Personal Quaterly 1/2022
40 PERSONALquarterly 01 / 22 NEUE FORSCHUNG _ARBEITEN AUF DISTANZ vermisst, um sich „vor Ort Maschinen, Probleme und so wei- ter zeigen zu lassen“ (MA3: 20). Anhand dieser Aussagen zeigte sich, dass trotz der Nutzung digitaler Kommunikati- onswege die „alte“ Kommunikation im Betrieb nicht adäquat abgebildet werden kann, sodass es zu neuen Herausforde- rungen für das Wissensmanagement kommt. Kollegiale Beziehungen verändern sich selektiv – die Integration neuer Teammitglieder wird erschwert Auffällig ist die Veränderung der Beziehungsverhältnisse in- nerhalb des Teams und des Unternehmens. Übereinstimmend wurde berichtet, dass sich der kollegiale Austausch außerhalb des eigenen Teams verringerte. Die fehlenden zufälligen, phy- sischen Begegnungen führten fast automatisch dazu, dass die Kommunikation sich kontinuierlich reduzierte, sofern nicht fachlich zusammengearbeitet wurde. Generell habe das Zwi- schenmenschliche unter den Kolleginnen und Kollegen stark abgenommen. Die Erkenntnisse von Collins et al. (2016), dass sich die Beziehungsqualität zu Kollegen verstärkte, mit denen vor der Pandemie bereits ein gutes Verhältnis bestand, zeigt sich auch in dieser Studie. Bemerkenswert ist, dass eine Füh- rungskraft berichtet, bei einem Teilteam von vier Mitarbeiten- den wäre jetzt deutlich weniger Führung notwendig, weil diese „ihr Thema eigenständig betreiben [...] und die sich jetzt so zusammengefunden haben durch die neue Situation, dass das super läuft“ (FK7: 40). Neben der Beziehungspflege über kleine Teams hinaus ge- staltete sich der Beziehungsaufbau für neue Organisations- oder Teammitglieder als herausfordernd und schwierig, denn „um sich in ein neues Umfeld einzuarbeiten, neue Kontakte zu knüpfen, […] das ist halt ein schwieriges Setting“ (MA 3: 16). Ein Beziehungsaufbau und das persönliche Kennenlernen im Unternehmen konnte digital schlecht aufgefangen werden, weil die persönliche Interaktion fehlte. Auch diese in der Pan- demie gewonnenen Erkenntnisse bestätigen die Ergebnisse von Collins et. al. (2016). Alltagsgeschäft dominiert die Wahrnehmung in der Krise – längerfristige Auswirkungen offen In der Studie ist deutlich geworden, dass den Befragten der informelle Kommunikationsweg sowie der schnelle, kurzfris tige persönliche Austausch fehlt. Den Führungskräften war bewusst, dass die zufälligen Begegnungen wegfallen und die- se für die Erfüllung der Führungsaufgabe wichtig sind, um Stimmungen und Emotionen im Team aufzunehmen, einzu- ordnen und daraus Rückschlüsse zu ziehen. Sie versuchten, hier aktiv gegenzusteuern. Über die weiterführenden Kon- sequenzen, die durch den Wegfall zufälliger Begegnungen entstehen, wurde jedoch nicht gesprochen. Es ist auffällig, dass die kommunikativen Probleme mit Blick auf das Alltags- geschäft und die Krisenbewältigung thematisiert wurden, wohingegen zukünftige Auswirkungen auf das Team oder das Unternehmen weniger im Fokus sind. Längerfristige Aus- wirkungen des geringeren Informationsaustauschs, z. B. auf Innovationen im Unternehmen oder die Bindung von Team- mitgliedern, wurden nur in Ansätzen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern thematisiert: „Also ich sag mal so, es gehen schon Potenziale und Synergien bisschen verloren, weil man sich nicht mehr so gut absprechen kann. So würde ich das vielleicht eher bezeichnen“ (MA1: 32). „Ich habe das Gefühl, das macht man sich noch gar nicht bewusst wahr, dass man das auffangen muss“ (MA9: 36). Die Gründe können darin liegen, dass aufgrund der Kurzfris tigkeit der Homeoffice-Maßnahmen zunächst versucht wurde, in der entstandenen Notfallsituation die unternehmerische Tätigkeit und das Alltagsgeschäft aufrechtzuerhalten. Eine Be- fragte beschrieb es in ihrem Arbeitsfeld wie folgt: „Es treten jeden Tag Probleme auf, die man in dieser Form vorher noch nie hatte. (…) Das kann man deutlich besser bewältigen, wenn man miteinander im Austausch bleibt. Der eine hat die Idee, der andere hat die Idee, man diskutiert darüber und man findet einen Konsens und einen guten Mittelweg“ (MA10: 56). Homeoffice als neues Paradigma? Diverse (noch) ungelöste Herausforderungen Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass der Zusammenhalt und die Beziehungsqualität innerhalb eines Teams durch eine dauerhafte Arbeit im Homeoffice abnehmen kann. Bezie- hungsaufbau und -pflege sowie der kollegiale, oft implizite Wis- sensaustauch zwischen den Kolleginnen und Kollegen werden aufgrund der Distanz erschwert. Während reine Sachthemen in virtuellen Meetings durchaus effizient abgestimmt werden können, führen Missverständnisse oder Konflikte zu Heraus- forderungen, da sie später wahrgenommen werden und ihre Bearbeitung auf Distanz schwieriger erscheint. Auch die Fre- quenzerhöhung virtueller Meetings kann dies offenbar nicht ausgleichen, selbst wenn Raum für den Austausch über das Berufliche hinaus gegeben wird. Die Interviewergebnisse las- sen die Interpretation zu, dass diese geplanten Gesprächssitu- ationen auch als zu wenig informell wahrgenommen werden. Die Dynamik und der Vertrauensaufbau, die in persönlichen, spontanen Treffen ermöglicht werden, erscheinen im digitalen Rahmen somit nicht gleichwertig umsetzbar. Die innovations- förderliche Wirkung von Serendipität geht den Unternehmen in diesem Setting folglich weitestgehend verloren. Auffällig war, dass sich der Kontakt zwischen Kolleginnen und Kollegen, die vor der Homeoffice-Phase eng und vertrau- ensvoll zusammengearbeitet hatten, intensivierte. Dagegen wurde beschrieben, dass sich die Verbindung zu anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – die man sonst zufällig im Unternehmen trifft – deutlich verringerte. Daher scheint Homeoffice die Bildung von „In-Groups“ innerhalb des Teams
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