PersonalQuarterly 2/2022

66 ESSENTIALS_REZENSIONEN PERSONALquarterly 02 / 22 Positive Ereignisse bei der Arbeit haben einen bedeutsamen Einfluss auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Auch wenn einige positive Ereignisse, wie z. B. Beförderungen und Gehaltserhöhungen, eine ganz besonders große Bedeutung haben, sind alltägliche positive Ereignisse, wie z. B. ein Dank oder lobende Worte, ein nettes Gespräch mit Kollegen oder der Abschluss eines Projekts, nicht zu unterschätzen. Anstatt große wie kleine positive Ereignisse einfach an sich vorbeiziehen zu lassen, können Mitarbeitende zusätzlichen Wert aus den Ereignissen ziehen, indem sie anderen davon erzählen. Dieser Prozess wird als Interpersonal Capitalization bezeichnet. Wenn Menschen positive Ereignisse miteinander teilen, können sie dadurch ihr Selbstwertgefühl erhöhen, positive Einstellungen entwickeln und ihre Beziehungen stärken. Die Forschung weist zudem darauf hin, dass auch die Person, mit der ein positives Ereignis geteilt wird, profitieren kann. Allerdings wurde das Phänomen bislang vor allem im Kontext romantischer Beziehungen untersucht. In romantischen Beziehungen ist es normalerweise so, dass Personen sich freuen, wenn dem Partner bzw. der Partnerin etwas Positives widerfährt. Wenn der Partner bzw. die Partnerin von einem positiven Ereignis berichtet, können Personen den Erfolg psychologisch sogar als eigenen Erfolg erleben. Bei der Arbeit könnte das Teilen positiver Ereignisse mit Kolleginnen und Kollegen hingegen weniger vorteilhafte – und möglicherweise sogar ungünstige – Reaktionen hervorrufen. Das liegt daran, dass der Arbeitsplatz nicht nur durch gegenseitiges Wohlwollen, sondern auch durch eine gewisse Konkurrenz unter Kollegen gekennzeichnet sein kann. Eine aktuelle Studie von Trevor Watkins von der West Texas A&M University hat sich dem Phänomen Interpersonal Capilization bei der Arbeit gewidmet und untersucht, wie sich das Teilen positiver Ereignisse unter Kolleginnen und Kollegen auf das emotionale Erleben und das Verhalten der Person auswirkt, der von dem positiven Ereignis berichtet wird. Es wurde angenommen, dass Mitarbeitende, denen von ihren Kollegen von einem positiven Ereignis berichtet wird, entweder Inspiration oder Neid erleben – je nachdem, wie sehr sie die berichtende Person als Konkurrenten ansehen. Bei geringem Konkurrenzerleben könnte der Erfolg von Kolleginnen und Kollegen zum eigenen Erfolg werden und die eigenen Erfolgsmöglichkeiten zeigen, sodass es zum Erleben von Inspiration kommt. Wenn die Konkurrenz unter den Kollegen jedoch stark ausgeprägt ist, könnte die Person, der von dem positiven Ereignis berichtet wird, möglicherweise eher mit Neid reagieren, weil der Erfolg der Kolleginnen und Kollegen den eigenen Erfolg schmälert oder gar verhindert. Zur Untersuchung dieser Annahmen wurden insgesamt drei Studien mit unterschiedlichen methodischen Ansätzen durchgeführt (Studie 1: Fragebogenstudie mit Universitätsmitarbeitenden, Studie 2: szenariobasierte Vignettenstudie mit Studentinnen und Studenten, Studie 3: Tagebuchstudie mit Mitarbeitenden aus unterschiedlichen Branchen). Es zeigte sich, dass Personen neidischer waren, wenn sie die Person, die ein positives Ereignis mit ihnen teilte, als Konkurrenten ansahen. Darüber hinaus zeigten die Studien, dass das Erleben von Neid wiederummit verstärkter „sozialer Unterminierung“ einhergeht – subtiles negatives Verhalten, das darauf abzielt, den beruflichen Erfolg und den guten Ruf der berichtenden Person auf Dauer zu beeinträchtigen (z. B. absichtlich falsche Informationen weiterzugeben). Personen wurden hingegen stärker inspiriert, wenn die Person, die das positives Ereignis mit ihnen teilte, nicht als Konkurrent angesehen wurde. Auch das Erleben von Inspiration hing mit dem Verhalten der zuhörenden Person gegenüber der berichtenden Person zusammen. Je stärker die zuhörende Person durch das Teilen der positiven Ereignisse inspiriert wurde, desto mehr rücksichtsvolles, unterstützendes und kooperatives Verhalten zeigte sie gegenüber der berichtenden Person. Insgesamt zeigen die Studien eindrücklich, dass die bisherigen Erkenntnisse zu Interpersonal Capitalization nicht eins zu eins auf den Arbeitskontext übertragen werden dürfen. Während die Forschung zu romantischen Beziehungen nahelegt, dass positive Ereignisse möglichst geteilt werden sollten, muss die Empfehlung für das Teilen positiver Ereignisse mit Kollegen bei der Arbeit differenzierter ausfallen. Die Auswirkungen für die zuhörende Person sind vom Ausmaß der wahrgenommenen Konkurrenz mit der berichtenden Person abhängig. Daher könnte es hilfreich sein, wenn Organisationen und Führungskräfte die Konkurrenz unter Kollegen weniger stark hervorheben, sodass die positiven Effekte des Teilens positiver Ereignisse zum Tragen kommen können. Interessante Fragestellungen für zukünftige Forschung beziehen sich u. a. darauf, wie sich die Art der positiven Ereignisse auf die Reaktionen auswirkt. So ist es denkbar, dass das Teilen positiver Ereignisse, die auf harte Arbeit zurückzuführen sind, anders bewertet wird als das Teilen von Ereignissen, bei denen Kollegen lediglich Glück hatten. Weitere Studien sollten sich zudem der Frage widmen, wer bei der Arbeit positive Ereignisse mit Kollegen teilt (und wer nicht) und wie das Teilen positiver Ereignisse unter Kollegen gefördert werden kann. Besprochen von Maie Stein, Arbeitsbereich Arbeits- und Organisationspsychologie, Universität Hamburg Erlebe Gutes bei der Arbeit und rede darüber? Watkins, T. (West Texas A&M University): Workplace interpersonal capitalization: Employee reactions to coworker positive event disclosures. Academy of Management Journal, 64(2), 537-561, 2021.

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