Personal Quaterly 1/2022

48 ESSENTIALS _REZENSIONEN PERSONALquarterly 01 / 22 S ie kennen es vielleicht aus Ihrem eigenen Arbeitsall­ tag: Das Telefon klingelt unerwartet, Ihre Kollegin kommt spontan vorbei, um etwas zu fragen, oder Sie erhalten eine Nachricht von einem Kollegen, der Sie nach Ihren Plänen für die Mittagspause fragt – und Sie un­ terbrechen Ihre Arbeit, um zu antworten. Nach der Unterbre­ chung wieder zur eigentlichen Tätigkeit zurückzukehren, fällt nicht immer leicht. Die Wiederaufnahme der Arbeit braucht in der Regel Zeit und ist mit zusätzlichen Anstrengungen ver­ bunden. Mehrere Untersuchungen haben gezeigt, dass häufige Arbeitsunterbrechungen zu Stress führen und sich ungünstig auf das Wohlbefinden auswirken können. In einer kürzlich veröffentlichten Studie ging es darum, besser zu verstehen, wie genau und vor allem warum sich Arbeitsunterbrechungen auf das tägliche Wohlbefinden auswirken. Es wurde angenommen, dass Arbeitsunterbre­ chungen die tägliche Arbeitszufriedenheit reduzieren kön­ nen, weil die Unterbrechung einer Aufgabe die Ressourcen für die Ausübung von Selbstkontrolle erschöpft. Eine ein­ geschränkte Fähigkeit zur Selbstkontrolle („Selbsterschöp­ fung“) erhöht die Anfälligkeit für negative Erlebniszustände, wie z. B. Frustration. Dadurch wird die Aufmerksamkeit auf die negativen Aspekte der Arbeit gelenkt und die Arbeitszu­ friedenheit sinkt. Diese Erklärung für den Zusammenhang zwischen Arbeitsunterbrechungen und Arbeitszufrieden­ heit ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Harshad Puranik, Joel Koopman und Heather C. Vough gingen davon aus, dass Arbeitsunterbrechungen gleichzeitig auch positive Effekte auf die tägliche Arbeitszufriedenheit haben können. Da Arbeitsunterbrechungen durch andere Personen ausgelöst werden, eröffnen sie die Möglichkeit einer sozialen Interak­ tion, die das Zugehörigkeitsgefühl stärkt. Eine kurze Unter­ haltung mit dem „Unterbrecher“ kann dazu beitragen, das grundlegende Bedürfnis nach Zugehörigkeit zu erfüllen. Wer sich anderen Personen bei der Arbeit zugehörig fühlt, ist wiederum zufriedener mit der Arbeit. Die Annahme, dass Arbeitsunterbrechungen über die Selbsterschöpfung zwar negative Auswirkungen auf die tägliche Arbeitszufrieden­ heit haben, gleichzeitig über das Zugehörigkeitsgefühl je­ doch auch zu einer höheren Arbeitszufriedenheit beitragen können, wurde in einer Tagebuchstudie mit insgesamt 111 Teilnehmenden überprüft. Mitarbeitende aus verschiedenen Branchen nahmen über drei Wochen hinweg täglich an kurzen Befragungen teil. In ihrer Mittagspause machten sie Angaben dazu, wie oft sie am Vormittag bei der Arbeit un­ terbrochen wurden. Zudem wurde erfasst, wie sehr sie sich anderen Personen bei der Arbeit zugehörig fühlen und wie stark ihre Ressourcen für die Selbstkontrolle erschöpft sind. In einem Fragebogen, den die Teilnehmenden nach Feier­ abend ausfüllten, wurde die Arbeitszufriedenheit erfasst. Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass Arbeitsunterbrechungen sowohl die Selbsterschöpfung als auch das Zugehörigkeits­ gefühl verstärken und über diese Mechanismen negativ bzw. positiv mit der Arbeitszufriedenheit zusammenhängen. Zu­ dem zeigte sich, dass das Zugehörigkeitsgefühl die ungüns­ tigen Auswirkungen der Selbsterschöpfung auf die tägliche Arbeitszufriedenheit abmildern kann. Die Ergebnisse der Studie eröffnen eine neue Perspekti­ ve auf Arbeitsunterbrechungen. Bislang standen die un­ günstigen Auswirkungen von Arbeitsunterbrechungen im Vordergrund und es wurde empfohlen, Arbeitsunterbre­ chungen weitgehend zu reduzieren. Hierbei wurde allerdings vernachlässigt, dass Arbeitsunterbrechungen einen Weg zur Erfüllung des Bedürfnisses nach Zugehörigkeit bieten. An­ statt Arbeitsunterbrechungen vollständig zu eliminieren, sollte ein bewusster Umgang gefördert werden. Insbesonde­ re sollten Ressourcen identifiziert werden, die den Umgang mit Arbeitsunterbrechungen erleichtern, sodass es nicht zu Selbsterschöpfung kommt und die positiven Auswirkungen der sozialen Komponente von Arbeitsunterbrechungen zur Entfaltung kommen. Zudem könnte der Anlass für die Un­ terbrechung für das Wohlbefinden einen großen Unterschied machen. Während Unterbrechungen im Zusammenhang mit Arbeitsaufgaben (z. B. Fragen nach Unterstützung bei einer Aufgabe) möglicherweise vor allem zu Selbsterschöpfung, nicht jedoch zu mehr Zugehörigkeit führen, könnten Unter­ brechungen mit einer ausgeprägten sozialen Komponente (z.B. Smalltalk) das Zugehörigkeitsgefühl besonders stark fördern und nicht so sehr zur Selbsterschöpfung beitragen. Weitere Studien sollten sich diesen Fragen widmen, um die sozialen Aspekte und die positiven Seiten von Arbeitsunter­ brechungen besser zu verstehen. Besprochen von Maie Stein , Lehrstuhl für Arbeits- und Organi- sationspsychologie, Universität Hamburg Wie sich Arbeitsunter­ brechungen auf die Arbeitszufriedenheit auswirken Puranik, H. (University of Illinois at Chicago), Koopman, J. (Texas A&M University) & Vough, H. C. (George Mason University): Excuse me, do you have a minute? An explo- ration of the dark- and bright-side effects of daily work interruptions for employee well-being. Journal of Applied Psychology. Advance online publication, 2021, https://doi. org/10.1037/apl0000875

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