48 PERSONALquarterly 02 / 22 NEUE FORSCHUNG_TEAMPERFORMANCE In den letzten zehn Jahren sind Migrationsströme und ihre Auswirkungen in vielen westlichen Gesellschaften zu einem zentralen Thema geworden. Ihre Auswirkungen sind überall zu beobachten: Die Vereinigten Staaten nehmen seit 2005 jährlich mehr als eine Million legale Einwanderer auf; der Zustrom von Migranten* in Deutschland übertraf diese Zahlen im Jahr 2013 und erreichte 2015 sogar die noch nie da gewesene Zahl von mehr als zwei Millionen Menschen (OECD, 2020). Die Schweiz hat den höchsten Prozentsatz an imAusland geborener Bevölkerung in westlichen Industriestaaten (29 %), gefolgt von Australien (28 %) und Kanada (21 %), während in Deutschland mehr als jeder zehnte Einwohner (12 %) ein im Ausland geborener Einwanderer ist (vgl. Pison, 2019). Infolgedessen hat sich die Zusammensetzung der Erwerbsbevölkerung in vielen entwickelten Volkswirtschaften erheblich verändert: In Nord-, Süd- und Westeuropa machen Migranten etwa 17,8 % und in Nordamerika 20,6 % der gesamten Erwerbsbevölkerung aus (ILO, 2018). Wer ein Migrant ist, wird unterschiedlich definiert, so z. B. als Personen, die im Ausland geboren wurden, eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzen (Definition in dieser Studie) oder sogar Eltern haben, die im Ausland geboren wurden (Migranten der zweiten Generation). Während die Auswirkungen von Migration auf der Ebene von Volkswirtschaften und industriellen Sektoren bereits ausführlich erforscht wurden, wissen wir viel weniger über Auswirkungen innerhalb von Unternehmen und insbesondere von Teams. Dies gilt insbesondere für gering qualifizierte Zuwanderer, die im Produktionskontext körperliche Tätigkeiten verrichten. In vielen Ländern, einschließlich Deutschland, entfällt der größte Anteil der Zuwanderer auf diese gering qualifizierten Tätigkeiten. Außerdem werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für solche Teams häufig „ad-hoc“, ohne weitere Überlegungen oder Maßnahmen zur Erleichterung ihrer Integration in das Team eingestellt. Weiterhin haben Unternehmen zum Teil vorurteilsbehaftete Bedenken bei der Einstellung von Zuwanderern, da sie befürchten, dass sich der Anteil an zugewanderten Arbeitnehmenden negativ auf das Team und damit auf die Unternehmensleistung auswirken könnten. Steigern Migranten die Produktivität von Teams? Eine Studie in Arbeiterteams Von Anna Apostolidou und Prof. Dr. Florian Kunze (Universität Konstanz) Der vorliegende Artikel geht auf diese Bedenken ein, indem zunächst die gegensätzlichen Ansichten der vorhandenen wissenschaftlichen Literatur zu Migration und Teamleistung dargelegt und dann die Ergebnisse der Studie vorgestellt werden. Entgegen den stereotypen Erwartungen können zugewanderte Arbeitnehmer einen positiven Effekt auf die Produktivität von Teams haben, zumindest bis zu einem gewissen Punkt. In der Studie wird auch untersucht, ob die spezifische Herkunft der Zuwanderer eine Rolle spielt. Abschließend werden die praktischen Auswirkungen für HR-Praktiker und Teamleiter im Hinblick auf die Teamkonstellation erörtert. Migranten in Teams Wir nehmen an, dass Migranten insbesondere bei körperlichen beruflichen Tätigkeiten mit einem geringen Qualifikationsniveau, Herausforderungen für ihre berufliche Leistungsfähigkeit erfahren können. Sie stoßen häufig auf Sprachbarrieren, sind nicht an die lokalen Arbeitsnormen gewöhnt, insbesondere wenn sie erst vor Kurzem zugewandert sind, was negative Folgen auf das Sozialkapital, das heißt Zahl und Qualität von guten Beziehungen am Arbeitsplatz, hat und ihre Anpassung an das Unternehmen erschwert. Innerhalb des Teams können nicht nur die produktive Zusammenarbeit zwischen Migranten und Einheimischen aufgrund von Kommunikationsproblemen behindert werden, es können auch soziale Kategorisierungsprozesse (Turner et al., 1987) ausgelöst werden. Dies bedeutet, dass sich In- und Outgroups zwischen Migranten und Einheimischen bilden, die zu Wettbewerb und Konflikten führen können. Dennoch wird in einigen empirischen Berichten die Produktivität von Arbeitern mit Migrationshintergrund im Vergleich zu Einheimischen als höher eingestuft. Aus Interviews mit Arbeitgebern geht häufig hervor, dass die Motivation für die Einstellung von Beschäftigten mit Migrationshintergrund neben der Senkung der Lohnkosten auch in der höheren Arbeitsmoral der Migranten liegt (MacKenzie/Forde, 2009). Zu dieser Arbeitsmoral gehören eine höhere Flexibilität, Bereitschaft zu Überstunden und eine höhere Zuverlässigkeit und Anwesenheitsquote im Vergleich mit einheimischen Arbeitnehmern. In der Managementliteratur gibt es bisher keine klaren Hinweise darauf, dass die Arbeitsmoral von Migranten auf der Basis von * Anm. d. Red.: Ist im Text von Migranten die Rede, sind immer Frauen und Männer gemeint. Um der besseren Lesbarkeit willen wurde auf Doppelnennung oder Genderschreibweise verzichtet.
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