder soziale Unterstützung - relevanteMerkmale der Primärtätigkeit und Unterbrechungsaufgabe, z. B. Komplexität oder Sinnhaftigkeit - personale Faktoren, z. B. kognitive Fähigkeiten oder Qualifikation - Charakteristika der Unterbrechung, z. B. Dringlichkeit oder Vorhersagbarkeit - Interferenz, z. B. Domänenübereinstimmung von Aufgaben oder gegenseitige Interdependenz von Aufgaben In den Medien wird viel über die Arbeitswelt berichtet. PERSONALquarterly überprüft die Schlagzeilen und Meldungen auf ihre empirische Evidenz. Multitasking in virtuellen Meetings Dr. Christina Guthier, Wirtschaftspsychologin in Düsseldorf

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