43 02 / 22 PERSONALquarterly Schuhhändler Zappos übernahm etwa Tony Hsieh, Gründer und bis zu seinem Ausscheiden 2020 CEO des Unternehmens, die Rolle des agilen Leaders. Er war es auch, der 2013 denWechsel zu einer agilen Organisationsstruktur anstieß. Um die Transformation zu beschleunigen, stellte er zwei Jahre später jeden vor die Wahl: „Adopt Holocracy or Leave!“ Knapp ein Fünftel der Belegschaft verließ daraufhin das Unternehmen, während die von der Transformation überzeugten Beschäftigten den Wandel zur Holakratie vollzogen (vgl. Bernstein et al., 2016, S. 38 ff.). 3 Selbstführung („von innen“): Die Teams bestimmen selbst, wie sie die ihnen übertragenen Projektaufgaben erledigen und welche Veränderungen sie einleiten. Sie treffen die hierzu erforderlichen operativen Entscheidungen und übernehmen das Projektmanagement. Der Lösung nähern sie sich iterativ, experimentell und lernend an. Die Fähigkeit, sich selbst zu führen, braucht dabei jedes Teammitglied. Hilfreich sind konkrete Rollenbeschreibungen, die festlegen, in welchem Rahmen eine Person eigene Entscheidungen treffen kann. Ein selbstgeführtes Team verteilt diese Rollen im Sinne einer geteilten Führung auf seine Mitglieder (Shared Leadership). Das Team übernimmt jedoch für sämtliche Entscheidungen gemeinsam die Verantwortung. Um kreative und innovative Lösungen zu erzielen, sollten sich die Kompetenzen und Persönlichkeiten der Teammitglieder ergänzen. Ein funktionsübergreifendes Team aus T-förmigen Experten (Cross functional Team of T-shaped Professionals) verfügt, wie in Abbildung 2 dargestellt, sowohl über breites Fachwissen (Querbalken des T) als auch tiefes individuelles Spezialwissen (Längsbalken des T). Aufgrund des gemeinsamen Fachwissens ist es in der Lage, sich über die Aufgaben und deren bestmögliche Aufteilung auf die Teammitglieder auszutauschen. Die konkreten Aufgaben werden dann im Team von einem oder mehreren Spezialisten bearbeitet (vgl. Scheller, 2017, S. 181 ff.). 3 Dienende Führung („von der Seite“): Der Schwerpunkt der dienenden Führung liegt auf der Stärkung der Teams, damit diese zu Höchstleistungen fähig sind. Dabei handelt es sich in der Regel um eine laterale Führung ohne disziplinarische Kompetenzen (Servant Leadership). Sie liefert Ideen und Feedback als Sparringspartner auf Augenhöhe, der die richtigen Fragen stellt sowie Zusammenhänge und Widersprüche deutlich macht. Agiles Coaching unterstützt die Entwicklung der Teams in Lern- und Veränderungsprozessen. Darüber hinaus ist es Aufgabe der dienenden Führung, alle Hindernisse für die Arbeit der Teams aus demWeg zu räumen, wie etwa Konflikte zu klären oder für ausreichende Ressourcen zu sorgen. 3 Zellulare Führung („von unten“): In einer agilen Organisation als Netzwerk unabhängiger Zellen kann jeder Führungsverantwortung übernehmen und Veränderungen einleiin die gemeinsame Aufmerksamkeit gebracht und von interessierten Mitgliedern nach dem Pull-Prinzip übernommen werden. Für vorhersehbare und laufende Führungs- und Entscheidungsbedarfe werden Strukturen, Prozesse und Rollen als feste Kooperationsbeziehungen verankert, damit diese nicht jedes Mal neu ausgehandelt werden müssen. Ihre Besetzung wird kollegial bestimmt und regelmäßig angepasst. Im Gegensatz zu festen Führungshierarchien werden die Verantwortungsbereiche somit von den Beteiligten laufend weiterentwickelt (vgl. Oestereich/Schröder, 2020, S. 32). Delegationstafeln oder deren spielerische Variante in Form des „Delegationspokers“ helfen dabei, das Ausmaß der Übertragung von Entscheidungsverantwortung zu bestimmen. Das Spektrum der sieben Delegationsstufen reicht dabei von der reinen Mitteilung der Entscheidung durch die Führungskraft über Erklären, Konsultieren, Vereinbaren, Beraten und Übertragen bis zur vollständigen Entscheidungsdelegation auf das Team (vgl. Appelo, 2018, S. 59 ff.). Agile 360°-Führung Agile Führung ist multidirektional und wird durch verschiedene Rollenwahrgenommen. Wie Abbildung 1 veranschaulicht, erfolgt die Einleitung und Steuerung von Veränderungsprozessen somit aus mehreren Richtungen. Es lassen sich folgende Rollen einer agilen 360°-Führung unterscheiden (in Anlehnung an Hofert, 2018, S. 26 ff.; Pircher, 2018, S. 108 ff.; Andresen, 2019, S. 132 ff.): 3 Agiles Leadership („von oben“): Auch agile Organisationen benötigen eine leitende Führungsrolle mit hierarchischer Sonderstellung. Geschäftsführung oder Vorstand sind als rechtliche Organe für die Handlungen des Unternehmens verantwortlich und vertreten es nach außen. Agiles Leadership soll durch die Bestimmung des Purpose sowie die Entwicklung von Visionen und Strategien der gesamten Organisation die Richtung weisen und Sinn stiften. Es soll klarstellen, wohin sich das Unternehmen entwickeln soll. Ist jedoch Gefahr im Verzug, muss die agile Führung als Krisenmanager schnell intervenieren. In Analogie zum Segeln sorgt das agile Leadership dafür, dass alle Boote denselben Hafen ansteuern. Aber wenn ein Sturm aufkommt, muss der Kapitän auf die Brücke. Ansonsten steht es jedem Boot frei, wie es am Ziel ankommt, auch da die Konditionen überall ein wenig anders sind. Agiles Leadership bestimmt die Rahmenbedingungen, in denen sich die Selbstführung entfalten kann, und beschützt diese gegen störende Einflüsse von innen und außen („Holding the Space“). Sie stabilisiert die Organisation durch die Bewahrung gemeinsamer Werte und wacht über die Einhaltung der vereinbarten Regeln. In der Holakratie werden diese in einer sog. Verfassung festgelegt, die klarstellt, wie die Organisation funktioniert. Beim US-amerikanischen Online-
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